Daniel Harding | News | Abenteuerliches Leben - "Die Alpensinfonie" von Richard Strauss

Abenteuerliches Leben – “Die Alpensinfonie” von Richard Strauss

Daniel Harding, Saito Kinen Orchestra
© Decca
05.03.2014
Er war 14 Jahre alt, als er sich auf eine Bergtour begab. Spät in der Nacht brach er auf. Dann wanderte er langsam in den Morgen hinein und erlebte mit großer Intensität die Schwelle zwischen Nacht und Tag: wie es langsam heller wurde und der junge Tag sich ihm in prächtigen Bildern der Berge darbot. Doch mit einem Schlag wurden ihm auch die Gefahren und Gewalten der Natur bewusst. Richard Strauss verlief sich heillos und geriet in ein schweres Gewitter. Nach einigem verzweifelten Suchen fand er aber Zuflucht in einer Berghütte.
Keine Tonmalerei
Was macht ein musikalisch begabter Jugendlicher nach einem solchen Erlebnis? Er setzt sich ans Klavier und zeichnet die Geschichte nach. Erlebnisverarbeitung in pubertärer Manier, naiv und konkret, ohne symbolische Ambition. “Eine riesige Tonmalerei”, wie er es später kritisch ausdrücken wird, ein “Schmarren”. Das Erlebte drang in die Musik. Es wollte ausgedrückt werden.
Aber die Töne des Klaviers bekamen die Natur nicht zu fassen. Sie brachten etwas anderes zum Ausdruck. Wer die Natur erlebt, erlebt nicht allein ihre Farben, ihre Töne, ihren Rhythmus und ihre Proportionen, sondern zuallererst sich selbst, den Nachhall, den die Natur in seinem Inneren erzeugt. Und dieser Nachhall kann in Musik verwandelt werden. Er schafft die Verbindung zur Natur, die in der Musik später kaum ein anderer so symbolgetreu herzustellen wusste wie Richard Strauss.  
Gefährdet und schön
Dabei ist die Alpensinfonie eines der ergreifendsten Naturgemälde der spätromantischen Musik. Richard Strauss folgt darin zwar Beethovens Maxime für die Programmmusik: “Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei.” Aber das geniale Paradox in der “Alpensinfonie” ist, dass sie den “Ausdruck der Empfindung” gerade im Ausgang von tonmalerischen Ideen erreicht. Strauss horcht sehr wohl auf die Natur.
Aber die tonmalerischen Stimmungen, die er einfängt, überschreiten ihren rein illustrativen Charakter. Strauss transzendiert sein Jugenderlebnis. Er überhöht es zu einem Bild des Lebens. Kann doch die menschliche Existenz selbst als eine Wanderung aufgefasst werden, und dann sind alle Hervorbringungen der Natur, ihre Helligkeit und Dunkelheit, ihre Farben, ihr Nebel, ihre Stille und ihr Donnern, nichts Äußerliches mehr, sondern ein Spiegel unserer selbst. Denn so ist auch unser Leben: gefährdet und schön.
Menschliche Bewährung
Davon war Richard Strauss zutiefst überzeugt, und er gibt dem mit Nietzsche, von dem er stark geprägt war, als er die “Alpensinfonie” komponierte, eine noch radikalere Wendung: “Ich will”, schrieb er, “meine ‚Alpensymphonie‘ den Antichrist nennen, als da ist: sittliche Reinigung aus eigener Kraft, Befreiung durch die Arbeit, Anbetung der ewigen herrlichen Natur.” In diesem Sinne möchte die Alpensinfonie Zeugnis der Kraft des Menschen und seines Durchhaltevermögens sein.
Forciertes Tempo
Da fügt es sich gut, dass der junge und für seine emphatischen spätromantischen Interpretationen hoch gelobte Dirigent Daniel Harding sich der “Alpensinfonie” angenommen hat. Der junge Brite (Jg. 1975) ist selbst ein Symbol für Willensstärke. Mit nur 17 Jahren führte er eine Gruppe von Leuten zusammen, um “Pierrot Lunaire” von Arnold Schönberg aufzuführen. Einen Mitschnitt der Aufführung sandte er seinem großen Vorbild Simon Rattle, der ihn daraufhin als seinen Assistenten einstellte.
Harding folgt Strauss
Doch bei aller Forschheit: Harding ist ein bescheidener Mann, der großen Respekt vor dem Orchester hat. Und beides, sowohl seine Entschiedenheit als auch seine behutsame Bindung an das äußerst präzise spielende Saito Kinen Orchestra, wirken sich in der jetzt bei Decca erschienenen Einspielung der Alpensinfonie positiv aus. Einerseits vermag Harding dem “Anstieg” des Wanderers mit ein wenig mehr Tempo, als man es von anderen Einspielungen her gewohnt ist (etwa Barenboim), eine besondere Dynamik zu verleihen.

Andererseits gelingt es ihm, die Kraftausbrüche auch wieder zu zügeln und die lyrischen Stellen angemessen zart zu gestalten, besonders gelungen dabei die elegische Stimmung, die den Wanderer überkommt, als er den Gipfel erreicht hat und die Landschaft überschaut. Das Aufbrausen der Natur, “Gewitter und Sturm” oder die “gefahrvollen Augenblicke”, sind kräftig, aber was für Richard Strauss so zentral ist: nicht zu kräftig, nicht ausufernd. Denn darin liegt die historische Größe von Strauss: die wagnerische Gewalt gebändigt zu haben, und Harding zeigt sich voll auf der Höhe dieses enormen Anspruchs.
 

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