Handelsblatt - Frank Briegmann: „Der Kuchen muss fair verteilt werden“

Handelsblatt - Frank Briegmann: „Der Kuchen muss fair verteilt werden“
Handelsblatt - Frank Briegmann: „Der Kuchen muss fair verteilt werden“
Der Zentraleuropa-Chef des weltgrößten Musikkonzerns Universal Music über alte Existenzängste und neue Umsatzerfolge, den Streamingboom und die Frage, ob seine Künstler von Spotify & Co. ausreichend entlohnt werden.
Totgesagte leben länger: Die Musikindustrie jedenfalls hat wie kaum eine andere Branche die digitale Disruption überstanden. Und mehr noch: Der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) meldet aktuell ein Umsatzplus von 8,2 Prozent auf mehr als 1,6 Milliarden Euro für das vergangene Jahr. „Wir haben wieder stabilen Boden unter den Füßen und bauen unser Geschäft stetig aus“, sagt Frank Briegmann, Zentraleuropa-Chef des globalen Marktführers Universal Music sowie der Deutschen Grammophon und BVMI-Vorstand. Treiber der Entwicklung ist vor allem das boomende Geschäft via Spotify und anderen Streamingdiensten, die mittlerweile von 17,4 Millionen Menschen in Deutschland genutzt werden: Der Marktanteil steigerte sich laut BVMI auf nunmehr 55,1 Prozent. Interessanterweise hat sich daneben das Geschäft mit klassischen Vinylplatten eine kleine, aber feine Nische erobert und wuchs auf rund fünf Prozent Marktanteil. Weiter zurück gingen dagegen die Downloads sowie die CD-Verkäufe, die in Deutschland indes noch knapp ein Drittel des Geschäfts ausmachen – anders als etwa im Spotify- Heimatland Schweden, wo fast nur noch gestreamt wird.
 
Herr Briegmann, die Musikbranche hat im Zuge der Digitalisierung so ziemlich alle existenziellen Dramen durchgemacht in den vergangenen Jahren. Nun meldet Ihr Branchenverband ein Umsatzwachstum von 8,2 Prozent. Auch die Gewinne sprudeln offenbar wieder. Sind die alten Grabgesänge auf Ihre Branche endgültig Geschichte?
Der Wachstumstrend hält ja nun schon sieben Jahre an. Da lässt sich also mit Fug und Recht behaupten: Wir haben wieder stabilen Boden unter den Füßen und bauen unser Geschäft stetig aus.
Es gibt eine ganz klare Tendenz: CD-Verkäufe, aber auch Downloads gehen weiter zurück, dafür explodiert das Streaminggeschäft geradezu. Heißt das nicht, dass am Ende weniger die klassischen Plattenfirmen als die Plattformen gewonnen haben, also Spotify, Apple Music und andere?
Ich sehe das anders: Im Ökosystem Musikindustrie können die Akteure nur gemeinsam Erfolg haben – Künstler, Labels und digitale Plattformen. Sie sind keine Wettbewerber, sondern Partner.
Die Nahtod-Erlebnisse aus der Napster- und damit Raubkopien-Zeit stecken Ihrer Branche nicht mehr in den Knochen?
Wir haben dazugelernt und in der jüngeren Vergangenheit gleich zwei komplette Umwälzungen gemeistert: zunächst vom physischen Musikverkauf, von der LP und CD, zum Download. Und von dort dann weiter zum Streaming, bei dem es nicht mehr um den Besitz, sondern um den Zugang zur Musik geht. Für das Ausleben posttraumatischer Flashbacks hatten wir gar keine Zeit.
Vor zehn Jahren gab es Musikstreaming noch gar nicht. Kann sich das irgendwann zu einem Klumpenrisiko Ihrer Branche entwickeln?
In Deutschland machen wir noch immer rund ein Drittel unserer Umsätze mit CDs. Selbst Vinyl hat sich als kleine, aber feine Nische etabliert. Wir bieten schon immer jedes Format an, das die Fans haben wollen und ökonomisch sinnvoll ist. Echte neue Technologiesprünge, die das Streaming ablösen könnten, sehe ich derzeit allerdings nicht.
Marktführer Spotify kommt aus Schweden, wo Streaming bereits heute den kompletten Markt beherrscht. Geht der Rest der Welt in die gleiche Richtung?
Da gibt es große regionale Unterschiede. Nichtsdestotrotz ist das Streaming für Film- und Musikinhalte der Kanal der absehbaren Zukunft – und wird in den nächsten Jahren weiterwachsen. Der Markt ist sehr divers, mit einer ganzen Reihe großer und kleiner Anbieter – von Spotify und Amazon über Apple und Deezer bis zu einer Reihe kleinerer Anbieter. Vielfalt ist wichtig und gut für uns und unsere Künstler.
Marktführer Spotify hat noch nie in seiner Geschichte schwarze Zahlen geschrieben, Ihre Branche aber profitiert nun vom Streamingboom, sogar die Renditen steigen. Wer hat da falsch kalkuliert?
