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Jugendsünden, Broterwerb

13.09.2002
“Wir brauchen keine Genies, wir brauchen brave Untertanen”, proklamierte Kaiser Franz II als Staatsmaxime und zwang mit diesem Diktum und dessen Folgen die bürgerliche Kunst zum Rückzug ins Private. Für junge Komponisten wie Franz Schubert wurde dadurch die Situation nicht leichter. Er hielt sich mit Situationswerken über Wasser und schrieb nahezu pausenlos. Es dauerte trotzdem lange, bis die Welt sein Genie erkannte. Dank Franz II und dem Geist des Konservatismus.
Immerhin, Franz Schubert hatte einen Gönner. Er hieß Franz von Schober, unterhielt einen Salon in Wien und beherbergte seinen Freund, wann immer dieser Unterstützung brauchte. Das war dringend nötig, denn die Karriere des jungen Komponisten wollte lange Jahre nicht in die Gänge kommen. Als arbeitsscheuer Geselle gescholten und aus dem Elternhaus verjagt, schlug sich Schubert seit den 1810er Jahren leidlich durch, mal als Musiklehrer der Töchter des Grafen Esterházy, mal als Gelegenheitsschreiber populärer Melodien. Sein Gespür für angenehme Weisen verhalf ihm dabei zu zahlreichen Miniaturen, Liedvertonungen und Tänzen, die ihm wie nebenbei aus der Feder flossen. Manchmal brauchte es dazu sogenannte Schubertiaden, das heißt gesellige Abende in Anwesenheit des Komponisten, der über allerlei Themen improvisierte und manche Ideen am Folgetag zu Papier brachte. Zuweilen entstanden sie aber auch in Ruhephasen wie im Mai 1823, als sich Schubert von seiner ersten Erkrankung an Syphilis erholte und die zwölf Ländler D790 ersann. Da der Biedermeier gerne tanzte und sich selbst in den Salons feierte, hatten diese kleinen Albumblätter im alltäglichen Leben mehr Erfolg als seine großen Werke. Verlegt wurden sie trotzdem kaum.
 
Nicht viel besser sah es mit den Sonaten aus. Schubert versuchte bereits 1817 mit dem Dreierzyklus der a-moll, Des-Dur und H-Dur-Sonate bei Verlegern unterzukommen, in der Hoffnung auf den boomenden Amateurmarkt, der ständig neue Klaviervorlagen für höhere Töchter und wohlhabende Bürgerliche brauchte. Doch keines der drei Werke wurde zu Lebzeiten Schuberts gedruckt. Das verwundert, denn die elegante, an der Oberfläche leicht verständliche Gestaltung der Klavierstücke mit deutlich romantisierendem Unterton macht sie bis heute zu den zugänglichsten Sonaten des produktiven Workaholics. Mitsuko Uchida hat sie in ihrer umfangreichen Schubert-Reihe daher mit zwei Sammlungen Deutscher Tänze kombiniert, um ihrem verspielten Charakter den passenden Rahmen zu geben. Überhaupt gelingt es der Pianistin aus Tokio, den komplexen Formen eine Leichtigkeit abzugewinnen, die dem ursprünglichen Zusammenhang der Entstehung gerecht wird. Denn im Unterschied zum schwermütigen Spätwerk ist hier noch ein Schubert zu erleben, den der Überschwang beherrschte.

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