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Biografie

Rise Against "Wolves" 2017
17.03.2011
Weltuntergangsszenarien handeln bekanntermaßen von jenem katastrophalen Schlusspunkt, an dem sich die Bewohner einer Welt selbst erfolgreich an den Rand des Abgrunds befördert haben und alles auf ein Ende hindeutet. Der im Englischen oft bemühte Begriff „Endgame“ hat vergleichbare Konnotationen, denn auch in diesem besagten „Endspiel“, in dieser Endphase schwingt die Idee einer endgültigen Auslöschung mit.
Rise Against haben jedoch etwas anderes im Sinn, wenn sie ihr sechstes Album mit dem Titel „Endgame“ versehen. Für sie als Band steht der Albumtitel vielmehr für allgemeine Aufbruchsstimmung und die Chance auf einen Neuanfang: Er verweist auf eine Welt, die sich zwar einerseits ihrem Ende nähern mag, dabei geht es Rise Against in erster Linie darum, nach vorne zu schauen und jetzt schon die Ära danach einzuläuten.
„Das Album handelt von dem kritischen Punkt, an dem die Menschheit steht, vom Ende der Zivilisation“, so Sänger und Gitarrist Tim McIlrath über den neuen Longplayer. „Was, wenn die Art von Leben, wie wir sie derzeit führen, nur eine Blase ist, die nicht nachhaltig funktionieren kann und die es gar nicht verdient hat, in dieser Form weiterzuexistieren? Was wäre, wenn die von uns gestaltete Welt dermaßen hässlich und gegen die Natur ausgefallen ist, dass sie wohl oder übel zu einem Ende kommen muss, damit man auf den Ruinen eine neue Welt kreieren kann, die für alle die Bessere ist? Gewiss klingt das alles verdammt utopisch, aber es geht dabei gar mal nicht um ‘die perfekte Welt’, sondern nur um einzelne Aspekte, um manche Dinge, die so einfach nicht weitergehen können.“
McIlrath, Bassist Joe Principe, Schlagzeuger Brandon Barnes und Gitarrist Zach Blair sind seit Jahren für klare Ansagen wie diese bekannt, für Songs, in denen sie Persönliches und Politisches gleichermaßen zum Ausdruck bringen. Im Verlauf ihrer Karriere haben die vier Köpfe von Rise Against immer wieder Denkanstöße gegeben und Lyrics präsentiert, die sich nicht bloß gut als Refrain mitsingen lassen. Sie waren immer schon das Resultat längerer Auseinandersetzung und sollten auch genau dazu anregen.
Dieser Anspruch an die eigene Musik ist zugleich das, was Rise Against zu einer dermaßen wichtigen Band für die seit Jahren stetig wachsende Fanbase macht. Seit der Gründung vor über einem Jahrzehnt hat die vierköpfige Band aus Chicago permanent auf Meinungsaustausch gesetzt und den Diskurs mit den Fans gesucht –, ein Ansatz, den man aus heutiger Sicht durchaus als Schlüssel ihres enormen Erfolgs bezeichnen darf. Mit der Veröffentlichung ihres letzten Albums „Appeal to Reason“ (2008) wurde ihnen noch mehr Aufmerksamkeit zuteil, wobei schon die Vorgänger „The Sufferer and the Witness“ (2006) und „Siren Song of the Counter Culture“ extrem erfolgreich waren – nicht zuletzt dank Singlehits wie „Swing Life Away“, „Ready to Fall“, „Prayer of the Refugee“ und „Savior“. Mit „Endgame“ knüpfen Rise Against nun genau dort an, wo sie mit diesen Hits aufgehört haben.
