Thomas Quasthoff | News | Die Dreiminuten-Szene

Die Dreiminuten-Szene

29.03.2001
Gute Lieder sind wie leckere Schnellgerichte. Schnell aufgegossen, schon sitzt die Szene. Thomas Quasthoff ist Meisterkoch.
“Schwanengesang: Bez. für das letzte Werk eines Künstlers, bes. eines Dichters, vor seinem Tod; nach der antiken, bei Äschylus, Cicero u.a. überlieferten Vorstellung, dass ein Schwan beim Sterben melod. Klagelaute singe.” So zumindest sagt es das Lexikon. Eine antike poetische Spekulation und schöne Metapher für einen künstlerischen Abgesang.
 
Schön und spekulativ – das kann man auch von einer Liedersammlung Franz Schuberts behaupten, die eigentlich unter einem ganz anderen Titel berühmt wurde. Dreizehn Lieder auf Texte von Ludwig Rellstab und Heinrich Heine, wohl nur der Symmetrie halber ergänzt durch ein Lied nach Johann Gabriel Seidl. Das ist Schuberts “Schwanengesang”. Viel weiß man jedoch nicht über den letzten großen Liederzyklus dieses Komponisten: Mit einiger Sicherheit sind alle vierzehn Lieder 1828 entstanden, im letzten Lebensjahr Franz Schuberts. Sicher scheint auch, dass Schubert die sieben Lieder nach Rellstab und jene sechs nach Heine als eine zusammengehörige Liederfolge sah. Und von Tobias Haslinger, seit 1826 Inhaber des berühmten Musikverlages Steiner, stammt der Begriff “Schwanengesang”, den er über die Erstausgabe der Sammlung 1829 setzte. Allerdings hatte er dabei weniger den Titel für Schuberts Liederzyklus im Sinn, als vielmehr die Bezeichnung für die “letzten Blüten seiner edlen Kraft … jene Tondichtungen, die er im August 1828, kurz vor seinem Dahinscheiden, geschrieben” hatte. Und das ist dann auch schon alles, was wir mit einiger Sicherheit über diesen “Schwanengesang” wissen. Der Rest sind Spekulationen.
 
Wie etwa kam Franz Schubert an die Rellstab-Gedichte? Sie befanden sich nämlich ursprünglich im Nachlass Ludwig van Beethovens, und Schubert soll sie nach dem Tod seines großen Vorbildes durch dessen Faktotum Anton Schindler bekommen haben. Waren es eigentlich wirklich nur zehn Gedichte, von denen Schubert dann sieben im August 1828 als Serie zusammenfasste? Apropos August: Es gibt klare Hinweise, dass mindestens zwei Lieder schon im April entstanden sein könnten. Und überhaupt, Heines “Reisebilder von 1826”: Hier äußern einige bedeutende Schubert-Experten sogar den Verdacht, dass sie gar nicht zur selben Zeit wie die anderen Lieder, sondern bereits im Januar und Februar 1828 entstanden sind? Damals nämlich las und diskutierte man Heines Texte in den beliebten Lesezirkeln im Haus von Schuberts Freund Franz von Schober.
 
Wer sich die Lieder genau anhört, für den dürfte feststehen: Das kann nicht in ein und demselben Monat komponiert worden sein! Hier ein freundlicher, fast heiterer Tonfall, dort todtraurige Melancholie. Vor allem in “Der Doppelgänger” – von dem ein heutiger Interpret sagt, hier gäbe es mehr Dramatik als im gesamten Schaffen von Richard Wagner – glaubt man, die Welt bricht über einem zusammen. Die war 1896 über Johannes Brahms wohl schon zusammengebrochen, als er vom Schlaganfall seiner geliebten Freundin Clara Schumann erfuhr und ihr mit seiner ganz persönlichen musikalischen Handschrift auf vier Verse aus der Bibel ein klingendes Denkmal setzen wollte.
 
Thomas Quasthoff kennt beide Liedersammlungen seit langem. “Ich habe beide Zyklen, wobei der ‘Schwanengesang’ ja kein Zyklus im eigentlichen Sinne des Wortes ist, häufig im Konzert gesungen. Ja, und die ‘Vier ernsten Gesänge’ begleiten mich fast seit Beginn meiner Kariere als Sänger.” Diese überaus erfolgreiche Karriere ist rekordverdächtig, wenn es um internationale Musikpreise geht und führt geradewegs zu den großen Dirigenten, die mittlerweile bei dem ausdrucksstarken und klangschönen Bassbariton Schlange stehen. Und bald erfüllt sich für den auch 2001 für einen GRAMMY Nominierten ein lang gehegter Wunsch: Thomas Quasthoff erobert die Opernbühnen der Welt. Der Minister in Beethovens “Fidelio” bei den Salzburger Festspielen 2003 ist dabei quasi die Generalprobe für die Rolle des Amfortas in Wagners “Parsifal” an der Wiener Staatsoper 2004. Die Liebe zu den Liederabenden jedoch wird bleiben, denn: “Liederabende sind etwas ganz Besonderes”, schwärmt Thomas Quasthoff. “Lieder sind wie kleine Opernszenen, nur dass wir Liedsänger dafür nur drei Minuten Zeit haben, während ein Kollege auf der Opernbühne sich sehr viel mehr Zeit nehmen kann…” Spätestens als Amfortas darf sich dann auch Quasthoff sehr viel mehr Zeit nehmen.

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