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Von der Oper verführt

04.04.2002
Wie ausdrucksstark kann eine Stimme sein? Wie dramatisch, farbenreich, sanft, wandlungsfähig, komisch – ohne dabei in Selbstgefälligkeit zu ersticken? Thomas Quasthoff demonstriert mit seinem Arien-Recital die Vielfalt seiner stimmlichen Möglichkeiten und zeigt, wie musikalisch reizvoll es sein kann, wenn ein erfolgreicher Liedersänger von der Oper verführt wird.
Wäre Gesang eine populäre Sportart wie Fussball oder Formel 1, würde man Thomas Quasthoff einen Champion in der Kategorie Lied nennen. Aber Gesang ist “nur” eine Kunst und so kann der Sänger auf den Genuss solcher Titel verzichten. Was ihm überhaupt nicht schadet. Denn Thomas Quasthoff ist einer der erfolgreichsten Vertretern des Lied- und Konzertfachs unserer Zeit mit meist ausverkauften Konzertsälen, zahlreichen Preisen, darunter einem Grammy 2000 für “Des Knaben Wunderhorn”, und CDs, die aus den Klassik- Charts nicht weg zu denken sind. Höchste Zeit nun also, dass dieser Star des Liedergesangs seine Kräfte in der begehrenswertesten und prestigeträchtigsten Arena der Gesangskunst misst, in der Arena der Oper.
 
Und das tut er auf eine geradezu sensationelle Art. Anders als bei vielen Recital-CDs, die mit einer konzeptarmen Programmauswahl einzig der Großdarstellung des Solisten dienen, gestaltet Quasthoff mit “Deutsche Opern Arien” eine spannende thematische Hommage: “Wir wollten eine gewisse musikalische Entwicklung von Albert Lortzing über Carl Maria von Weber bis Wagner und Richard Strauss zeigen” beschreibt er das Vorliegen der Einspielung. “Wir” steht hier für seine Zusammenarbeit mit dem GMD der Deutschen Oper Berlin und Dirigenten der Aufnahme Christian Thielemann, der die Stückauswahl mitbestimmt hat. Dabei fällt es einem nicht schwer, den heimlichen Schwerpunkt der CD zu entdecken: das ist der heute nicht allzu oft gespielte Opernkomponist Albert Lortzing.
 
“Ich finde ihn einen bei Weitem viel zu schlecht beurteilten Komponisten und ich war ein bisschen traurig, dass im Lortzing-Jahr 2001 Lortzing nicht stattfand. Es sind Spielopern mit viel Humor und es war gar keine Frage, dass auf einer CD mit romantischen Deutschen Arien Lortzing ein Schwerpunkt sein wird.” Thomas Quasthoff kann nicht genug vom unterschätzten Komponisten schwärmen und erzählt weiter, wo der wahre Grund seiner Liebe für Lortzing liegt: “Ich bin mit dieser Musik groß geworden, ich liebe sie. Mein Vater hat Gesang studiert und wir haben natürlich sehr viel Musik zu Hause gehört. Und da war Lortzing einer der meist gespielten Komponisten neben Löwe, Schubert und Mozart.”
 
Auf der CD interpretiert er jeweils drei Arien aus der bekanntesten Lortzing-Oper “Zar und Zimmermann” und aus “Der Wildschütz” und demonstriert neben stimmlicher Vielfalt ein großes komödiantisches Talent. Er schlüpft in verschiedene Charaktere desselben Werks und verkörpert sie darstellerisch glaubhaft und musikalisch brillant. “Ich habe großen Spaß daran, komische Seiten des Gesangs auszuloten” gibt der Bassbariton zu Protokoll. Gerade in “Zar und Zimmermann” wechselt er mühelos vom eitlen Bürgermeister, einer Partie in bester Buffo Tradition, zum edlen Zaren; danach singt er aus “Der Wildschütz” den komischen Schulmeister ebenso wie den gefürchteten Grafen. Dass dieses Hin und Her nicht gerade der üblichen Praxis in den Opernhäusern entspricht, welche die Sänger oft zu streng nach Fach einteilen, kümmert den Bassbariton wenig: “Es ist wahr, dass ein Sänger in einem Opernbetrieb mehr festgelegt wird. Ich habe aber auf einer CD die Möglichkeit zu sagen: Mensch, ich möchte das nun ausprobieren, ich finde das Stück toll. Und wenn ich in der Lage bin, es auch zu machen, dann wäre ich dumm, wenn ich das nicht täte! Wenn man einen van Bett [Bürgermeister im Zar und Zimmermann] singen kann, ist es schön einen van Bett zu singen und wenn man einen Zar singen kann, ist es auch sehr schön einen Zar zu singen, weil es einfach Spaß macht!”
 