Wir haben jedenfalls für unser eigenes Geschäft richtig gerechnet. Margen haben aber am Ende mit einer Vielzahl von Einflussfaktoren zu tun, die ich bei Dritten nicht beurteilen kann und will. Wir als Musikbranche haben in den Jahren der Krise enorm an unserer Kostenstruktur gearbeitet. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Das kommt uns, unseren Künstlern und Partnern jetzt zugute.
Die Künstler selbst haben sich anfangs bitter beschwert, bei ihnen komme via Streaming viel zu wenig an von den Ergebnissen. Nun gibt es eine neue Initiative, die auch Universal- Stars wie Helene Fischer unterschrieben haben. Im Kern geht es darum, die Streamingeinnahmen anders zu verteilen. Wie stehen Sie dazu?
Zunächst mal ist das kein Konflikt zwischen Künstlern und Labels. Wir sind da eher die Schnittstelle zwischen den Künstlern und den Streaminganbietern. Aktuell wird das Pro-Rata-Modell genutzt: Wer oft gehört wird, bekommt aus dem Topf, in den alle Nutzer ihre Abogebühren einzahlen, das meiste Geld. Klar ist für mich: Der Kuchen muss fair verteilt werden!
Das neue User Centric Payment System (UCPS) würde aber noch direkter dafür sorgen, dass das Geld künftig nur bei jenen Künstlern landet, die man auch wirklich gehört hat. Klingt doch gerechter, oder?
Ich kann mir auch UCPS als Kalkulationsbasis vorstellen. Aber wie so oft im Leben haben beide Modelle ihre Vor- und Nachteile. Die Einigung auf ein Modell ist auf jeden Fall eine komplexe Angelegenheit, zu der sich alle an einen Tisch setzen müssen. Die Etikettierung als „fair“ oder „unfair“ hilft da übrigens kaum weiter. Es kommt bei UCPS – anders als im aktuellen Modell – nicht allein darauf an, wie viele Streams ein Künstler verzeichnet, sondern vor allem darauf, von wie vielen Fans er wie exklusiv gehört wird. Man darf auch nicht vergessen, dass eine Umstellung für die Plattformen einen enormen administrativen Aufwand bedeuten würde. Außerdem müsste jedes Label – ob Major oder Independent – mit jeder Plattform global neue Verträge aushandeln. Das ist von uns aus kein Hinderungsgrund, sollte aber wohlüberlegt sein.
Der Wunsch der Künstler nach mehr Transparenz dürfte berechtigt sein.
Absolut. Die Verteilungsmechanismen müssen nachvollziehbar und verständlich sein.
Der französische Streamingdienst Deezer will UCPS im zweiten Halbjahr starten. Scheint also zu gehen.
Auch ich habe die Ankündigung gesehen. Aber noch mal: Wir sollten nirgendwo Fronten aufbauen, wo keine sind. Wir alle versuchen letztlich, das beste Modell für alle Beteiligten zu finden. Wir sitzen am Ende im selben Boot. Das bedarf komplexer Abstimmungsprozesse. Der Dialog hat aber längst begonnen. Und wir als Marktführer sind schon mittendrin.
Der größte Musikanbieter der Welt ist mit 1,8 Milliarden Nutzern ein Konzern, den wir noch gar nicht erwähnt haben: die Google-Tochter YouTube. Wie sieht es dort mit fairer Bezahlung aus?
Erfreulicherweise hat das Europäische Parlament ja im vergangenen Jahr die Copyright-Direktive zugunsten der Künstler und Rechteinhaber geändert, wofür wir lange gekämpft haben. YouTube muss jetzt zuverlässig und dauerhaft dafür sorgen, dass keine unlizenzierten Inhalte mehr ausgespielt werden. Das Allerwichtigste wird jetzt aber sein, dass diese europäische Direktive in nationales Recht umgesetzt wird. Und zwar, ohne dass manche Länder dabei ihr eigenes Süppchen kochen.
Wer sitzt generell am längeren Hebel? Die Plattformen, die Majors, die Künstler? Oder womöglich sogar wir Kunden?
Das Musikgeschäft 2020 funktioniert nur noch partnerschaftlich.
Ihr Unternehmen gehört zum französischen Medienkonzern Vivendi, der jüngst angekündigt hat, Universal Music bis 2023 an die Börse bringen zu wollen. Eine gute Idee?
Ich sehe allgemein, dass die Attraktivität von Musikinhalten und damit der entsprechenden Unternehmen auch auf Investorenseite steigt. Das ist ein gutes Zeichen für die Dynamik der Märkte. Die Kommentierung konkreter Pläne überlasse ich gern unseren Shareholdern.
Auch der Branchen-Vize Warner Music plant den Schritt aufs Parkett. Und der chinesische Unterhaltungskonzern Tencent hat bereits für 3,4 Milliarden Dollar zehn Prozent von Universal Music übernommen. Woher rühren die Wachstumsfantasien?
