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Guldas Bach, streng progressiv

Friedrich Gulda 2005 © Siegfried Lauterwasser / DG
© Siegfried Lauterwasser / DG
26.11.2008
Zu den Aufgaben der Tourbegleiter Lambert und Ossi gehörte es, eine dieser archaischen Bandmaschinen mitzuschleppen und zu installieren. Denn Friedrich Gulda nahm die meisten seiner Konzerte auf, um sie später kritisch auf mögliche Unstimmigkeiten anzuhören. Da kam eine Menge zusammen, immerhin spielte der Pianist anno 1955, wie er selbst notierte, bereits sein 500tes Konzert. Rund 90 Bänder dieser Aufnahmen sind im Familienbesitz erhalten geblieben und so ist “Gulda plays Bach” nicht irgendeine Kompilation bereits vorhandener Editionen, sondern tatsächlich etwas Neues. Kombiniert mit Radio-Mitschnitten des SFB und RIAS Berlin ist auf dieser Weise ein Klavierrecital entstanden, das Friedrich Guldas musikalische Leidenschaft und Meisterschaft, die er Johann Sebastian Bachs Musik gegenüber entwickelte, in grandioser Ernsthaftigkeit dokumentiert.
Man sollte “Gulda Plays Bach” eigentlich in umgekehrter Reihenfolge hören. Denn als letztes Stück hat Paul Gulda, der die Ausgabe im Sinne seines 2000 verstorbenen Vaters betreut, das “Prelude and Fuge” aus der Feder des Pianisten selbst angefügt, gespielt im Oktober 1969 in der Berliner Philharmonie. Es ist ein aufschlussreiches Beispiel für Friedrich Guldas Verständnis von Musik, das sich in homogener Weise aus den verschiedensten Quellen der Inspiration zusammensetzte. “Die Großen des Jazz sowie Bach und Mozart sollen meine Vorbilder sein”, meinte der Pianist selbst in einer Notiz von 1954 und bei dieser Zugabe wird klar, wie intensiv diese Klangwelten bereits verknüpft waren. Insofern war Gulda im positiven Sinne altmodisch, denn es ging ihm ausschließlich um die Musik, um die Wirkung des Unmittelbaren mit Hilfe des Künstlers durch das Medium Instrument. Die Richtung dieser Wirkung nun konnte unterschiedlich angelegt sein, indem er etwa in seinem eigenen “Prelude” mit Variationstechniken des Barocks spielte, auf der anderen Seite aber beispielsweise das “Bourrée” aus der “Englischen Suite Nr.2 a-Moll, BWV 807” in subtiler Weise swingen lassen konnte.

Überhaupt war Friedrich Gulda ein Musiker des Übergangs. Beseelt von unglaublicher Musikalität, fasziniert von großen Kompilatoren des klingenden Weltgeistes wie Bach auf der einen, aber auch Bud Powell auf der anderen Seite, sich selbst gegenüber in rigoroser Weise interpretatorisch streng, der Kunst hingegen in Spiel- und Denkhaltung in vieler Hinsicht offen, klingen seine Deutungen der Bach’schen Werke aus der zeitlich Distanz von zuweilen mehr als einem halben Jahrhundert aktueller als manches, was jüngere Kollegen als aktuelle Stellungnahmen zum Thema vorstellen. Das mag daran liegen, dass Bach zum täglichen Übungspensum des Friedrich Guldas gehörte, und somit ein Teil von dessen Leben, nicht nur von den Programmen der Konzertabende war. Es hängt aber auch damit zusammen, dass Bach mit dem Wissen um die Freiheit der Improvisation gespielt auch in den festgelegten Passagen lebendiger klingt als manch akribisch ausgefuchst notierte Text. “… schee muaß's sei!”, gab Gulda einer Bewunderin als Geheimnis der Musik mit auf den Weg, schließlich ist die Inspiration nicht selten eine Folge der mit Witz reflektierten Perfektion. Und das macht die neu edierten und nach zeitgemäßen Möglichkeiten der Studiotechnik gemasterten Werke von “Gulda plays Bach” zu einem Skizzenbuch der Intuition, nicht so in sich geschlossen wie sie berühmten Aufnahmen des “Wohltemperierten Klaviers”, dafür mit einer Selbstverständlichkeit

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