Die Aufnahmen für „Endgame“ fanden größtenteils in der zweiten Hälfte des letzten Jahres statt. McIlrath und Co. entschlossen sich abermals dafür, mit dem bewährten Produktionsteam Bill Stevenson/Jason Livermore in den Blasting Room Studios in Fort Collins (Colorado) zu arbeiten; am Mischpult stand schließlich Chris Lord-Alge, der auch die vorangegangenen beiden Alben von Rise Against abgemischt hatte. Als erste Single erscheint mit „Help Is On The Way“ ein Track, der nach einem Abstecher nach New Orleans entstand: „Was ich da sah, war das New Orleans nach dem Hurrikan ‘Katrina’. Ich war gerade unten an der Golfküste und schaute im Lower Ninth Ward vorbei, schaute mir die immer noch akute Verwüstung an und unterhielt mich mit den Opfern der Katastrophe“, erinnert sich McIlrath. „Mir hat dieser Besuch einfach nur die Augen geöffnet: Zu sehen, wie wichtig diese Stadt war, ja zu erkennen, dass es eine Stadt wie New Orleans überhaupt innerhalb der US-Grenzen gab – und dann natürlich die Einsicht, wie katastrophal es um diese Stadt stand, wie sehr die Leute immer noch zu kämpfen hatten, das hat mich emotional schon sehr stark mitgenommen und beschäftigt.“
Weiterhin berichtet McIlrath, dass viele der Eindrücke dieses Aufenthalts in den Songtext der ersten Singleauskopplung eingeflossen sind: „Ich wollte ein Bild von dem entwerfen, was dort unten vorgefallen ist und davon, wie es dort heute aussieht. Denn selbst wenn diese Katastrophe schon längst nicht mehr im Brennpunkt des Interesses steht, liegt dort unten immer noch vieles im Argen. Die Stadt erholt sich mit jedem Tag, der vergeht, nur schaut keiner mehr hin, aber natürlich ist New Orleans trotzdem ein tragischer und wichtiger Ort. Es ist und bleibt auch Jahre danach ein Ort, den man nicht vergessen darf. Der Titel des Songs lässt zwar in erster Linie hoffen, aber es geht auch um herbe Enttäuschungen: um Hilfe zum Beispiel, die eigentlich unterwegs gewesen sein sollte, dann aber doch niemals ankam. Die Stadt braucht noch immer jede Menge Hilfe; es gibt immer noch viel zu tun.“
Dabei ist die erschreckende Lage in New Orleans nur eines von vielen Themen, die Rise Against auf „Endgame“ adressieren. Im Fall von „Make It Stop“ geht es um Homophobie, Schwulenfeindlichkeit, ein Problem, dass laut McIlrath viel zu lange von der Rockwelt verschwiegen wurde. Auslöser war in diesem Fall eine Selbstmordwelle im September 2010, als sich diverse homosexuelle Teenager binnen kürzester Zeit das Leben nahmen. Der Sänger berichtet weiterhin, dass Rise Against schon häufiger E-Mails von homosexuellen Fans erhalten hätten; meistens berichteten die Fans darin von ihren Problemen, der Diskriminierung und den brutalen Reaktionen ihrer unmittelbaren Umwelt, von der sie aufgrund ihrer Neigungen nicht akzeptiert würden. Auch in diesen E-Mails spielten die Fans wiederholt mit Selbstmordgedanken, so McIlrath.  
„Ich habe das mit meinen eigenen Augen beobachtet“, erzählt der Sänger. „Mich hat das besonders hart getroffen, weil ich immer alles dafür getan habe, dass eine Gemeinschaft von Fans entsteht; eine Gemeinschaft, in der jeder das Gefühl hat, akzeptiert zu werden. Dann jedoch feststellen zu müssen, dass es ganz anders läuft und sich einige Leute ganz und gar nicht akzeptiert fühlen – und das bei unseren Konzerten, obwohl wir immer alles dafür tun, um allen im Publikum das Gefühl zu vermitteln, dass sie willkommen sind –, das muss man erst mal verdauen. Doch dann hörten wir von Fans, dass das Problem der Schwulenfeindlichkeit in der Rockszene weit verbreitet war, ja wir wurden sogar von Fans angesprochen und gefragt, wie denn nun eigentlich Rise Against zu diesem Thema stehen. Das war überhaupt das Heftigste für mich: Dass ein Fan auf die Idee kommt, uns eine derartige Frage stellen zu müssen, weil er sich so scheinbar nicht im Klaren darüber war, wie wir dazu stehen. Na ja, dann habe ich überdacht, was wir im Verlauf der letzten Jahre so für Dinge von uns gegeben haben, und da war tatsächlich noch kein eindeutiges Statement zu diesem Thema dabei.“
Dieses unmissverständliche Statement jedoch holen Rise Against nun auf „Endgame“ nach und sagen noch einmal in aller Deutlichkeit, dass doch bitte jede/r seine/ihre Sexualität so ausleben soll, wie er oder sie will. „Ich hatte nur den Eindruck, dass man das noch mal klipp und klar in einem Song zum Ausdruck bringen musste, weil dieses Thema in unserer Welt, der Rockwelt also, sonst viel zu oft totgeschwiegen wird. Sprich: Ich wollte diese ganze Debatte endlich im Keim ersticken, und zwar indem ich einen Song schreibe, mit dem wir den Fans ganz klar sagen, dass wir a) derartige Diskriminierungen innerhalb unserer Fangemeinschaft nicht tolerieren können und b), dass wir diejenigen Fans, die gerade dabei sind, ihren Körper und ihre Neigungen zu verstehen, voll dabei unterstützen, dass sie sich so akzeptieren, wie sie sind – und dass wir für eine Gemeinschaft sind, in der sie ebenfalls so akzeptiert werden, wie sie sind.“
Ein weiteres Highlight von „Endgame“ ist der Song „Architect“, der von diversen historischen Persönlichkeiten, von Bürgerrechtlern und Aktivisten, unter anderem von Thoreau, Malcolm X und Howard Zinn inspiriert wurde.
