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Heinrich Mann

Beinahe unversöhnlich

07.12.2005
Sie waren ein schwieriges Paar. Beide sprachbegabt, beide aus bürgerlichem Hause waren Heinrich und Thomas Mann doch im Kern so unterschiedlich, dass sie die jeweiligen Anschauungen des anderen nicht unkommentiert ertragen konnten. Was anfangs Missachtung war, schlug im Laufe der Jahre in offene intellektuelle Feindschaft um, die sich erst im Angesicht der Kapitulation der Zivilisation in Gestalt des Nationalsozialismus wieder zugunsten eines gemeinsamen Engagements gegen die Barbarei entschärfte. So ist es kein Wunder, dass der Briefwechsel der Mann-Brüder zu den spannendsten Zeitzeugnissen der untergehenden Epoche der Bürgerlichkeit zählt.
Thomas Manns Frau Katia brachte es auf den Punkt. In ihrer Autobiografie “Meine ungeschriebenen Memoiren” schrieb sie über die Beziehung der beiden Brüder: “Es war ein Verhältnis, das sich zwischen Anziehung und Abstoßung bewegte und zwar nahm das Abstoßende mit den Jahren zu”. Dabei waren die Intensitäten der Auseinandersetzung durchaus Schwankungen ausgesetzt. Nach den ersten Jugendjahren des Schweigens – es wird kolportiert, dass bereits zu Lübecker Zeiten Heinrich und Thomas es durchgehalten hätten, ein Jahr lang kein Wort miteinander zu wechseln – schafften sie es jeder auf seine Weise, die in sie gesetzten gutbürgerlichen Erwartungen zu enttäuschen und fanden daher in den Bohèmejahren in Italien 1895–98 gemeinsame Interessen. Es entstanden sogar bilaterale Projekte wie das “Bilderbuch für artige Kinder”. Sehr bald jedoch prallten zunächst die unterschiedlichen Moralvorstellungen, gefolgt von politischen Differenzen aufeinander. Während der ältere Heinrich durchaus mancher Sinnenfreude nicht abgeneigt war und aus einem tief empfundenen Verständnis des Menschlichen heraus auch für eine humanistisch-freiheitliche Staatsform plädierte, war der jüngere Thomas prüde wie ein Stockfisch und in erstaunlich kurzsichtiger Weise konservativ. “Ich bin, im geistig Wesentlichen, ein rechtes Kind des Jahrhunderts, in das die ersten fünfundzwanzig Jahre meines Lebens fallen, des neunzehnten”, formulierte er entschuldigend in den “Betrachtungen eines Unpolitistischen”, dem Essay, der im Wesentlichen eine verbale Verklausulierung des Bruderzwistes darstellte.

Klar, dass Heinrich mit solcher vorgeschobener Naivität nicht umgehen konnte oder wollte. So erläuterte er beispielsweise 1907 die Intentionen seiner Erzählung “Die kleine Stadt” mit deutlichen Worten, die wiederum indirekt gegen Thomas gerichtet sind: “Die enge, welt- und bewegungsfeindliche Heimatkunst scheint mir, ganz so wie ihr Gegensatz, der Ästhetizismus, ein Ergebnis politischer Gleichgültigkeit. Ich aber glaube, dass in diesem demokratischen Zeitalter nur jemand, dem am endgültigen Sieg der Demokratie gelegen ist, wirkliche Schönheit hervorbringen kann”. Solche noch vergleichsweise freundlichen Plänkeleien spitzten sich jedoch im Laufe der Jahre deutlich zu, solange bis die Brüder sich zunächst wiederum anschwiegen und dann erst im Kampf gegen das Nazi-Unheil aus dem Exil wieder zu einer gemeinsamen Stimmen fanden. “Nicht einverstanden!” ist daher mehr als nur eine Zusammenstellung unterhaltsam geschriebener Briefe und Dokumente. Über ein halbes Jahrhundert hinweg verfolgt das in Zusammenarbeit mit dem NDR unter der Leitung von Hanjo Kesting verwirklichte Hörbuch die deutsche Zeitgeschichte aus der Perspektive zweier kluger Beobachter ihrer Umwelt, die wie Heinrich vom unmittelbaren Phänomen und wie Thomas von der individuellen Reflexion aus eine Epoche in Worten festhielten. Gelesen von Rudolf Jürgen Bartsch und Bodo Primus bekommen Bruderzwist und Versöhnung eine schillernde Atmosphäre der zwischenmenschlichen Dynamik, die zwei extreme Charaktere die “Erbschaft der bürgerlichen Zeit” (Jean Améry) formulieren ließen.

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