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Der Link zum Göttlichen

02.10.2007
Nicht zuletzt der spirituelle Aspekt hebt das Oeuvre von Johann Sebastian Bach aus dem Ensemble der Barock-Musik heraus. Denn mehr als jedem anderen Komponisten ist es ihm gelungen, mit seinen Werken eine Sphäre zu erreichen, die das alltägliche Dasein hinter sich lässt und für intensive Momente das Menschlichen transzendiert. Viele Bach-Freunde und Kenner wiederum betrachten innerhalb des umfangreichen Werkschaffens gerade die Kantaten als besonders leuchtende Momente der Inspiration, die die Grenzen der ästhetischen Wahrnehmung überschreiten. Damit treffen sie auch die Meinungen von Thomas Quasthoff und Dorothea Röschmann, die in Bachs Linien und Einfällen das Göttliche hindurch scheinen sehen und sich deshalb drei speziellen Werke seines geistlichen Werkes widmen, der faszinierenden Dialog-Kantaten.
Für den barocken Menschen hatte der Tod auch eine hoffnungsvolle Komponente. Zu sehr hatte er mit verheerenden Katastrophen wie den Pest-Zügen und dem Dreißigjährigen Krieg erleben müssen, an welchem seidenen Faden die eigene Existenz oft hängt. Tod also war ein Bestandteil des täglichen Lebens, die Kehrseite der Schönheit, das Skelett der Totentänze, das Memento Mori des Sensenmannes, der von jedem zweiten Altar diese Jahre grüßte. Geistliche Kunst beschäftigte sich daher intensiv mit der Vergänglichkeit, der “Eitelkeit”, gegen die es als Mittel nur den Glauben gab. Um diesen auf der anderen Seite mit der Erlösung auf sinnvolle und wenig beängstigende Form zusammen zu bringen, erdachte man sich ausgefeilte theologische Konstrukte, die der Endgültigkeit ihren Schrecken nehmen sollten – zumal ja auch das Sterben Christi am Kreuz per se einen gewaltvolle Akt erinnerte, mit befreiender aber auch beängstigender Komponente. So gab es zum Beispiel die Idee der “unio mystica”, der Vereinigung im Geiste, die mit Jesus Christus als Bräutigam und der gläubigen Seele als Braut auf die unmittelbarsten Erfahrungen des Menschen, vor allem auf die Liebe rekurrierten. Sie gehörten zum geläufigen Kanon geistlicher Weltsicht und waren auch ein Modell, mit dem sich Johann Sebastian Bach in seinen vokalen Werken auseinander setzte.
 
Am deutlichsten wird das unter anderem in der Dialog-Katate “Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet” BWV 57, wenn inhaltlich von “Ach! Dieser süße Trost” über “Ich wünsche mir den Tod” und “Ich reiche dir die Hand” bis hin zu “Ich ende behende mein irdisches Leben” und den Schluss “Richte dich, Liebste, nach meinem Gefallen” vorangeschritten wird. Das hat nichts von konkreter Todessehnsucht, wie sie später die Romantik verstand, sondern ist allegorisch gemeint und kann daher auch mit reiner Intensität, ohne Irritation gesungen werden. Für den Bass-Bariton Thomas Quasthoff und seine Partnerin Dorothea Röschmann ist das eine Möglichkeit, dem Geheimnis der Bach’schen Schaffenskraft auf die Spur zu kommen, eine von drei Variationen zum Thema in Gestalt der drei Dialog-Kantaten BWV 49, BWV 57 und BWV 152, die der Komponist selbst als irdisches Zwiegespräch in Vertretung des göttlichen Austausches angelegt hat. Dabei geht es beiden Koryphäen vor allem um den Ausdruck des Numinosen, dem sich die Gestaltung unterzuordnen hat, einschließlich der künstlerischen Dogmen der historischen Aufführungspraxis: “Ich stehe zwischen der alten und der neuen Aufführungspraxis und bin kein Anhänger der Puristen, für die ein Vibrato bereits eine Todsünde ist. Natürlich gibt es für mich durchaus Passagen, die kein oder nur ein ganz geringes Vibrato vertragen, aber grundsätzlich ohne Vibrato zu singen, halte ich für unangemessen”, erläutert Thomas Quasthoff eine seiner Darstellungsmaximen, deren Plausibilität er mit Dorothea Röschmanns Vorstellungen teilt. Überhaupt mussten beide sich nicht groß absprechen, um interpretatorisch auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Der eine als dreifacher Grammy-Preisträger weltweit als eine der Autoritäten seines Fachs ausgewiesen, die andere als Star der großen Bühnen von New York bis Salzburg und London bis Paris präsent, gelingt ihnen gemeinsam mit den Berliner Barocksolisten unter der Leitung von Rainer Kussmaul eine sympathetische Umsetzung der Bach’schen Meisterwerke, wie sie nach dem derzeitigen Stand der Vokalkunst kaum noch gelungener sein könnte.

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