Cocoon | Biografie

Biografie 2016

Ziemlich genau zehn Jahre ist es her, dass Cocoon in der französischen Musiklandschaft aufgetaucht sind und postwendend zur Speerspitze einer neuen Folk-Bewegung erklärt wurden. Die beiden Alben, die der Sänger und Songwriter Mark Daumail und die für Keyboards und Hintergrundgesang verantwortliche Morgane Imbeaud seither veröffentlicht haben, erlangten in ihrer Heimat beide Platinstatus. Mit dem Song “Chupee”, der auf ihrem 2007 veröffentlichten “My Friends All Died in a Plane Crash”-Album vertreten war, landeten Cocoon sogar einen veritablen Hit.
Nachdem Cocoon dann die letzte Tour absolviert hatten, fasste Mark Daumail den Entschluss, eine Bandpause einzulegen, weil er sich auf klangliches Neuland bewegen wollte – und zwar erst mal als Solomusiker.
Also nahm er sein erstes Album unter seinem eigenen Namen auf und ersetzte dafür die Akustikgitarren und Gesangsharmonien von Cocoon gegen maschinengemachte und programmierte Sounds. “Ich wollte einfach mal mit Synthesizern und elektronischen Beats herumexperimentieren”, erinnert er sich. Der aus Clermont stammende Musiker hatte seine Wahlheimat Paris verlassen, um an den Weinhängen von Bordeaux seine Zelte (bzw. sein Aufnahmestudio) aufzuschlagen. Anderthalb Jahre ist das nun her, wobei diese Phase mit einem familiären Rückschlag begann: “Unser erstes Kind kam mit einem schweren Herzfehler zur Welt. Es war schrecklich: Wir waren gefangen wie in einem Tunnel, zwischen der Intensivstation im Krankenhaus und den ganzen Geräten, die uns abschirmten, weil sie unser Baby beschützen sollten.”
Es dauerte nicht lange, bis Mark wieder bei der Musik landete, um mit der Situation klarzukommen: Er spielte am Bett seines Sohnes Gitarre, komponierte seinen ersten Song für ihn: “Get Well Soon”. “It’s been a tough year for my family, singt er im Songtext, bezieht sich also ganz offen und direkt auf das Erlebte. Als sein Kind dann endlich auf dem Wege der Besserung war, sollte auch diese Erfahrung ganz direkt seine Musik beeinflussen: Er wollte Songs schreiben, die genau dieses Glück zum Ausdruck brachten. “Ich wollte ein Album machen, das wirklich strahlt und leuchtet”, erklärt er – und genauso klingt das neue Cocoon-Album auch.
Als er die Arbeit am neuen Album begann, merkte er schon bald, dass inzwischen kein Platz mehr für seine Synthesizer war, dass er zu einem organischen Sound zurückkehren musste. “Ich brauchte einfach diese Wärme, die analoge Aufnahmen ausstrahlen.”
Als dann die ersten neuen Songideen als Demosongs vorlagen, spielte Mark sie ein paar guten Freunden vor, und sie alle waren sich einig: Das waren Songs für Cocoon! Also kontaktierte Mark seine alte Bandkollegin Morgane Imbeaud, doch die lehnte sein Angebot ab, weil sie lieber an ihren eigenen Projekten weiterarbeiten wollte (u. a. “Un orage” und “Les Songes de Léo”). Folglich machte er sich erst mal ganz allein an die Aufnahmen und schaute sich parallel dazu nach geeigneten Sängerinnen um, deren Stimmen zu den neuen Songs passen könnten. “Ich war schon seit einiger Zeit ein großer Fan von Natalie Prass' Stimme, und auch die Arrangements von Matthew E. White und Trey Pollard auf ihrem Album fand ich unglaublich gut”, erinnert er sich. Nachdem er Gitarre, Bass und Schlagzeug in Bordeaux aufgenommen hatte, nahm Mark Kontakt mit Matthew E. White auf und schickte ihm diese Demoversionen rüber. Danach ging’s ganz schnell: Matthew war begeistert, und Mark flog sofort nach Richmond, Virginia, um ihn zu treffen.
