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Biographie 2012

Mika 2015
23.08.2012
Anfang 2011 packte Mika seine Koffer und machte sich auf den Weg nach Montreal, wo er sein drittes Album aufnehmen wollte. Er hatte die Sache komplett in Eigenregie angeleiert, vollkommen spontan und DIY: überschüssige Bonusmeilen sollten ihn hinbringen, der Rest sollte sich vor Ort ergeben. Auch ein fester Zeitplan existierte dieses Mal nicht. Und noch mehr war anders als zuvor: Mit Teil eins und zwei, den Vorgängeralben, hatte er ganz klar die Grenzen des Mika-Universums abgesteckt: Man konnte quasi drauf wetten, dass hier, in diesem musikalischen Mikrokosmos, auch Ballons und Lichterketten hängen würden, und dazu würde man einer Reihe von animierten Wesen (im doppelten Wortsinn) begegnen, die vollkommen natürlich und unbedingt kindlich waren. Der Name Mika stand daher schon bald für einen Sound, dessen Refrains bestens als Klingeltöne funktionierten, während sein kreativer Geist immer neue Songideen hervorbrachte, Pophymnen, am ehesten verwandt mit Kinderliedern oder -reimen. Was jedoch dann in Montreal entstand, war etwas vollkommen anderes.
Die elektronischen Produktionen des Australiers Nick Littlemore, bekannt als Teil von Pnau und Empire of the Sun, hatten es Mika schon länger angetan, und nun wollte er sehen, inwiefern eine Zusammenarbeit der beiden funktionieren würde: „Bevor ich Nick traf, hatte ich ja immer alles komplett im Alleingang erledigt“, erzählt Mika rückblickend. „Ich wusste nicht einmal, wie ich sonst hätte arbeiten sollen. Ich war wie ein 22-Jähriger, der sich allein in die Ecke verkriecht, um an neuen Soundideen zu arbeiten.“ Im Klartext heißt das: Früher war es immer nur Mika, sein Klavier und seine Vorstellungskraft. In den fünf Jahren jedoch, die seit dem massiven Erfolg von „Grace Kelly“ vergangen sind – wir reden von zwei Alben, die sich millionenfach verkauft haben; und von fünf Welttourneen obendrein –, hatte sich bei ihm ein Schalter umgelegt: Mika war erwachsen geworden, als Songwriter. Und auch als Mensch.
Auf seinem dritten Studioalbum präsentiert der Brite ein sensationelles Klangspektrum, das, vielschichtig und eingängig zugleich, elektronische Noise-Elemente mit dem nötigen Gegenpol vereint, indem Mika auch jene sorglos-utopischen Klangwelten des Laurel-Canyon-Sounds mit seinen Siebziger-Referenzen aufgreift und an dieses fast schon pastorale Idyll aus vergangenen Tagen anknüpft. Diese beiden Stränge verwebt er zu einem harmonischen Ganzen, einem Teppich, auf dem er seine neuesten Melodien ausbreitet. Und selbst wenn in seinem Ansatz eine gewisse Leichtigkeit mitschwingt, so befolgt er doch ganz klar eine Regel, die er eigens für diesen Longplayer aufgestellt hat: „Diese Leichtigkeit muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass auch der Inhalt leicht oder banal sein muss.“ Für opernhaft-große Popgesten war dieses Mal also kein Platz. Stattdessen wollte er gefühlte Wahrheiten in schlichte, wenngleich eloquente, nüchterne Worte fassen. Anders gesagt: Alice ist nicht länger im Spiegelreich; sie ist wieder auf dieser Seite der Spiegel angelangt.
Basierend auf dieser neuen Herangehensweise ist ein ungemein intimes Werk entstanden. Mika ist zu einem Künstler herangereift, der sich nicht länger zu verstecken braucht hinter irgendwelchen Kostümierungen oder sonstigen Tricks. Die Ironie an der Sache ist, dass es ihm mit diesem akustisch-elektronischem Sound-Mix, aufgenommen mit Nick in Montreal, letzten Endes sogar gelungen ist, sein bis dato menschlichstes Werk vorzulegen. Auf The Origin Of Love war es nämlich die Wirklichkeit, die ihn inspiriert hat. Er bezieht sich also nicht länger auf irgendwelche Fantasiewelten.
