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Musik gegen den Terror

08.08.2003
Während der vorangegangenen Jahre hatte Dimitrij Schostakowitsch davon geredet, eine Lenin-Symphonie in Arbeit zu haben, zu Ehren des großen Führers der Russischen Revolution. Es wurde jedoch eine Leningrad-Symphonie daraus, denn der Komponist beendete das Werk während der Belagerung der Stadt durch die deutschen Truppen 1941/42. Es wurde eines seiner bekanntesten Orchesterstücke, wohl auch im Zuge sozialistischer Propaganda.
Hitler hatte Russland hintergangen. Als er im Juni 1941 seine Truppen nach Osten schickte überraschte er das Land mit seinem Terror und leitete zugleich den eigenen Niedergang ein. Denn die Wehrmacht war zwar in aller Eile hochgerüstet worden, letztendlich aber nicht auf die Belastungen vorbereitet, die ein Krieg in einem Land hervorruft, das von Klima und Geographie her kaum zu beherrschen ist. Der Russland-Feldzug war der Anfang von Ende, Stalingrad und auch Leningrad wurden zur Symbolen für das Scheitern der nationalsozialistischen Invasoren. Zunächst jedoch waren alle brüskiert. Innerhalb kurzer Zeit war es den Soldaten gelungen, Leningrad einzukesseln. Schostakowitsch, der während der Jugendjahre in seiner Heimatstadt so manche Veränderung erlebt hatte (als er 1906 geboren wurde, hieß sie noch St. Petersburg, dann wurde sie nach erbitterten Kämpfen der Russischen Revolution zunächst in Petrograd, schließlich in Leningrad umbenannt), schrieb die ersten drei Sätze seiner 7. Symphonie noch in der belagerten Stadt, bevor er mit seiner Familien erst nach Moskau, dann nach Kuibyschev evakuiert wurde. Dort wurde das Werk am 5. März 1942 uraufgeführt, wenig später in Moskau wiederholt und als Zeichen landesweit im Rundfunk übertragen.
 
Die Partitur gelangte als Mirkofilm über Teheran nach London, wo sie am 22.Juni 1942 anlässlich des traurigen Jubiläums des ersten Kriegsjahres in Russland von Sir Henry Wood in der BBC gewürdigt und dann in der Albert Hall aufgeführt wurde. Am 19. Juli 1942 wiederum dirigierte Arturo Toscanini in New York die Symphonie mit dem NBC-Symphonieorchester, der Beginn einer langen Reihe von Rundfunkaufführungen des Werkes im amerikanischen Radio. Am 9. August kam es sogar in Leningrad zu einem Konzert mit einem Rumpfensemble übriggebliebener Musiker in der Stadt. So wurde die Symphonie zu einem programmatischen Werk empor gespielt – und übrigens nach Kriegsende ebenso schnell wieder vergessen. Schostakowitsch selbst wollte sich in späteren Jahren auch nicht mehr darauf festlegen, ein antifaschistisches Oeuvre komponiert zu haben, sondern verstand es als allgemeines Mahnmahl gegen den Terror.
 
Interpretatorisch jedenfalls birgt die Symphonie einige Hürden in sich. Vor allem das berühmte “Invasionsthema” des ersten Satzes stellt sich aus gegenwärtiger Perspektive durchaus langatmig dar. Langsam entwickelt sich eine Flötenmelodie zu getrommeltem Marschrhythmus, wird schrittweise von Orchestereinfällen überdeckt, bis das Ganze in einem schier unerträglichen Gemenge der Stimmen endet. Für Valery Gergiev war es daher eine besondere Aufgabe, das ideologische überformte Werk auf eine künstlerische Basis zurückzuführen, die ein historisch korrekte, aber nicht historisierende Aufführung ermöglicht. Die Aufnahme entstand im September 2001 im niederländischen Rotterdam aus einer Zusammenarbeit des Kirov Orchestra mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra. Und es wurde ein ungewöhnliches Dokument musikalischer Strenge. Denn Gergiev domestizierte die Vorlage trotz des sich anbietenden Pathos' zu einer klaren, deutlich humanistisch wirkenden Interpretation, sodass Schostakowitsch auch aus der zeitlichen und ideologischen Distanz zu seinem Schaffen noch als großer Symphoniker verstanden werden kann. Einmal mehr gelingt dem renommierten Dirigenten damit ein Puzzlestein der kulturellen Akzeptanz russischer Überlieferung, die ihm so sehr am Herzen liegt.

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