Aber auch bei so viel Spaß und spielerischem Esprit, vernachlässigt der Sänger Eines nicht: seine wunderbar klare, im Lied berühmt gewordene Sprachgestaltung. Wort und Musik als wahre Synthese und sinnliche Einheit, diese Tugend des Kunstliedes veredelt Quasthoffs Interpretation und zeigt, wie nah in der interpretatorischen Haltung Oper und Lied sein können. Worte wie “Schweigt glühenden Sehnens” , die Arie von Lysiart aus Webers “Euryanthe”, oder “Wie Todesahnung Dämmrung deckt die Lande, / umhüllt das Tal mit schwärzlichem Gewande”, die berühmte “Arie” des Wolfram von Eschenbach aus “Tannhäuser”, leuchten in ihrer romantischsten Glut.
 
Wird der Sänger nach dem Unterschied zwischen Lied und Oper gefragt, differenziert er eindeutig: “In der Oper hat man eine durchgehende dramatische Handlung, man ist als Schauspieler viel mehr gefragt und es ist, glaube ich, intensiver. Allein die Tatsache, dass man in der Oper mit einem Regisseur arbeitet, finde ich ungeheuer spannend, denn im Lied ist es allein meine Überzeugung, aber in der Oper ist es die Überzeugung eines anderen.”
 
Dass Quasthoff den größten Reiz einer Oper-(Mit)arbeit in derer kommunikativen Natur sieht, scheint mit seinem Temperament zu tun zu haben: “Ich liebe wirklich Menschen, ich liebe es, mit Menschen zu arbeiten, mit Menschen zu kommunizieren, für Menschen zu singen” sagt er.
 
Mit Singen fing er wiederum sehr jung an, mit dreizehn und als hoher Sopran. Damals war es nur ein Hobby: “Mein Bruder hat Tischtennis gespielt, ich habe gesungen”. Erst nach dem 1. Preis beim Internationalen Wettbewerb der ARD in München 1988 kam für ihn der große Durchbruch und damit die Überzeugung, dass er es auch als Sänger schaffen könnte. Trotzdem findet er, Wettbewerbe sind nur individuell zu bewerten, man kann nicht pauschalisieren, ob sie gut oder schlecht für die Entwicklung eines Sängers sind. “Für mich waren Wettbewerbe wichtig. Wenn man in einem Opernhaus ist und da singt, gibt es auch viele Möglichkeiten beobachtet zu werden und man braucht nicht unbedingt die Wettbewerbe”. Außerdem habe er bei den verschiedenen Wettbewerben gelernt zuzuhören, und dabei Gutes zu übernehmen oder Schlechtes für sich abzulehnen oder abzugewöhnen.
 
Diese Fähigkeit des Zuhörens ist dem Sänger nun auch in seiner Funktion als Professor für Gesang an der Musikhochschule Detmold nützlich. Da beklagt er sich über die sehr kurze Studienzeit und meint, die zehn Semester reichen nicht, um eigenständige künstlerische Persönlichkeiten zu formen. Und dann fasst er seine pädagogische Leitlinie so zusammen: “Ein Patentrezept gibt es nicht. Das Einzige ist wirklich mit Emotion, mit Passion dabei zu sein, seinen Kopf und sein Herz zu benutzen, um Musik zu machen. Das ist das Wichtigste, was ich jungen Studenten auf den Weg geben kann und muss.”
 
Auch ohne Patentrezepte, aber mit vielen Höhepunkten verlief bisher die Karriere von Thomas Quasthoff als Konzertsänger und Liederinterpreten. Und nun entdeckt der Sänger die Opernbühne für sich: Er nimmt nächstes Jahr an einer Produktion von “Fidelio” mit Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern teil. Außerdem singt er 2004 den Amfortas in einer Produktion der Wiener Staatsoper. “Ich freue mich wie ein kleines Kind auf diese Operngeschichten, weil ich hoffe, mit Regisseuren zu arbeiten, die mir neue Sichtweisen eröffnen und meinen Zugang zur Musik erweitern und mir ermöglichen, weiter neue Schritte zu gehen, die meiner Interpretation und meinem Gesang einfach helfen.”
 
Wir werden mit offenen Augen und Ohren dabei sein.

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