„Diese Herren haben schließlich versucht, eine Welt zu gestalten, in der wir es hätten aushalten können“, so McIlrath. „Und sie haben für all das gekämpft, was wir als Amerikaner bzw. als Bürger der westlichen Welt heute als Gegebenheit betrachten. Bei dem Song geht es letztlich um folgende Frage: Findet man derartige Architekten wie sie auch in unserer Generation? Oder sind Zynismus und allgemeine Abgestumpftheit in unserer Generation schon dermaßen weit verbreitet, dass wir Gefahr laufen, derartige Persönlichkeiten gar nicht erst hervorzubringen? Immerhin haben unsere Vorfahren für jedes einzelne Recht, das wir heute genießen, hart kämpfen und protestieren müssen.“
Den Song „Survivor Guilt“ betrachtet der Sänger schließlich sogar als Fortsetzung von „Hero of War“ (vom „Appeal to Reason“-Album); der neue Song ist aus der Perspektive des Geists eines Soldaten bzw. einer Soldatin geschrieben, der bzw. die für die Heimat gefallen ist. Jedoch darf man bei all diesen politischen Themen nicht übersehen, dass auf „Endgame“ auch vollkommen andere Themen angesprochen werden, so dass sich insgesamt Politisches und Privates sogar die Waage hält: „This Is Letting Go“, basierend auf einer Geschichte von McIlrath, wäre ein Beispiel für so einen Song, der auf dem Privatleben der Band basiert.
„Insgesamt reflektieren die Songs einfach nur, wie wir als Menschen ticken“, so der Sänger. „Wir sind nun mal nicht nur an Politik oder ausschließlich an persönlichen Befindlichkeiten interessiert. 100 Prozent gibt es da nicht. Stattdessen beschäftigen wir uns mit vielen verschiedenen Dingen und haben ganz viele unterschiedliche Leidenschaften. Unser Leben ist doch viel komplexer. Und generell würde ich mich nicht als politischer oder politisch engagierter bezeichnen als all die anderen Leute da draußen, denen die Welt, in der sie leben, ebenfalls etwas bedeutet.“
Bleibt abschließend nur noch die Frage nach dem Erfolgsdruck, immerhin haben Rise Against inzwischen jeweils drei vergoldete Alben und Singles an der Wand hängen. McIlrath sagt jedoch, dass jede Art von Druck wenn überhaupt von der Band selbst generiert wird. „Wenn man von Druck reden kann, dann ist es der Druck von innen, den wir auf uns selbst ausüben“, sagt der Sänger. „Wir versuchen uns mit jedem Album zu übertreffen, und wir wollen jedes Mal etwas Bedeutungsvolles kreieren. Etwas, das neu und anders ist – aber trotzdem noch nach Rise Against klingt. Ich will meinen Standpunkt loswerden, beobachten, was für Themen in der Punkszene kursieren, darauf eingehen und Songs dazu schreiben, um der Welt mitzuteilen, wie wir zu den jeweiligen Themen stehen. So kann man wohl generell unseren Ansatz zusammenfassen.“

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