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Elias Canetti

Die Welt als Tollhaus

15.08.2001
Elias Canetti, 1905 als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie in Bulgarien geboren und 89 Jahre später in London gestorben, gehört zu den bemerkenswertesten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts.
Bereits mit 25 Jahren schrieb Elias Canetti einen Roman, der zu den großen, bizarren Endzeit-Stimmungen des Jahrhunderts gehört, eng verzahnt mit den “letzten Tagen der Menschheit” von Karl Kraus, zugleich ein Vorläufer der Moderne. Erst in den 60er und 70er Jahren wurde man allerdings wieder auf Canetti aufmerksam, der nach seinem Pariser Exil seit 1939 in London lebte. Der Roman “Die Blendung”, erschienen 1935, fand erst in der Auflage von 1963 die überschwengliche Bewunderung, die er verdient. Canetti schildert die Welt als Tollhaus, bevölkert von Monstern des Alltags. Dieses Chaos, diese Welt ohne Trost, wurde vielfach als Vorwegnahme des Nationalsozialismus gedeutet.
 
In den 60er Jahren hat Elias Canetti ein Kapitel aus seinem bedeutenden Roman für die Deutsche Grammophon gelesen; “Der gute Vater” ist “das unheimlichste Kapitel des ganzen Buches”. Dieser Abschnitt über die “Dumpfheit der Macht wie der Ohnmacht” wird ergänzt durch zwei marokkanische Geschichten. 1954 hatte Canetti eine längere Reise nach Marokko unternommen und die Begegnung mit dieser Kultur auf verschiedene Weise literarisch verarbeitet. Die Geschichten “Begenung mit Kamelen” und “Der Unsichtbare” entstanden unmittelbar im Anschluss an diese Reise.
 
“Der Ohrenzeuge” ist eine feinsinnige Sammlung von 50 Charakterskizzen, von denen Canetti sagt: “Es war ihrem Verfasser beim Schreiben nicht ein einziges mal bewusst, dass er an sich selber dachte. Aber als er das Buch mit den 50 Charakteren zusammenstellte, erkannte er sich staunend in zwanzig von ihnen”. 16 dieser Charakterskizzen ließ Canetti 1974 in München in einer Lesung für die Deutsche Grammophon lebendig werden, darunter solche Figuren wie “Der Ruhmprüfer” und “Der Schönheitsmolch” und natürlich – “Der Ohrenzeuge”.