Colvin & Earle | Biografie

Shawn Colvin & Steve Earle Biografie 2016

Shawn Colvin und Steve Earle können sich beide noch gut an die Nacht erinnern, in der sie sich trafen. Es war vor beinahe 30 Jahren, als Earle die Singer-Songwriterin dazu einlud, im Vorprogramm eines akustischen Konzerts von ihm im Iron Horse in Northhampton, Massachusetts aufzutreten. Auch wenn sie an jenem Abend nur einige flüchtige Freundlichkeiten miteinander in der Künstlergarderobe austauschten, blieb ein starker Eindruck.
“Ich fand sie umwerfend”, sagt Earle, "sie war eine echte, wahrhaftige Folksängerin.“ Sie sei schon damals ein großer Fan vom ihm gewesen, erinnert sich Colvin, “deswegen war ich begeistert, ihn kennenzulernen”. Steve ist einfach brillant, jemand, der mit einfachen Mitteln eine tiefe Wirkung erzeugt. Ich liebe seinen Gesang und seine Songs. Er hat alles, worauf es ankommt."
Jeder im Publikum hätte an jenem Abend den Kritikerjubel erahnen können, die Grammys, den großen Einfluss auf die populäre Musik, den beide Künstler schon bald für sich beanspruchen sollten. Colvin und Earle waren bereits auf ihrem Weg in die Liga der größten lebenden Songschreiber Amerikas. Nun haben sich die beiden alten Freunde und gegenseitigen Bewunderer wieder gefunden, um ein nach ihnen benanntes Albumdebüt “Colvin & Earle” aufzunehmen, ein herausragendes Oeuvre in ihrer jeweiligen, von Highlights und Meisterwerken durchzogenen Diskografie!
Ihre Zusammenarbeit begann vor zwei Jahren mit einem Anruf von Colvin, die gerade von einer gemeinsamen Tournee mit Mary Chapin Carpenter zurückgekehrt war, eine neue Erfahrung für die gewöhnlich solo auftretende Musikerin. “Ich fand heraus, dass es mir großen Spaß macht, einen ganzen Abend mit jemand anderem auf der Bühne zu stehen, mal in den Hintergrund zu treten, mehrstimmig zu singen, die Rhythmusgitarre zu spielen, von einem Künstler, den ich bewundere, inspiriert und unterhalten zu werden. Auch wenn ich auf Tour sehr gut allein klarkomme und es auch mein Ding ist, war das eine schöne Abwechslung, diese Kameradschaft und Schlagfertigkeit mit jemand auf der Bühne zu haben. Also dachte ich darüber nach, mit wem ich das sonst noch gern machen würde, und sofort fiel mir Steve ein.”
Vor ihrer ersten gemeinsamen Show gab es keine Probe, gerade mal einen Soundcheck, doch der Funke sprang sofort über. Das Repertoire entwickelte sich ganz organisch, indem sie zunächst nacheinander Songs und Geschichten vortrugen, die des Anderen nach und nach mit Stimme und Gitarre begleiteten. Die Lokalpresse jubelte, feierte ihre Shows als “nahezu perfektes Match” (Albany Times Union), schrieb, sie “spornten einander zu größeren Höhen an” (The Morning Call ), schätzte sich glücklich “zwei der Größten ihres Metiers” gemeinsam zu erleben (Cleveland Plain Dealer).
Die geradezu magische Chemie ihrer Stimmen vor dem Background von Gitarren und Mandolinen entfaltete sich perfekt auf Songs wie Earles “Someday”, das Colvin 1994 auf ihrem für einen Grammy nominierten Album “Cover Girl” aufnahm – “zu einer Zeit, in der die Welt mich abgeschrieben hatte, und ich selbst mich auch”, bekennt Earle.
So einmalig fand der 61-Jährige die Konzerte, dass er vorschlug, ein ganzes Album im Geiste dieser gemeinsamen Tour aufzunehmen, für das er brandneues Material schrieb und großartige Songs zum Covern auswählte, darunter “Ruby Tuesday” von den Rolling Stones und “Raise The Dead” von Emmylou Harris. Mit einer Allstar-Band verkrochen sie sich in das Haus ihres gemeinsamen Freundes Buddy Miller (Robert Plant) in Nashville. Dabei waren der Gitarrist Richard Bennett (der auf Earles bahnbrechendem “Guitar Town”-Album spielt), der Schlagzeuger Fred Eltringham (Willie Nelson, Kacey Musgraves) und der Bassist Chris Wood von Medeski, Martin & Wood/The Wood Brothers. Mit Miller am Steuer als Produzent und Bariton-Gitarrist (Earle nennt ihn den größten lebenden Countrysänger und einen Monstergitarristen) nahmen sie in anderthalb Wochen 14 Songs auf. Meisterhaft geben die neuen Arrangements dem akustischen Live-Feeling von Colvin & Earle einen größeren Rahmen, zwischen Momenten von subtiler Anmut und rauem Schliff.
“Unsere Herangehensweise im Studio war: Wenn du den Song schon gleichzeitig singen und spielen kannst, ist er nicht mehr taufrisch – keine Raketentechnologie mehr, das aufzunehmen”, erzählt Colvin lachend. Nach ein, zwei Proben lief das Band. “Wir hatten die Texte auf Notenpulten, weil wir sie noch nicht gelernt hatten.” Eine beeindruckende Offenbarung, angesichts der Überzeugung und Autorität, mit der sich Colvin & Earle die Charaktere ihrer Songs zu Eigen gemacht haben. Songs, die sie aus dem Moment heraus gemeinsam komponierten. Colvin streute hier und da eine Zeile dazu. Earle rundete mit dem Refrain oder einer Akkordfolge ab. Schon beim ersten Song “Come What May” verblüfft, wie ihr kreativer Prozess zu einem großartigen Ganzen geführt hat. “Tell Moses” ist ein zwischen Ägypten und Missouri herumtollender Folk-Gospel, während “Happy and Free” paradigmatisch für Colvins & Earles beeindruckende Fähigkeit ist, gleichzeitig einfach und tief zu wirken. Melancholische Album-Momente wie auf “The Way That We Do” und “You’re Right (I’m Wrong)” kommen persönlichen Erlebnissen der Beiden empfindlich nahe. “Wir sind schon eine Weile dabei und haben beide unsere Abgründe, über die wir schreiben können”, sagt Earle mit einem kurzen Auflachen. “Man kann nicht so oft verheiratet sein wie ich es war und immer noch denken, dass es die Schuld der Anderen ist, dass keine Beziehung hält.”