„Irgendwie macht das ja auch Sinn, obwohl es natürlich seltsam ist. Mir ging es nun mal darum, meinen musikalischen Horizont zu erweitern. Nick war dabei derjenige, der mir ermöglicht hat, in Regionen vorzudringen, in die ich mich nie zuvor bewegt hatte. Und ich würde sogar sagen, dass es in gewisser Hinsicht ‘menschlicher’ ist, wenn man einen Sound kreiert und ihn dann elektronisch oder digital bearbeitet, anstatt einfach einen Session-Musiker anzurufen und ihn zu bitten, doch kurz für 20 Minuten vorbeizukommen, um eine Bassspur einzuspielen, aus der man dann doch nur einen kurzen Part nimmt für einen Song. Auch die ganze Atmosphäre, die Nick im Studio geschaffen hat, war einfach perfekt. Wir haben getanzt bei der Arbeit! Wenn man alleine ist, passiert das irgendwie nicht. Bei ihm im Studio habe ich mich frei von Grenzen gefühlt, ohne Beschränkungen. Das allein war schon ein sehr guter Ausgangspunkt, in diesem Studio zu sein, wo man sofort spürte, dass alles möglich war und es keinerlei Regeln zu befolgen gab.“
Die erste Kollaboration der beiden, das erste Resultat jener besonderen Chemie, ist das groß angelegte und vielschichtige Titelstück „The Origin Of Love“: Die Version, die es letzten Endes aufs Album geschafft hat, ist nahezu identisch mit der ursprünglichen Demo-Version, was bezeichnend ist, zeichnet sich doch das gesamte Album durch eine etwas weniger glatte, quasi naturbelassene Herangehensweise aus. Am ehesten kann man sich den Track vorstellen als per Zeitmaschine angefertigtes Update zu George Bensons „The Greatest Love of All“ – schön vermöbelt auf der Disco-Tanzfläche und dann geradewegs in die schier endlose, digitale Unübersichtlichkeit des 21. Jahrhunderts bugsiert. Nur wer sich selbst lieben kann, ist auch in der Lage, einen anderen Menschen zu lieben – ein zeitloses Thema, das hier noch einmal in absolut zeitgenössischer Form präsentiert wird. Für Mika war es einfach wichtig, dieses Statement noch einmal in aller Deutlichkeit loszuwerden.
In Montreal entstand so eine ganze Reihe von Songs, die von Themen wie der Liebe, von Toleranz und der Freude (am Leben) ganz allgemein handelten. Die erste Single „Celebrate“ z.B. könnte ausgelassener kaum klingen, wenn Mika auf die alles verändernde Kraft der Liebe verweist – ein deutlicher Aufschrei in einer sonst durch und durch zynischen Welt. Die Offenbarung unter der Discokugel also: Wenn „Celebrate“ als die offensichtlichste Dance-Pop-Ansage von The Origin Of Love gelten muss, ist „Lola“ die von Fleetwood Mac inspirierte, akustisch gehaltene Kehrseite dieser Medaille – denn Mika nimmt sich dem ältesten Gewerbe der Welt mit einfühlsamen Worten an. Der treibende Rhythmus des Stücks war übrigens kürzlich erst in einem YouTube-Clip zu hören, in dem dazu die Burlesk-Tänzerin Dita Von Teese zu sehen war.
Überhaupt fand Mika Inspiration oftmals dort, wo man sie am wenigsten erwarten würde: Die Idee zu „Heroes“ kam ihm, nachdem er ein Gedicht von A.E. Housman über in die Heimat zurückkehrende Kriegsveteranen gelesen hatte. Im Fall der hypnotisch anschwellenden Sounds von „Underwater“ war es ein Jeans-Werbeclip von Michel Gondry aus den Neunzigern, der auf den ersten Blick zwar etwas platt wirkt, aber in wunderschön umgesetzten Bildern zeigt, dass wahre Liebe die Gesetze des Alltags dermaßen aushebelt, dass man als Verliebter sogar unter Wasser atmen kann: „Und genau um dieses Gefühl geht es mir“, ergänzt Mika. „Dieses Gefühl der Ekstase hilft einem dabei, selbst die schwierigsten Aufgaben zu meistern. Ich hatte mich nun mal davon verabschiedet, vollkommen auf mich allein gestellt am Klavier zu sitzen.“
„Ich weiß, dass ich ein schwieriger Künstler bin“, gesteht er weiterhin. „Das ist mir schon bewusst. Ich mache Alternative-Pop, und ich bin ehrlich in meiner Musik, ehrlich und aufrichtig, und das in einer Zeit, in der die meisten Alben als Statement allenfalls unvollständig oder schlichtweg unaufrichtig sind. Mit dem klassischen Eintagsfliegen-Pop à la Brill Building habe ich nichts am Hut, denn was ich in diesen Songs zum Ausdruck bringe, stammt wirklich aus meinem Inneren. Es sind meine Anliegen, Dinge, die mich bewegen.“ Auch die emotionalen Welten, die Laurie Anderson und Steve Reich mit ihren elektronischen Experimenten erkundet haben, waren ein wichtiger Einfluss während der Entstehung des neuen Longplayers, denn auch bei diesem Ansatz schaute sich Mika die eine oder andere Sache ab und integrierte sie in sein ganz eigenes Popverständnis: „Da ist wirklich etwas in mir geschehen, als ich im Studio war. Da war dieses ganz besondere Gefühl.“
