Thomas Mann | News | Die Jahrhundert-Saga

Die Jahrhundert-Saga

26.08.2005
Manchmal brachte es Ernest Hemingway mit ironischer Schärfe auf den Punkt. Als im Jahr 1935 die Gratulanten anstanden, um deutschen den Dichterfürsten zum 60.Geburtstag zu beglückwünschen, meinte er schlicht, dass Thomas Mann ein bedeutender Schriftsteller geworden wäre, wenn er nichts anderes als die Buddenbrooks geschrieben hätte. Und dieses Bonmot hat durchaus einen wahren Kern. Denn niemals wieder erreichte Mann eine derartige Eindringlichkeit der Darstellung, wie sie ihm als junger Autor um die Jahrhundertwende mit seinem Erstlingswerk gelang. Nicht umsonst bekam er dafür 1929 den Nobelpreis für Literatur zugesprochen.
Der Untertitel des Romans lautet: “Verfall einer Familie”. Für Thomas Mann hatte das zunächst nichts Negatives. Es war als Zustandsbeschreibung gedacht, denn schließlich ging es genau um jenen Prozess der Auflösung bürgerlicher Werte im Angesicht der galoppierenden Industrialisierung, der Proletarisierung und Umstrukturierung der deutschen Vorkriegsgesellschaft, die letztlich zu derart unauflösbaren Spannungen führte, dass sie in der Katastrophe von 1914 endete. Mann hatte diesen Geist gespürt, er sprang ihm an allen Ecken und Enden der Fin-de-Siècle-Ära entgegen und er schaffte den Kunstgriff, dieses Lebensgefühl der Verunsicherung am Beispiel einer einzelnen Kaufmannsfamilie aus Lübeck zu konkretisieren. Dabei war es für den Jungschriftsteller selbst ein großes Abenteuer, sich auf den stetig wachsenden Stoff seines Romans, der eigentlich als Erzählung begann, einzulassen.
 
Als er später als arrivierter Literat gebeten wurde, sich zu seinem Debüt zu äußern, nährte Thomas Mann den beinahe Hesse’schen Mythos von der den Dichter vorantreibenden Intuition: “Es ist etwas höchst Merkwürdiges um diesen Eigenwillen eines Werkes, das werden soll, das ideell eigentlich schon da ist und bei dessen Verwirklichung den Autor selbst die größten Überraschungen treffen. Ein erstes Werk, welche Schule der Erfahrungen für den jungen Künstler – der objektiven und subjektiven Erfahrung! Was das eigentlich sei, das Element des Epischen, ich erfuhr es erst, indem es mich auf seinen Wellen dahintrug. Was ich selber sei, was ich wolle und nicht wolle, nämlich nicht südliche Schönheitsruhmredigkeit, sondern den Norden, ethik, Musik, Humor; wie ich mich zum Leben verhielte und wie zum Tode; ich erfuhr das alles, indem ich schrieb – und erfuhr zugleich, daß der Mensch auf keine andere Weise sich kennenlernt, als indem er handelt”.

Tatsächlich handelte Mann und trug das auf beachtliche Größe angeschwollene Manuskript zur Post, schloss extra eine Versandversicherung ab und hoffte, dass es bei seinem Verleger Fischer ankäme. Die Antwort ließ lange auf sich warten. Das Buch sei zu lang, hieß es schließlich, ob er es nicht auf die Hälfte kürzen könne. Der Autor war entsetzt, bestand auf dem Umfang, der Verleger gab nach, druckte 1901 zunächst eine zweibändige Ausgabe, die sich schlecht verkaufte, dann eine einbändige, die wegging wie warme Semmeln. Die Menschen hatten ihrer Roman gefunden, ihn als das entdeckt, was er war, eines der ersten großen erzählerischen Werke des neuen Jahrhunderts. Seitdem gehören die Buddenbrooks zu den meist gelesenen Schwarten der Weltliteratur, immer wieder bewundert ob ihrer eigenartigen Fähigkeit, bei aller Eloquenz und Weitschweifigkeit doch spannend, konkret, nachempfindbar zu bleiben.
 
Und daher war es auch eines Tages für die Deutsche Grammophon an der Zeit, sich vor diesem Meisterwerk zu verneigen und eine vorgelesene, oder besser vorgetragene und vorgespielte Version auf Langspielplatten zu edieren. Als Stimme konnte Gert Westphal gewonnen werden, Rezitator, Schauspieler, Leiter von Hörspielabteilungen, Chefregisseur im Fernsehen, Theaterdirektor in Bremen und überzeugter Verfechter einer Vorstellung von Hochkultur, die auf Autoren wie Thomas Mann gründet. Er ging von November 1979 an über mehr als ein halbes Jahr hinweg immer wieder ins Studio, um aus den Buddenbrooks zu lesen. Und er schaffte es mit der ihm eigenen Mischung aus Enthusiasmus und Kompetenz, einen Klassiker der Hörbuchgeschichte zu gestalten, der nun auf 22 CDs in einer liebevoll edierte Box erhältlich ist.

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