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Golden Girl

01.04.2004
Was für eine Premiere! Als Giacomo Puccinis Oper “La Fanciulla del West” (“Das Mädchen aus dem goldenen Westen”) am 10. Dezember 1910 an der Met uraufgeführt wurde, waren neben Emmy Destinn in der Titelrolle unter anderem Enrico Caruso, Pasquale Amato und am Pult Arturo Toscanini zu erleben. Natürlich wurde diese Inszenierung ein Erfolg. Und doch gehört die “Fanciulla” noch immer zu den selten gespielten Werken des italienischen Opernheroen.
Es gab einmal eine Zeit, da verkörperte Amerika noch den Traum der Freiheit und unbegrenzten Möglichkeiten. Damals, im 19. Jahrhundert emigrierten zahlreiche Menschen in die Staaten, die in der restriktiven Ära der ihrem Ende zusteuernden europäischen Monarchien keine Zukunft mehr sahen. Viele waren einfache Siedler, manche wiederum Abenteurer oder auch Banditen. Jedenfalls verwandelte sich die neue Welt schnell in einen Projektionsraum exotischer Phantasien, besonders als sich herumsprach, dass man in manchen Flüssen Gold aus dem Sand waschen könne. Die Literatur stürzte sich auf das Thema, generierte Reiseberichte und Tagebücher, Indianerromane und Goldgräbergeschichten. Als Giacomo Puccini sich auf die Suche nach einem bühnenfähigen Stoff machte, den er der verehrten dramatischen Sopranistin Emmy Destinn auf den Leib schreiben wollte, stieß er daher auf ein Drama von David Belasco, das die Liebesgeschichte einer resoluten Bardame zu einem Halunken wider Willen beschrieb. Er ließ es von Guelfo Civinin und Carlo Zangarini in ein Libretto umwandeln und gestaltete darum eine der schwierigsten Gesangpartien seiner Komponistenlaufbahn. Selbst die große Birgit Nilsson hat die Minnie nie auf der Bühne gesungen, aus Respekt vor der Kondition und Komplexität, die die Rolle erfordert: “Turandot ist extrem hoch, aber man bleibt konstant in der Höhe, während sich die Minnie oft in einer unbequemen tiefen Lage bewegt und dann plötzlich hoch hinauf muss. Immer wieder geht es rauf und runter, und das ermüdet die Stimme sehr schnell”.
 
Doch die Minnie hat noch mehr Tücken. Denn der Charakter der Rolle verlangt ein burschikoses, selbstsicheres Mädchen, das mit Colt und Pferden, Goldsuchern und Halunken glaubwürdig umgehen können muss. Wenn man sie mit einer allzu reifen Matrone schmückt, wird die Oper schnell zur Farce und die dramatische Leibesgeschichte zur albernen Angelegenheit. Umso spannender ist es, wenn sich mit Sängerinnen wie der 1946 im kalifornischen Modesto geborenen Carol Neblett eine nahezu ideale Besetzung anbietet. Als Plácido Domingo sie Mitte der Siebziger für eine Neuinszenierung der “Fanciulla” an der Mailänder Scala vorschlug, bewies er die passende Voraussicht. Zwar musste er mit dem Projekt schließlich nach Turin ausweichen, die Premiere und die umjubelten Gastspiele in Wien (1976) und Covent Garden (1977) bestätigten jedoch sein Gespür für die passende Minnie. Und so beschloss auch die Deutsche Grammophon, diese großartige Aufführung für die Nachwelt festzuhalten. Im Juni 1977 zeichnete ihr Technikerteam eine Vorstellungsserie in Covent Garden auf und schuf daraus eine nahezu ideale Version für LP, die dann mit den Möglichkeiten des Remasterings für CD auf den bestmöglichen Stand der Klangwiedergabe gebracht wurde. Neben Neblett (Minnie) und Domingo (Ramerrez) sind unter anderem Sherrill Milnes (Sheriff), Francis Egerton (Nick) und Robert Lloyd (Ashby) zu erleben. Am Pult von Chor und Orchester des Royal Opera House steht Zubin Mehta und verwandelt mit sicherem Gespür für die (oft übergangenen) dramatischen Feinheiten der “Fanciulla” das musikalische Geschehen in ein sensibel gestaltetes Netzwerk sinfonischer Finessen. So ist ein mustergültiges “Mädchen aus dem goldenen Westen” entstanden, das nicht umsonst zu den Referenzen der Puccini-Diskographie gehört.

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