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Gonzales – Solo Piano

17.09.2004
Chilly Gonzales, Chilly G., Gonzales, Gonzo – der gebürtige Kanadier Jason Beck hat sich in den vier Jahren, in denen er Berlin als seine Wahlheimat auserkoren hatte, gleich eine ganze Reihe von Künstler- und zweifelhaften Spitznamen (etwa “The One-Eyed Jew”, “Fuckeye”, “The Worst MC” oder “Mr. Wolf”) erworben, wenn nicht sogar selber gegeben. Die Redakteure des All Music Guide muß er dadurch so verwirrt haben, daß sie als Gonzales' richtigen Namen fälschlicherweise Sasha Baron Cohen angaben – das ist aber in Wirklichkeit der reale Name des britischen Radikalkomikers Ali G., mit dem Gonzales indes durchaus ein paar Gemeinsamkeiten hat.
Seine ersten Gehversuche als professioneller Musiker machte Jason Beck, der an der Concordia University in Montreal Jazzpiano studiert hat, Mitte der 90er Jahre in Toronto als Mitglied der alternativen Rockband Son, deren eklektische Musik mit der von Elvis Costello und Prince verglichen wurde. Der Erfolg der Band war indes nur mittelprächtig, und so beschloß Jason Beck eines Tages, seine Karriere einem Wandel zu unterziehen und in Berlin einen kompletten Neustart zu wagen. Dort soll ihm jemand von der anderen Straßenseite aus die Worte “Chilly Gonzales” an den Kopf geworfen haben – zumindest war es das, was Beck damals verstanden haben will. Und so hatte der Kanadier gleich einen Namen für seine neue musikalische Identität gefunden.
 
Mit seinen drei Alben für das deutsche Independent-Label Kitty-Yo avancierte Gonzales in rekordverdächtiger Zeit zu einem Liebling der alternativen Musikszene der deutschen Hauptstadt und machte Alec Empire von Atari Teenage Riot schon bald den Titel “Präsident des Berliner Untergrunds” streitig. Sein erstes Album – in einer Mischung aus Größenwahn und Selbstironie “Gonzales über alles” betitelt – bot eine Mischung aus postmodernem Synthie-Pop und jazzig angehauchtem, experimentell verspieltem HipHop. Vom britischen Szenemagazin The Face wurde es sogleich zu einem der zehn besten Alben des Jahres 2000 deklariert.
 
Mit der aus diesem Album stammenden Single “Let’s Groove Again” stürmte Gonzales auch munter die britischen Charts. Der zweite Geniestreich hieß “The Entertainist” und warf vor allem eine Frage auf: Nämlich die, ob Chilly Gonzales mit dem Album den Rap nun vor dem genreüblichen Mainstream-Blabla retten oder ihm durch ebenso perfide wie clevere Verhohnepiepelung den finalen Dolchstoß versetzen wollte. Das 2002 erschienene dritte Album zeugte auch nicht gerade von falscher Bescheidenheit: es war “Presidential Suite” benannt und kombinierte französische Cabaret-Musik mit HipHop. Als Single-Auskopplung erschien der Titel “Dans tes yeux”, der die französische Sängerin Guesch Patti (“Étienne”) featurete. Zum Abschied von Berlin überarbeitete Gonzales schließlich noch einmal einige seiner besten Stücke (zum Teil sehr radikal) und brachte sie auf der etwas ausgefallenen Best-Of-Compilation “Z” neu heraus.
 
