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Geburtshelfer des Cool Jazz – zum Tod von Lee Konitz

Lee Konitz
17.04.2020
Dass Lee Konitz ganz eigene Wege gehen würde, machte er gleich zu Beginn seiner langen Karriere klar. Schon Mitte der 1940er Jahre gelang es dem Altsaxophonisten, aus dem damals übergroßen Schatten Charlie Parkers herauszutreten und sich eine individuelle, coole Phrasierung zuzulegen, die bis zuletzt sein Markenzeichen gewesen ist.
Seine Liebe zum Jazz war früh durch die populären Bigbands der Swingära und vor allem Benny Goodman geweckt worden. Mit elf Jahren begann der am 13. Oktober 1927 in Chicago geborene Lee Konitz Klarinette zu lernen, stieg dann aber auf das Tenor- und schließlich auf das Altsaxophon um. 1946 lernte er den Pianisten Lenny Tristano kennen, der einen maßgeblichen Einfluss auf ihn ausübte. Als Mitglied von Tristanos Sextett nahm Konitz 1949 mit gerade einmal 22 Jahren zwei der ersten freien Improvisationen des Jazz auf. Zur selben Zeit war er an der Seite von Miles Davis an den Aufnahmen für das bahnbrechende Album “Birth Of The Cool” beteiligt und spielte auch schon Material für sein erstes eigenes Album “Subconscious-Lee” ein.
Sein Streben nach größtmöglicher Unabhängigkeit führte dazu, dass sich Konitz nie für lange Zeit an ein Label band. Eine rare Ausnahme waren die sieben auf einander folgenden Alben, die er zwischen 1957 und 1961 für Verve einspielte, darunter “Live At The Half Note” mit Warne Marsh, Bill Evans, Jimmy Garrison und Paul Motian. Ansonsten wechselte er im Laufe der Jahrzehnte ständig von einem Label zum anderen und nahm u.a. Alben für Impulse!, Blue Note, Prestige, ECM, Atlantic, Milestone, Enja, MPS, SteepleChase und viele feine Independent-Labels auf. Darüber hinaus unterhielt Konitz selbst auch nie reguläre Bands, sondern wechselte unablässig seine Mitmusiker und das Format. Fast schon im Widerspruch dazu stand seine lebenslange Vorliebe für das Interpretieren von Jazzstandards.
“Ich bin der Meinung, dass die Melodie in der Improvisation als Vehikel für musikalische Variationen dienen sollte”, schrieb Konitz 1957 in den Liner Notes zu einem seiner Alben. “Aus diesem Grund habe ich mich nie darum gekümmert, neue Lieder zum Spielen zu finden. Ich habe oft das Gefühl, dass ich dieselben Lieder immer und immer wieder spielen und aufnehmen könnte und mir dabei stets neue Variationen einfallen werden.” Seine eigene Kompositionen bauten deshalb oft auf geläufige Jazzstandards auf, waren sogenannte Kontrafakturen, bei denen Konitz eine neue Melodie über ein bereits bekanntes Harmonieschema legte. So basierte sein bekanntestes Stück “Subconscious-Lee” etwa auf Cole PortersWhat Is This Thing Called Love?”.
Mit seiner ungebrochenen Experimentierfreudigkeit und Originalität verblüffte Lee Konitz die Jazzwelt bis zuletzt. 2011 erhielt er für das mit Pianist Brad Mehldau, Bassist Charlie Haden und Schlagzeuger Paul Motian eingespielte ECM-Album “Live At Birdland” den Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Die Preis-Jury feierte ihn damals als den “Mann mit dem mystischsten Altsaxophon-Ton der Jazzgeschichte”. 2017 nahm er mit Pianist Kenny Barron, Bassist Peter Washington und Schlagzeuger Kenny Washington das ebenfalls hochgelobtee Album “Frescalalto” für Impulse! Records auf. Sein jüngstes Werk, das er im Duo mit dem Pianisten Dan Tepfer machte, erschien 2018 bei Verve. Hätte der für seine Wortspiele und seinen trockenen Witz berühmt-berüchtige Konitz da bereits gewusst, dass es sein letztes sein würde, hätte er es wahrscheinlich nicht “Decade”, sondern “Final-Lee” betitelt.
Am 15. April 2020 ist Lee Konitz nun in New York an einer durch das Coronavirus ausgelösten Lungenentzündung gestorben.

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