Musik wurde zu allen Zeiten konsumiert. Hinzugekommen sind wirksame digitale Businessmodelle zur Monetarisierung. Über das Streaming haben wir gesprochen. Weitere Potenziale gibt es durch die wachsende Verbreitung vernetzter und damit oft streamingfähiger Geräte. Connected Cars sind so ein Thema. Oder auch Smart-Home-Technologien mit ihren Smart Speakern. In den USA beispielsweise verwenden rund 60 Prozent der Nutzer sprachgesteuerte Geräte wie Alexa und andere für Entertainment- Anwendungen, Streaming inbegriffen.
Kurz: Auch Alexa steigert vor allem die Musikumsätze?
Es ist jedenfalls ein wichtiges Thema. Durch diese Technologien haben wir auch Zugang zu neuen Zielgruppen: Für Kinder oder ältere Menschen etwa ist es am Ende einfacher, ihren Sprachassistenten um einen Track zu bitten, als ein Smartphone zu koppeln und zu bedienen oder eine CD zu kaufen. In diesem Segment steckt buchstäblich viel Musik.
Müssten Sie nicht auch Hollywood noch stärker einbinden? Zuletzt haben Filmhits wie „Bohemian Rhapsody“ gezeigt, dass man damit auch wieder CDs und Streams uralter Songs verkaufen kann.
Wir produzieren auch selbst audiovisuelle Inhalte – natürlich mit der Idee, dass sich Film und Musik gegenseitig befruchten. Umgekehrt arbeiten wir bei der Deutschen Grammophon mit herausragenden Filmkomponisten zusammen, darunter der isländischen Cellistin Hildur Guðnadóttir, die mit ihren Filmmusiken zu „Chernobyl“ und „Joker“ jüngst mehrere Preise gewann, einen Oscar und einen Grammy inklusive. Film ist wie Musik ein enorm emotionales Medium. Diese Verbindung wollen wir weiter intensivieren.
Viele heutige Musikgrößen, von der deutschen Rap-Szene bis zu Billie Eilish, konnten über soziale Netzwerke quasi im Alleingang zu Stars werden. Wozu braucht es überhaupt noch Musikkonzerne wie Ihren?
Tatsächlich hat sich unsere Arbeit mit Künstlern enorm verändert. Ist ja auch klar. Jeder kann heute ein Video hochladen und am Anfang vieles selbst machen, zumindest bis zu einem gewissen Level. Denn die Praxis zeigt, dass es irgendwann eben doch künstlerische Sparringspartner, Marketing- Profis, Tech-Experten, Anwälte und vieles andere mehr braucht, um langfristig erfolgreich zu sein und von seiner Arbeit leben zu können.
Konzerne wie Universal Music kommen also später ins Spiel?
Nicht generell. Die Nachwuchsarbeit bleibt für uns enorm wichtig. Und da sind wir auch ein Treiber lokaler Kultur, die immer bedeutender wird: Etwa 50 Prozent unseres Geschäfts in Deutschland machen zum Beispiel hiesige Künstler aus. Wir sind flexibler geworden und bieten unseren Künstlern nun immer mehr maßgeschneiderte Services – vom Rundum-sorglos- Paket bis zur reinen Distribution.
Streaming dürfte mehr Daten generieren als alle anderen Abspielkanäle Abspielkanäle. Werden die Hits der Zukunft von Algorithmen komponiert?
Ich bin davon überzeugt, dass Musik immer eine menschlich-kreative, eine emotionale Komponente haben muss, um die Fans zu begeistern. Computer und Programme werden es wohl nie schaffen, Menschen so zu berühren. Aber natürlich nutzen wir Algorithmen für Entscheidungsprozesse und die Vermarktung.
Sie sind auch Vorstand des hiesigen Musikverbandes BVMI und haben dort die Implosion des wichtigsten deutschen Musikpreises „Echo“ miterlebt vor zwei Jahren. Damals kam es zum Eklat wegen antisemitischer Texte zweier Rapper, die eigentlich den Echo bekommen sollten. Wie geht’s mit dem Preis weiter?
Es ist schade, dass es in Deutschland seit nunmehr zwei Jahren keine große Auszeichnung im Musikbereich mehr gibt. Unsere Künstlerinnen und Künstler würden sich freuen, wieder eine solche Bühne geboten zu bekommen, wir als Industrie auch. Zu einem neuen Preis werden auf allen Ebenen viele Gespräche geführt. Ich selbst bin der Ansicht, dass in einem deutschen Musikpreis möglichst alle Genres gemeinsam antreten sollten – vom Schlager über Rock bis Hip-Hop. Ausgrenzungen machen da keinen Sinn.
In der Klassik gibt es immerhin nun den „Opus“ statt den Klassik-Echo als Preis…
… und in diese Richtung könnte sich auch ein neuer deutscher Musikpreis entwickeln. Aber dieses Jahr wohl nicht mehr, oder? Das halte ich tatsächlich für eher unwahrscheinlich. Fürs Geschäft an sich sind Sie optimistischer? Auf jeden Fall. Ich rechne mit weiteren Umsatzsteigerungen auch in diesem Jahr.
Herr Briegmann, vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Thomas Tuma.
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