Neben den bereits erwähnten Coverversionen befindet sich eine neue Fassung von “You Were On My Mind” (Earles Wahl) auf dem neuen Album, die gekonnt Elemente der Versionen von Ian & Sylvia und The We Five’s kombiniert, ferner eine bluesige Neuaufnahme von “Tobacco Road” der Nashville Teens (Colvins Wahl). Der womöglich bewegendste Moment kommt auf dem letzten Titel. Er beginnt mit Zeilen, die Buddy Millers Ehefrau Julie schrieb. “Vor einigen Jahren übergab mir Julie zwei Strophen eines unvollendeten Songs”, reflektiert Colvin. "Nachdem ich selbst daran weitergeschrieben hatte, zeigte ich ihn Steve, der sich in den Song verliebte und spontan die Refrains verfasste. “You´re Still Gone” berührt mich sehr, weil mein Vater unlängst gestorben ist. Julies Zeilen regten mich dazu an, über ihn zu schreiben." Erst danach kam heraus, dass Julie Miller über ihren verstorbenen Bruder geschrieben hatte.
Diese tiefe emotionale Verbindung, das spirituelle Band zwischen den Beteiligten, die Chemie und Magie zwischen Künstlern, die scheinbar die Gedanken der Anderen lesen können, macht das Album größer als die (nicht unerhebliche) Summe seiner Teile. Niemand hätte vor dreißig Jahren im Iron Horse voraussagen können, dass Colvin & Earle nicht nur eine Bühne, sondern auch eine Band und eines der besten Alben ihrer jeweiligen Karrieren miteinander teilen würden – auch wenn jener Abend in Northhampton der Beginn einer wunderbaren Freundschaft war.