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Rachmaninov – Vladimir Ashkenazy: Russische Seelen

28.06.2006
Sergej Rachmaninov und Vladimir Ashkenazy haben einiges gemeinsam. Vor allem in Fragen den Spielkultur kommen sie sich sehr nahe. Wo der eine noch aus der Tradition des kultivierten russischen Virtuosentums stammte, entwickelte der anderen bereits als junger Mann einen Ton und eine interpretatorische Transparenz, wie man sie sonst nur noch von Berühmtheiten wie Svjatoslav Richter kannte. Und beide Emigranten teilten im Geiste miteinander die tiefe Melancholie von Menschen, die ihre Heimat in der Ferne suchen mussten. So wundert es wenig, dass Ashkenazy Rachmaninov mit einer emotionalen Präsenz spielen kann, die Melancholie und Kampf in den Mittelpunkt stellt.
Kurz vor seinem zweiten Klavierkonzert hatte Sergej Rachmaninov aufgehört zu komponieren. Ihm saß der Schock von 1897, als seine erste Sinfonie von Publikum und Kritik abgelehnt worden war, derart in den Knochen, dass er drei Jahre lang kaum eine Note zu Papier bringen konnte. Dann erst wurde es langsam besser, nicht zuletzt auch durch die Unterstützung einer Therapie, die sein angekratztes Selbstbewusstsein wieder auf ein angemessenes Niveau heben konnte. Trotzdem war seine künstlerische Stimmung weiterhin labil und als sein Freund Nikita Morosov, dem er die Partitur seines zweiten Klavierkonzert zu lesen gegeben hatte, ein paar kritische Anmerkungen machte, war er drauf und dran, wieder die Contenance zu verlieren. “Ich bin einfach verzweifelt”, schrieb er ihm in einem Brief, " Du hast recht Nikita Semjonowitsch! Gerade habe ich den ersten Satz meines Konzertes gespielt, und erst jetzt wird mir klar, dass der Übergang vom ersten zum zweiten Thema nichts taugt; in dieser Form ist das erste Thema kein erstes Thema, sondern eine Einleitung. Nicht ein einziger Narrt würde glauben, dass er wirklich das zweite Thema hört, wenn ich es zu spielen beginne. Alle werden meinen, es sei der Anfang des Konzertes. Für mich ist der ganze Satz verdorben und von nun an stößt er mich geradezu ab … Und warum in aller Welt hast du mich mit Deiner Analyse fünf Tage vor der Aufführung behelligt?" Der Komponist war irritiert, allerdings tat es dem Erfolg seines Werkes keinen Abbruch. Was ihm als kaum entschuldbarer formaler Faux-Pas vorkam, wurde von Publikum und Kritik als Phantasie und künstlerische Freiheit gedeutet, so dass das 2. Klavierkonzert längst zu den Klassikern des internationalen Repertoires gehört.

Rachmaninov verließ Russland im revolutionären Jahr 1917 und startete ein Wanderleben als freischaffender Komponist und Pianist bis er schließlich 1935 endgültig in die Vereinigten Staaten niederließ. Dort arbeitete er zum einen als Klaviervirtuose mit sehr buntem Repertoire – er gehörte zu der seltenen Spezies stilvoll kompetenter Interpreten, denen nichts zu schwer war – nahm aber auf der anderen Seite auch die Tätigkeit als Komponist wieder ersten. Dazu gehörte auch die Überarbeitung seines vierten Klavierkonzertes, das bereits am 18.März 1927 in Philadelphia uraufgeführt worden war, seitdem aber wegen seiner ungewöhnlichen Länge immer wieder Bearbeitungen unterzogen worden war. Erst 1941 betrachtete er die Komposition als abgeschlossen und inzwischen gehört auch dieses Konzert zu den Höhepunkten des modern-romantischen Repertoires. Für Vladimir Ashkenazy, das einstige Wunderkind aus Gorki, zählen die beiden Werke neben Beethoven und Chopin zu den Zentren der musikalischen Interessen, zumal er sich auch als Dirigent zu den großen pathetischen Klangreisen eines Tchaikowskys oder Prokofjews hingezogen fühlt. Für seine Aufnahmen aus dem Jahr 1984, die im Großen Saal des Concertgebouws mit dem hauseigenen Orchester stattfanden, hatte er allerdings einen großartigen Zeitgenossen am Pult an seiner Seite. Denn Bernard Haitink schaffte es, auf einfühlsame Weise den dynamischen und metrischen Vorstellungen des Solisten zu folgen, und ihm den bestmöglichen orchestralen Rahmen zu geben. Ein Original, in der Tat.

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