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27 Zugaben für Hilary Hahn

Hilary Hahn
© Michael Patrick O’Leary
21.02.2014
Begreift man die Zugabe als eine Form der Danksagung des Interpreten an sein Publikum, dann hat Hilary Hahn einen Beifallssturm für besondere Generosität verdient: Auf ihrem neuen Album präsentiert die US-amerikanische Geigerin nicht weniger als 27 Zugabestücke – jedes einzelne von einem anderem Komponisten in ihrem Auftrag geschrieben. Betrachtet man die Zugabe als Möglichkeit des Interpreten, den Zuhörern eine spezifische Stimmung oder Botschaft mit auf den Heimweg zu geben, gebührt ihr der Applaus nicht minder: Mit “In 27 Pieces: The Hilary Hahn Encores” legt sie ein außerordentlich spannend konzipiertes und leidenschaftlich musiziertes Plädoyer vor, dass die Tore zur Gegenwartsmusik weit aufstößt und andere Interpreten ermutigt, ihrem Beispiel zu folgen.

Tee trinken, Schokolade essen und ganz viel Musik

“Wenn eine Idee in meinem Kopf auftaucht und sich dort festsetzt, lässt sie mich nicht los, bis ich sie umgesetzt habe”, sagt Hilary Hahn. Der Gedanke, eine Erweiterung des Repertoires der Zugaben anzuregen, war ihr vor etwa zehn Jahren gekommen. Es irritierte sie, dass moderne Stücke in der Fülle an Notensammlungen und CD-Produktionen, die den Zugaben gewidmet ist, kaum eine Rolle spielen. Die Vorstellung, zeitgenössische Komponisten könnten die Form mit neuem Leben erfüllen, begann Hahn immer stärker zu faszinieren. “Ich verbrachte Monate vor meinem Computer, trank Tee, aß Schokolade und hörte jeden Abend stundenlang neue Musik. Ich musste so viel wie möglich über das Material in Erfahrung bringen, das bereits existiert, und Künstler finden, die in mein Konzept passten.”

In der Videodoku zu “In 27 Pieces” berichtet Hilary Hahn über die Aufnahme des Albums.

Ausgeprägter Gemeinschaftssinn

Die nächste Phase beschreibt sie als eine der aufregendsten im Verlauf des gesamten Projekts. Sie betrieb “Kaltakquise”, nahm persönlich Kontakt zu den Komponisten auf, bat um je ein Stück für Geige und Klavier von etwa 1,5 bis 5 Minuten Länge. Hahn sagt, sie habe mit höchstens zehn Zusagen gerechnet. 26 Komponisten sicherten ihre Beteiligung zu, unter ihnen Jennifer Higdon, Somei Satoh, Valentin Silvestrov, Max Richter und Antón Garciá Abril. “Ich war nicht sicher, ob der Umstand, dass eine Vielzahl Komponisten involviert werden sollte, auf einige abschreckend wirken würde. Doch niemand hatte ein Problem damit. Alle zeigten sich erfreut über die Beteiligung jedes Einzelnen. Es war sehr schön, einen solchen Gemeinschaftssinn unter den Komponisten zu erleben.” Das 27. Stück, “The Angry Birds of Kauai” von Jeff Myers, wählte Hilary Hahn aus über 400 Beiträgen für einen eigens von ihr ausgelobten Kompositionswettbewerb aus.

Einhellige Begeisterung

"Wie viele andere Musikliebhaber rund um den Globus hatte ich die Bach-Debütaufnahme aus Hilarys Jugendjahren gekauft”, sagt der Komponist David Lang. “Entsprechend glücklich war ich über die Chance, sie zu treffen und mit ihr zu arbeiten.” Langs Stück “Light Moving” stellt die technische Meisterschaft der Geigerin heraus. “Ich schrieb ein sehr schwieriges kleines Stück, das auf einer nahezu ununterbrochenen Bewegung beruht.”  Begeistert sagte auch Nico Muhly zu. “Eine Miniatur zu schreiben ist ebenso schwierig wie die Arbeit an einem langen Stück, weil es dafür einer wirklich prägnanten und fokussierten Idee bedarf”, sagt er.

Kein Komponist gleicht dem anderen

Die musikalische Vielfalt dieser Sammlung ist so beeindruckend wie die Zahl der Beteiligten. Avner Dorman treibt die Entwicklung seines Stücks “Memory Games” mit pulsierenden Stakkato-Noten voran, bis ein jäher Bruch den in lyrischem Legato verdämmernden Schlussteil einleitet. Valentin Silvestrov schrieb ein Lied ohne Worte, dessen schlichte Schönheit unmittelbar berührt. Hahn oszilliert in Kala Ramnaths “Aalap and Tarana” beständig zwischen dem Klang von Geige und Sarangi, zwischen klassischer indischer und westlicher Musik. “Ich hatte zuvor bereits mit einer Anzahl Komponisten gearbeitet”, sagt sie. “Deshalb nahm ich an, nach einer gewissen Zeit einige Muster oder Typen zu erkennen. Doch ich realisierte, dass es keine Typen gibt. Ich fand keinerlei Übereinstimmungen zwischen den Komponisten und ihrer Art zu Schreiben. Das war sehr aufschlussreich für mich.”

Premiere verbreitet Aufbruchstimmung

Für die Vorstellung des Albums wählten Hilary Hahn und Pianist Cory Smythe einen ungewöhnlichen Rahmen. Sie initiierten im November 2013 eine ganztägige Veranstaltung in der Greenwich House Music School in New York, zu der sie Komponisten, Musiker, Journalisten und Neugierige einluden. Teil des Programms waren verschiedene Diskussionsrunden, eine Vorführung des Films “The Village” mit Musik von James Newton Howard, eine Klanginstallation von Du Yun und ein Konzert mit Nico Muhlys “Diacritial Marks”. Hahn und Smythe stellten “In 27 Pieces: The Hilary Hahn Encores” im Verlauf des Tages in vier Teilen vor. Alex Ross, US-amerikanischer Kritikerpapst vom Magazin The New Yorker, befand sich unter den Gästen. Angesichts der ungezwungenen Atmosphäre dieses Mini-Festivals geriet er ins Schwärmen: “Die anhaltende Krise der Spitzenliga-Klassik schien weit weg; es fühlte sich an, als seien wir bereit für einen Neuanfang, in der Gegenwart”, schrieb er in seinem Blog.
Das Album “In 27 Pieces: The Hilary Hahn Encores” (2CDs) ist ab 21.02. in Deutschland erhältlich. Die Noten werden in Buchform und digital beim Verlag Boosey & Hawkes erscheinen.

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