Auch „Make You Happy“, das offensichtlichste Liebeslied, das er je geschrieben hat, entstand so; ein Song, der mit einer Roboterstimme beginnt, die immer wieder sagt: „All I want to do is make you happy“. Dass gerade dieser Track als erster Vorgeschmack auf das Album im Netz zu hören war, hatte ebenfalls seinen guten Grund: „Es ging mir darum, dass die Leute meine Musik wieder vollkommen frei von Erwartungen entdecken konnten: Aus diesem Grund werden die ersten Takte, die alle Welt zu hören bekommt, von einem Roboter gesungen. Ich fand das sehr bereinigend, und es sagt zugleich sehr viel aus über die Philosophie, auf der diese Platte basiert. Meine Strategie lautet, immer den langsamen Weg zu gehen, ruhig auch mal den beschwerlichen Weg. Ich mache Alternative-Pop-Sound, den zu vermarkten keine leichte Aufgabe ist; nur wenn dem nicht so wäre, wenn es also ganz easy wäre, meine Musik an den Mann zu bringen, dann würde ich etwas falsch machen und müsste wohl damit aufhören. Mein ganzes Wesen steckt in diesen Songs. Für mich gibt es nur sie, sonst nichts.“
Klare Worte und ein klar definiertes Selbstverständnis als Musiker, zu dem Mika auch deshalb gelangte, weil sich während der Arbeit am neuen Album gleich zwei Dinge ereigneten, die sein Leben komplett verändern sollten: Ende 2010 stürzte seine Schwester Paloma, mit der er schon oft zusammengearbeitet hatte, aus einem in 15 Meter Höhe gelegenen Fenster und kam mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus: „Ich konnte auf gar keinen Fall weiterarbeiten, als ich davon erfahren hatte. Erst als sich ihr Gesundheitszustand wieder gebessert hatte, was fast schon einem Wunder glich – die Ärzte meinten sogar, dass die Wissenschaft da nicht mehr ausreicht, um diese Genesung zu erklären –, konnte ich wieder nach Montreal fliegen, um die Arbeit fortzusetzen.“
Und dann war da noch die Sache mit der Liebe: „Ich bin sehr, sehr glücklich in meiner Beziehung“, berichtet Mika, sich ganz darüber bewusst, dass sein Leben als Musiker und Performer automatisch ein paar Fragen mit sich bringt: „Normalerweise behalte ich solche Dinge für mich und lasse nichts aus meinem Privatleben an die Öffentlichkeit gelangen. Aber dieses Mal hatte ich dann doch das Gefühl, dass es einfach mal an der Zeit war, über die Liebe zu schreiben. Natürlich haben sich die Leute schon immer gefragt, ‘Ja, was ist er denn nun? Was ist mit ihm?’; und ich habe darauf nie eine Antwort gegeben, weil ich davon überzeugt bin, dass meine Musik da quasi für sich spricht. Man kann einen Menschen nun mal nicht dazu zwingen, etwas zu sagen, nur damit man ihn hinterher in eine Schublade stecken kann. Und ich war nun mal noch nicht reif genug.“
Wie unschwer zu erkennen, ist The Origin Of Love ein durch und durch persönliches und schon deshalb extrem wichtiges Werk für Mika: „Wir haben damit im Grunde genommen versucht, Glücksmomente einzufangen, diese besonderen Momente zu bewahren. Jeder Moment dieses Albums zeigt, wie glücklich ich bin mit meinem Leben. Ich kann es kaum abwarten, dass die Leute es endlich zu hören bekommen.“
Und natürlich ist Mika auch ein wenig aufgeregt, ein derart persönliches Werk zu veröffentlichen: „Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, wie sie darauf reagieren werden“, meint er abschließend. „Ich mache nun mal Musik mit Herzen obendrauf – und das finden manche Leute durchaus schwierig zu verdauen. Hin und wieder sind ein paar richtig große Songs dabei. Allerdings glaube ich nicht, dass ich seit ‘Grace Kelly’ einen Song geschrieben habe, bei dem die Latte so hoch lag wie jetzt bei The Origin Of Love.“
Und genau hier beginnt das nächste Kapitel.

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