Hélène Grimaud | News | Farben der Musik

Farben der Musik

20.02.2004
Es ist erstaunlich genug, dass Beethovens “Sturm-Sonate” selten in den Programmen großer Pianisten erscheint. Dabei gehört sie zu den leidenschaftlichsten Werken, die der Komponist jemals geschrieben hat. Welche Kraft von ihr ausgeht, vermag Hélène Grimaud mit ihrem Debüt für die Deutsche Grammophon zu vermitteln. Die Faszination liegt in der Sonate selbst, aber auch im ungewöhnlichen musikalischen Environs, mit dem sie umgeben wird: Beethovens “Chorfantasie c-moll”, der “Fantasia On An Ostinato” von John Corigliano und Arvo Pärts “Credo”.
Hélène Grimaud ist wählerisch. Wenn die Zusammenstellung eines Programms nicht passt, kann es passieren, dass sie verlockende Angebote ablehnt. Denn für die Wahl-New-Yorkerin und international renommierte Pianistin aus Aix-en-Provence zählt nur das Ganze, die Wirkung der Musik in Zusammenhang mit den Implikationen und Emotionen, die sie bei Publikum, Begleitern und ihr selbst hervorruft. “Wichtig sind nur der Zuhörer und jener Stern, der ihm unerwartet und wundersam am Himmel seiner Traurigkeit aufgeht,” bemerkt Grimaud im Vorwort zu “Credo” und ergänzt: “die Wärme in der Kälte, eine nicht gekannte Hoffnung in dem allzu vertrauten, quälenden Meer der Verzweiflung. Darin liegt die Liebe. Nicht im Gebenden, nicht im Empfangenden und auch nicht zwischen diesen beiden: Die Liebe liegt im Austausch der beiden. Dieser Austausch, den der Musiker initiiert, ist die Musik”. Und damit kommt sie zu Beethovens Sonate op. 31/2, geschrieben 1802 in Heiligenstadt in einem Zustand der Verzweiflung, als der Komponisten sich der Konsequenzen der zunehmenden Taubheit bewusst wurde. Es ist ein aufwühlendes Werk, vom ersten fragenden Akkord an bis zu den unsteten, flirrenden Linien des dritten Satzes.
 
Und es kam erst spät in Grimauds Programm, das sie für ihr Debüt bei der Deutschen Grammophon erarbeitet hat: “Ausgangspunkt war Beethovens Chorfantasie. Ich sollte das Werk einmal zusammen mit dem Klavierkonzert Nr.4 und anderen Stücken spielen, um das Originalprogramm der Uraufführung nachzugestalten, und lernte es nur widerstrebend. Aber mit der Zeit gefiel es mir immer besser, und ich bekam wirklich Schuldgefühle, weil ich ihm nicht genug Beachtung geschenkt hatte. […] Die Frage war, womit ich ein Gegengewicht zur Chorfantasie bekommen könnte. Das Nächstliegende war ein Beethoven-Konzert, aber diese Kopplung gefiel mir nicht. Ich musste etwas finden, das wirklich ‘das andere’ darstellte. Also habe ich das Projekt zur Seite gelegt, bis etwas geschah. Und wie immer geschah tatsächlich etwas. Als ich in Berlin mit Arvo Pärt darüber sprach, ob er ein Klavierkonzert für mich schreiben könne, begann er, Noten herauszusuchen, und drückte mir Credo in die Hand”. Das war der Gegenpol, den Grimaud gesucht hatte. Pärt hatte das Werk für Klavier, gemischten Chor und Orchester bereits 1968 geschrieben, in einer Phase, da er sich von seiner seriellen Vergangenheit freimachte und die eigene tiefe Religiosität entdeckte.
 
Dazu nun wiederum passte die Leidenschaftlichkeit der “Sturm-Sonate”, die außerdem von einer “Fantasia” eingeleitet wurde, die der amerikanische Komponist John Corigliano (*1938) im Jahr 1985 über das berühmte Thema des zweiten Satzes aus Beethovens siebter Sinfonie geschrieben hatte. So entstand ein Fluss der Gefühle und Klangfarben auf den einen Seite, eine analytische meta-musikalische Ebene des Kommentars als konzeptuelle Klammer auf der anderen. Beides zusammen ergab das ungewöhnliche Programm von “Credo”, das Grimaud im September 2003 zusammen mit dem Swedish Radio Symphony Orchestra & Choir unter der Leitung von Esa-Pekka Salonen und der beratenden Unterstützung Pärts in Stockholm aufgenommen hat. Ein Einstand mit Charakter und Bedeutung.

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