Schon während seiner Berliner Jahre unternahm Gonzales regelmäßige Abstecher nach Paris, wo er u.a. mit Daft Punk zusammenarbeitete und den Produzenten Renaud Letang (u.a. Manu Chao, Fermín Muguruza, Angélique Kidjo, Renaud) kennenlernte. 2003 zog er dann schließlich von der Spree an die Seine, um dort seine Zelte aufzuschlagen. Seit ihrer Kollaboration für “Presidential Suite” sind Letang und Gonzales zu einem Team zusammengewachsen. So waren die beiden hinter den Kulissen für die Produktion, Aufnahme, Abmischung und Instrumentierung von Jane Birkins kürzlich veröffentlichem und vielbeachtetem Album “Rendez-vous” zuständig. Das Album präsentiert Birkin in Duetten mit Frankreichs Pop-Elite (Manu Chao, Mickey 3D, Étienne Daho), gestandenen Chansonniers (Françoise Hardy, Alain Chamfort, Alain Souchon), dem brasilianischen Superstar Caetano Veloso, dem italienischen Jazzbarden Paolo Conte, der japanischen Poplegende Yosui Inoue sowie Bryan Ferry (Roxy Music), Brian Molko (Placebo), Beth Gibbons (Portishead), Leslie Feist (eine kanadische Sängerin aus Gonzales' Umfeld) und dem bretonischen Rockprovokateur Miossec. Unter einem weniger glücklichen Stern stand indes die Kooperation mit dem legendären Charles Aznavour, der das Gespann Gonzales/Letang irgendwann feuerte und mit den Aufnahmen für sein kommendes Album noch einmal ganz von vorne anfing…
 
Durch den Rauswurf bei Aznavour fand Gonzales glücklicherweise mehr Zeit für sein jüngstes Projekt: ein diesmal ganz trocken und sachlich betiteltes Album namens “Solo Piano”, das für das gerade aus der Taufe gehobene neue No Format!-Sublabel der französischen Jazzabteilung von Universal Music produziert wurde. Darauf befinden sich, laut Gonzales, “sechzehn Themen für linkshändige Begleitung und rechtshändige Melodieführung”, die mindestens ebenso sehr von der klassischen französischen Klaviermusik Maurice Ravels und Erik Saties beeinflußt wurden, wie vom amerikanischen Jazz Nina Simones oder auch Keith Jarretts und der kanadischen Volksmusik. “Obwohl es heißt, daß das Klavier das Instrument mit den meisten Klangfarben ist, finde ich darauf tatsächlich nur Schwarz und Weiß, so wie in einem alten Stummfilm”, sinniert Gonzales etwas spitzfindig. “Wenn ich auf meine Hände schaue, stelle ich mir jedes Pianostück als Schattenriß an der Wand vor.” Daß Gonzales eine Zeitlang Stummfilmvorführungen musikalisch untermalt und mit seinem in Hollywood lebenden Bruder auch schon an Filmmusiken gearbeitet hat, merkt man diesem Album jedenfalls deutlich an.
 
Bei rund 300 ausgefallenen Live-Auftritten, die Gonzales bislang als Piano-Solist absolvierte, präsentierte er sich teils in der Rolle eines altbackenen Entertainers (mit pinkfarbenem Anzug, Tanzeinlagen und reichlich fließendem Schweiß), teils als surrealer Piano-Rezitator – nach den Konzerten fragte sich mancher Zuhörer und -schauer verdutzt, mit wem Gonzales denn nun mehr gemein habe: mit dem amerikanischen Show-Provokateur Andy Kaufman, dem dänischen Musikparodisten Victor Borge oder gar dem französischen Weichzeichner-Pianisten Richard Clayderman. Der Videokünstler Ninja Pleasure schuf als optisches Gimmick für Gonzales die “Piano Vision”-Projektionen, die dem Publikum ermöglichen, dem Künstler beim Spielen genaustens auf die vergrößerten Finger zu schauen. Mit seinen “Piano Visions” trat Gonzales u.a. schon auf der Berliner Volksbühne, im Hamburger Schauspielhaus, im Pariser Salle Beaubourg im Centre Georges Pompidou und in der Londoner Royal Festival Hall auf. Auch auf der geplanten Europa-Tournee anläßlich der Veröffentlichung von “Solo Piano” möchte Gonzales diesen optischen Effekt einsetzen.
 
Wir verlosen 2x2 Karten für den Gonzales-Showact im Kino des Filmmuseums Potsdam am 08. Oktober um 21 Uhr!
 
Zur Teilnahme senden Sie bitte eine E-Mail mit dem Stichwort “Gonzales” an gewinnspiel@jazzecho.de

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