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Sting: All This Time

18.11.2001
Es gibt solche Stimmen, die sind einfach Balsam für die geschundene Seele. Und da ist man dann doch wieder gnädig vor so mancher Gut-Mensch-Attitüde, die gerade Sting immerhin unvergleichlich verkörpert. Ob Regenwald oder Nelson Mandela – trotz aller tagespolitischen Tragik umweht stets ein charmanter Hauch das öffentlich gemachte Bewußtsein von Sting aka Gordon Sumner.
Umso sympathischer war daher auch seine unverkrampfte Anteilnahme am New Yorker Twin-Tower-Bombardement am 11. September. An einem Tag, an dem der Mann in der tiefsten Toskana seinen 50. Geburtstag im großen Stil begehen wollte. Und das mit musikalischen Brothers and Sisters in Mind, die allein solistisch schon für einen Ohrenschmaus nach dem anderen sorgen können: der Young Lion-Bassist Christian McBride stand ebenso auf der Bühne wie der algerische Vokal-Prinz Cheb Mami und Super-Drummer Manu Katché.
Glücklicherweise liess sich aber weder Sting noch ein ausgewähltes, auf 200 Personen reduziertes Publikum das Feiern verbieten. Einzig die Konzertübertragung im Internet wurde gecancelt, performte er mit “Fragile” lediglich ein einziges Lied im Netz. Der Rest ist ein 15-teiliges Acoustic-Set, für das noch einmal ganz weit in den Annalen Stings geblättert wurde. Und das nun mit “All This Time” auch diskographisch dokumentiert ist.
Ganz ohne sentimentalen Grundton kam dieses Best-of natürlich nicht aus. Was aber eben weniger an der westlichen Trauerhysterie lag. Stings Klang-Kulinarik speist sich schließlich seit über zwei Jahrzehnten aus einer Verschmelzung von tragfähiger Magie, sinnlicher Verführung und einer Prise Kitsch, der die pittoreske Umgebung im Chianti-Gebiet nur den Rest zu geben brauchte. Zwar hört man bei dem Live-Mitschnitt keine Pinien rauschen, Flaschen entkorken oder gar Wildschweine grunzen. Dafür prankte aber wohl über den längst zur musikalischen Allgemeinbildung gehörenden Song-Trüffeln Stings ein sternbesetzter Abendhimmel, der sich als prächtige Akustik- und Flair-Glocke entpuppte.
Für die Balladen “A Thousend Years” und “When We Dance”, bei denen zweifellos 400 Arme emporgereckt wurden. Für die Up-Tempo-Nummern “All This Time” und dem zum hymnischen Rausschmeißer sich steigernden “Every Breath You Take”. Und was zwischen diesen beiden künstlerischen Eckpfeilern noch passierte, ist reinste Edelware. Zumal Sting als eingefleischter Jazz-Apologet nicht zum falschen Crooner à la Robbie Williams konvertieren muss, um swingend in die Offensive zu gehen.
Gerade im unverwüstlichen “Roxanne” präsentiert Sting wie selbstverständlich seine Häutungen von iberischer Leichtigkeit über kammermusikalische, cello-getragene Intimität bis zum treibenden Blue Note-Freak. Mit einem Clark Gayton, der seine Posaune nur so brüllen und vibrieren lässt. Wird “Set Them Free” zu einer sich überschlagenden Session aus Cuban-Jazz und Gospel, bietet sich Sting dann in “Brand New Day” als Pop-Blueser an, der ganz auf eigenem Terrain steht, anstatt mit der Brechstange an irgendwelche Südstaaten-Maestri zu erinnern.
Das ist alles eher geschmackvoll, fetenkompatibel arrangiert als mit heißer, revolutionärer Nadel gestrickt. Denn immerhin blickt hier jemand auf ein Lebenswerk zurück, das die Kraft der zwei Herzen besitzt. Was einiges für die Zukunft bedeutet. Auch wenn Sting wohl nie jener Moritatensänger werden wird, als den er sich mal wieder in “Moon Over Bourbon Street” ausgibt.
Musiker: Sting (bs, g, v), Dominic Miller (g), Kipper (keys), Chris Botti (trumpet), Christian McBride (d-b), Manu Katché (dr), Marcos Suzano (percussion), Jacques Morelenbaum (cello), Clark Gayton (pos), Jason Rebello (piano), B.J. Cole (pedal steel), Janice Pendarvis (backing v), Katreese Barnes (backing v), Jeff Young (backing v, organ), Haoua Abdelnasser (djarbuka), Cheb Mami (v)
 

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