Richmond hat zwar “nur” eine Million Einwohner, aber die Musikszene ist unglaublich groß und aktiv, ganz ähnlich wie in Portland. Besonders viele dieser jungen Talente gehen im Studio (und beim Label) von Matthew E. White ein und aus: Spacebomb. So kam es, dass nach einer Woche bereits drei Songs – “Granddaddy”, “Shooting Star” und “Up For Sale” – komplett im Kasten waren. Produziert hatte sie Matthew E. White, der außerdem zusätzliche Parts aufgenommen, Bläser-Parts geschrieben und Mark mit Trey Pollard bekannt gemacht hatte, seines Zeichens absoluter Spezialist in Sachen Streicherarrangements. Trey wiederum steuerte noch ein paar Arrangements bei, deren an Willie Mitchell erinnernder Sound perfekt die Stimmung und die Essenz der Songtexte widerspiegelt. “Ja, alle Musiker haben wirklich instinktiv verstanden, worum es mir bei diesem Album ging”, so Mark. Abgerundet wurde das klangliche und emotionale Spektrum schließlich vom Resound Choir, der sogar noch ein wenig Gospel-Flavor ins Spiel brachte…
Und natürlich hatte Mark durch seinen Abstecher in die USA auch endlich die Gelegenheit, Natalie Prass kennenzulernen. Auch die 30-jährige Ausnahmesängerin sollte bei den Aufnahmen mitwirken und sang schließlich zwei Songs, “Retreat” und “Watch My Back”, ein. Der letzte Song auf dem Album, das bereits erwähnte Stück “Up For Sale”, ist ein grandioses Duett mit Matthew E. White, und auch hier dreht sich alles ums Thema Familie: “Den Song schrieb ich, als ich erfuhr, dass unser Sommerhaus auf der Île de Bréhat, wo ich als kleiner Junge und als Teenager all meine Sommer verbracht hatte, verkauft werden musste.” Mitten im Winter fuhr Mark noch ein letztes Mal auf die Insel, zog sich in das Haus zurück und beendete dort die Arbeit an den Songtexten für das neue Album.
Aufgenommen hat Mark Daumail diese Texte schließlich in Berlin: Im geschichtsträchtigen Funkhaus im Osten der Stadt, wo er und sein Team ganz besonders auf den richtigen Klang seines Akzents geachtet haben. Das Resultat dieser Arbeiten, “Welcome Home” ist ein wunderschönes, durch und durch positiv klingendes Album voller Wärme – ganz klar das beste Album, das er aufgenommen hat, seit es losging mit Cocoon vor 10 Jahren. “Ja, ich hab heute auch nicht mehr so viel Angst vor Schreibblockaden”, meint er. “Ich glaube, ich weiß inzwischen einfach, wie man einen Song aufbauen muss.”
Sichtbar werden die Songs von “Welcome Home” in den Illustrationen der US-Amerikanerin Esther Pearl Watson, die für das Album-Artwork verantwortlich war. “Ich nahm Kontakt mit ihr auf und fragte, ob sie für jeden einzelnen Song ein Haus entwerfen könnte. Es sollte ein Album über das Leben in einem Zuhause sein, um Gefühle gehen, die mit Familie zu tun haben. Mit diesem Album will ich meinem Sohn ‘Welcome Home’ sagen. Er war von Anfang an der rote Faden, der diese Songs miteinander verbindet. Der Tag, an dem er endlich zu uns nach Hause kommen konnte, war ein Wunder, das ich einfach zelebrieren musste.” Schöner als mit einem neuen Album von Cocoon hätte er diesen großen Tag in der Tat nicht feiern können – und auch der Name seines Kollektivs passt dieses Mal einfach wie die Faust aufs Auge. “Ich musste wirklich weinen, als die Platte fertig war”, gesteht Mark Daumail abschließend. “An dem Tag wusste ich, dass mein Sohn zum zweiten Mal geboren worden war.”