The Chemical Brothers | News | The Chemical Brothers, "Born in the Echoes", 2015

The Chemical Brothers, “Born in the Echoes”, 2015

The Chemical Brothers 2019
17.06.2015
Irgendwo in den grünen, idyllisch wogenden Weiten Südenglands nehmen diese Echos ihren Ursprung: Dort nämlich, in einem abgelegenen Haus, gibt es ein dunkles Zimmer, dessen Wände so gut wie komplett mit liebevoll restaurierten analogen Gerätschaften und deren modernen, digitalen Pendants zugepflastert sind. Es ist eine echte Sound-Fabrik: Fader und Oszillatoren, Steckfelder und Modulatoren so weit das Auge reicht. Gelegentlich herrscht in diesem Raum eine fast schon ehrwürdige Stille; dann ist es der ultimative Showroom, in dem viele der schönsten elektronischen Geräte versammelt sind, die von der Menschheit in den letzten Jahrzehnten erdacht und entwickelt wurden. Aber es gibt auch Phasen – nämlich immer dann, wenn die Architekten dieser Wunderkammer zugegen sind –, in denen die Wände dieses Zimmers kaum den fieberhaften Klängen standzuhalten scheinen: Dann ist es eine bebende Kathedrale, in der grandiosen Noise-Exkursen und kontrolliertem Chaos gehuldigt wird.
Hier also, an diesem abgeschiedenen Ort, entstehen diese Echos. Denn hier treffen sich The Chemical Brothers, um gemeinsam Musik zu machen.
Seit sie sich einst an der Universität von Manchester über den Weg liefen, machen The Chemical Brothers – Tom Rowlands und Ed Simons – Musik, die Grenzen ausradiert, sie transzendiert. Ihre Aufnahmen, für die sie erst 2014 mit einem Ivor-Novello-Award („Outstanding Song Collection“) ausgezeichnet wurden, sind mit nichts zu vergleichen: Weder mit den elektronischen Acts, die vor ihnen kamen, noch mit jenen, die ihnen im Fahrwasser gefolgt sind. Ihr Name steht längst für einen ganzen Katalog von Songs, auf denen sie die verschiedensten Spielarten der Underground-Clubmusik immer wieder neu und jedes Mal mit massivem Erfolg in extrem eingängige Hymnen verwandelt haben. Was ihre atemberaubenden Live-Shows angeht, haben deren bewusstseinserweiternde Qualitäten, diese Mischung aus visuellem Overload und multidimensionalem Sound-Rundumschlag, dafür gesorgt, dass sie seit rund 20 Jahren als das ultimative Bühnen-Erlebnis gelten.
„Born In The Echoes“ ist das achte Studioalbum von The Chemical Brothers. In jenem abgelegenen Zimmer in den fünf Jahren herangereift, die seit ihrem letzten Album „Further“ und der dazugehörigen Tour (zu sehen bzw. hören im Film „Don’t Think“ sowie auf dem gleichnamigen Live-Album; 2012) ins Land gegangen sind, begegnet man hier einem Duo, das seinen Sound weiterentwickelt und ihn zugleich entschlackt hat – ganz klar auch als Reaktion auf die Art von Dance-Musik, die momentan in den Clubs läuft.
„Ich habe ehrlich gesagt das Gefühl“, beginnt Tom Rowlands, „dass der eigentliche Groove kaum noch in diesen Dance-Songs zu finden ist; als ob da einer James Brown aus der Rechnung gestrichen hätte. Heute kann alles richtig massiv und super und einfach nur krass klingen – das ist ja fast schon eine Art Wettrüsten. Die Leute buchen sich diese riesigen Studios und versuchen dort, diese aalglatten Standard-Sounds möglichst präzise aufzunehmen. Aber dieser ganze Ansatz hat nichts mit dem Schweiß und der Intensität und dem ganzen Chaos zu tun, das mich persönlich schon immer so sehr fasziniert hat. Heutzutage haben wir so viel Technik zur Verfügung, um Musik zu machen, aber es geht letztlich um genau die Momente, an denen die Musik einem durchbrennt und man einfach nur versucht, bloß die Zügel nicht loszulassen.“
Ed Simons sieht das genauso: „Ja, es gibt schon sehr viel elektronische Musik, die wirklich gut ist, aber vieles davon klingt irgendwie extrem zweckmäßig. Es gab mal eine Phase, in der echt schräge Sachen im Dance-Bereich passiert sind – und genau daran wollten wir dieses Mal anknüpfen. Es ging uns aber nicht um etwas Schräges, das einfach nur als Gegenthese funktioniert, sondern schlichtweg um etwas Schräges, das einen berauscht und magisch anzieht.“
„Wir haben schließlich sehr viel frühe Acid-House-Aufnahmen und Techno-Sachen gehört“, ergänzt Tom. „Besonders die ganzen Edits und Mixes von Ron Hardy. Die klingen einfach knallhart, so seltsam psychedelisch; nicht wie Paisley Underground-Sachen, aber doch irgendwie magisch. Sie klangen echt durchgeknallt und wild. Unser Ziel lautete also, genau diese Stimmung, dieses Wilde einzufangen. Und diese alten Scheiben haben uns schließlich schon immer dazu inspiriert, an neuen Basslines und Grooves zu arbeiten.“
Diesem wilden, unbehandelten Groove, diesem seltsamen, schrägen Etwas begegnet man auf „Born In The Echos“ immer wieder: Angefangen bei den Verschachtelungen des an Escher erinnernden „Sometimes I Feel So Deserted“, über die Freakbeat-Einlagen von „I’ll See You There“ und die benebelten Robo-Rhythmen von „Under Neon Lights“ (feat. St. Vincent), bis hin zu den wild durcheinandergehenden Gesangsspuren des Titelsongs (beigesteuert von Cate le Bon), geht es Tom und Ed ganz offensichtlich darum, mit jedem einzelnen Track musikalisches Neuland abzustecken und dabei die Erwartungshaltungen der Zuhörer kontinuierlich zu unterwandern: Sie setzen auf Kontraste, auf extrem viel Reibung – und kreieren so pure, vertonte, elektrifizierte Euphorie.
Ganz anders als auf dem größtenteils instrumental gehaltenen Vorgänger „Further“, haben The Chemical Brothers auf „Born In The Echoes“ eine ganze Reihe von Gästen an ihre Seite geholt: Neben den bereits erwähnten Sängerinnen Cate le Bon und Annie Clark (besser bekannt als St. Vincent) wären das auch alte Bekannte wie Q-Tip (zu hören über dem treibenden Funk-Beat von Go) und Ali Love (auf dem Analog-Rundumschlag „EML Ritual), während erstmals auch Beck mit von der Partie ist, der hier seinen ersten neuen Song präsentiert, seit er Anfang des Jahres den Grammy in der Kategorie „Best Album“ (für „Morning Phase“) in Empfang nehmen konnte.
Obwohl jeder dieser Gäste seine ganz eigene Note beisteuert, fügen sich die Gesangsspuren durchweg nahtlos in die eklektischen Beat-Exkursionen der beiden Brothers ein. „Wir versuchen immer, mit Gleichgesinnten zu arbeiten“, meint Tom, „wobei deren Musik schon aus einer etwas anderen Ecke kommen sollte. Annie ist eine unglaubliche Sängerin, und genau wie Cate ist sie wirklich für jedes Experiment zu haben. Ihre Musik ist extrem psychedelisch, aber zugleich durch und durch zeitgenössisch.“
„Wir arbeiten ja immer schon mit grandiosen, wirklich interessanten Leuten zusammen“, ergänzt Ed. „Einen richtigen Masterplan haben wir nicht; stattdessen soll das Ganze einfach Spaß machen und sich ganz natürlich und unbeschwert anfühlen – das war schon ganz früher so, als wir mit Freunden wie Beth (Orton) und Tim (Burgess) gearbeitet haben. Und ja, ich würde auch sagen, dass die Gesangsspuren dieses Mal noch besser integriert sind; sie sind wirklich ein Teil des gesamten Sounds.“
Nach unzähligen Headliner-Auftritten bei diversen großen Festivals rund um den Globus, wo The Chemical Brothers ihr letztes Album „Further“ im Anschluss an die Veröffentlichung präsentiert hatten, legten die beiden eine Konzertpause ein, um jedoch stattdessen so viele DJ-Gigs zu spielen, wie sie es seit ihren Anfangstagen nicht mehr getan hatten. Auch das ist eine Sache, die ganz klar ihre Spuren auf „Born In The Echoes“ hinterlassen hat. Kein Wunder: Schließlich hatten derartige DJ-Nächte schon früher ihre begehrten „Electronic Battle Weapons“ inspiriert (limitierte Club-Releases der beiden, die in unregelmäßigen Abständen erscheinen)…
Ed: „Beim Auflegen liegt der Fokus ganz klar auf der Produktion, und das ist etwas, das wir seit dem Ende der letzten Tour ziemlich intensiv verfolgt haben. Wir greifen damit letztlich das auf, was uns ganz zu Beginn unserer Karriere angetrieben hat: Die Suche nach denjenigen Tracks, die einen ganzen Raum in eine Party verwandeln können. Die Musik hat dieses Potenzial, sie kreiert eine Atmosphäre. Und die Reaktion der Leute kann sich wiederum darauf auswirken, wie ein Song letzten Endes klingt.“
„‘Sometimes I Feel So Deserted’ ist so ein Beispiel, denn wir kehrten immer wieder zu diesem unglaublichen Groove zurück, den wir in seiner unbehandelten Urform als DJs schon sehr viel früher eingesetzt hatten, lange bevor daraus ein Albumsong wurde“, berichtet Tom, und Ed ergänzt: „Kann schon sein, dass ‘Sometimes I Feel So Deserted’ wie ein massiver Rave-Track rüberkommt, aber im Grunde genommen ist das einfach nur ein echt sonderbares Musikstück. Als wir es bei einem DJ-Gig in Barcelona zum ersten Mal spielten sind die Leute komplett ausgerastet. Das war fast schon ein spiritueller Moment!“
Diesen Sommer werden The Chemical Brothers ihre ersten regulären Live-Shows seit 2012 spielen – unter anderem als Headliner bei Mega-Festivals wie Glastonbury, Sónar und dem Bestival. Das sind letztlich diejenigen Momente, in denen sie ihre spirituellen Dancefloor-Erlebnisse auf den nächsten Level befördern.
Denn genau dann, genau dort sind diese Echos am deutlichsten zu hören. 

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