Ich Kann Fliegen | Biografie

Ich kann fliegen

Die Frage danach, was eine Band ausmacht, ist heutzutage nicht leicht zu beantworten. Was bewegt vier junge Leute heute noch dazu, sich Gitarren umzuschnallen, Songs zu schreiben und sich anschließend jenseits der Bundesstraßen den Arsch ab zu touren? Welche Eigenschaften braucht man genau, um auf einer Bühne zu stehen wie auf einer Schiffsbrücke und jeden Abend ein völlig neues Publikum in Bann zu schlagen, selbst wenn man selber nicht genau weiß wohin die Reise geht? Oder anders ausgedrückt: Wie findet man eine eigene Stimme, wenn die Welt schon laut genug ist?
Ich Kann Fliegen haben keine Antworten auf diese Fragen. Sie sind vielleicht auch nicht die Antwort auf diese Fragen. Aber sie haben Songs, die sich besser anfühlen als alle Antworten, weil sie eine eigene von Neugierde geprägte Welt zelebrieren, die Worte wie Abenteuer, Lebenslust und Romantik wieder mit Sinn erfüllen. Seit 2006 haben sie 50 Songs geschrieben, unzählige Konzerte gegeben und sich genau die Art Fans erspielt, die Dinge noch persönlich nehmen. Wenn Ich Kann Fliegen auf die Bühne kommen, tun sie das selbst immer noch wie aus der ersten Reihe Stehplatz, und die Songs, die sie spielen, lesen in den Gedanken des Publikums.
Im heimatlichen Hannover, sagt die Band, wünschen sich die Leute noch immer die Lieder aus der ersten Probe, das lokalpatriotische Besitzdenken als weiteres Indiz für Qualität. Ich Kann Fliegen sind selber Fans, und sie sind Freunde. Sie singen auf Deutsch, weil man in dieser Sprache nicht nur brüllen kann wie Escapado und fluchen wie die Kassierer, sondern auch Emotionen auf eine große Leinwand bringen kann. Eine “Feuerwerksband” wollen sie sein, mit Songs, auf deren groß angelegte Strophen noch größere Refrains folgen, und die einen dazu anstiften sein Leben zu ändern oder wenigstens ein Auto zu klauen.
Es ist ein Versprechen, dass ihr Albumdebüt einlösen kann. Ich Kann Fliegen-Songs sind an den raumgreifenden Gesten von Jimmy Eat World und etlichen anderen Emopunkbands geschult und bieten emotionale Höhepunkte in einer unverstellten Eindringlichkeit, wie man sie sich als Soundtrack seiner eigenen Jugend wünscht. Dieser Band zuzuhören fühlt sich an wie das Leben, das durch heruntergelassene Fenster hereinströmt, durchaus verbunden mit all der aufregenden Unsicherheit und flüchtigen Ekstase, die damit einhergehen.
“Heute Nacht gehört uns die Welt/ Auch wenn sie uns morgen früh aus den Händen fällt.” Diese Zweischneidigkeit und Doppelbödigkeit gehört zu Ich Kann Fliegen und lässt sich schon im Bandnamen selber erahnen. Fliegen ist schließlich nah genug an Fliehen, um das Romantische mit dem Melancholischen und Ruhelosigkeit mit Nachdenklichkeit zu verbinden. Aufbruchsstimmung auf der einen Seite, das Gefühl einen Teil von sich zurück zu lassen andererseits. Der Vorwurf alle Empfindungen in möglichst grandiose Gitarrenballaden zu übersetzen, trifft Ich Kann Fliegen nicht.
Weder das Rauschhafte noch das Hin- und Hergerissensein sind Emotionen, die mit kleinem Besteck verfrühstückt werden, und Euphorie und Drama sind nichts für die Fußgängerzone. Ich Kann Fliegen-Songs sind Miniaturen, die jede für sich die gesamte Bandbreite dessen abdecken, was normalerweise auf Albumlänge verhandelt wird, und die sich dennoch weigern, als pflegeleichte Radiobeschallung daherzukommen. “Ich fange tausend neue Sachen an/ und bringe nichts zu Ende/ weil ich das am besten kann” heißt es an einer Stelle, und es ist diese Ehrlichkeit, gefiltert durch die Linse jugendlichen Drangs, die live für den Funkenflug sorgt.
Musikalisch legen Ich Kann Fliegen dabei eine Raffinesse an den Tag, die man einer Newcomer-Band nicht ohne weiteres zutraut. Punktgenauer Harmoniegesang, ausgefeilte Arrangements und immer ein Melodieschlenker mehr als unbedingt nötig lassen die Band wie frühreife Könner wirken, die ihr handwerkliches Arsenal mit Übersicht einsetzen. “Wir haben uns über die lange Studiozeit gefreut”, sagen sie, “und wenn da ein Flügel steht, dann macht man halt was damit.” Bei Ich Kann Fliegen sind alle Bandmitglieder am Songwriting beteiligt, und dementsprechend vielseitig stellt sich ihr Repertoire dar.
Bestes Beispiel: “Keine Lieder über Liebe”, eine Ballade aus den Scherben der jüngeren deutschen Rockhistorie, die als konzeptionelles Liebeslied genau jene Thematik mit neuem Leben füllt, die man ansonsten schnell als abgegriffen abtut. “Es gibt soviel gute deutsche Musik, da haben wir uns da einfach mal bedient”, sagt die Band, und liefert die eigene Philosophie gleich hinterher: “Es gibt ja theoretisch alles schon mal, aber wenn man es anders machen kann und cooler, warum macht man es dann nicht?”
Bei der Frage was eine Band ausmacht, kann es keine Antworten geben.
Antworten sind endgültig und deswegen starr, so wie es eine gute Band nie sein kann. Eine gute Band ist mehr wie das Leben, insofern als dass sie sich verändert und bewegt. Es werden Momente dabei herausspringen, die, kaum festgehalten, schon wieder der Vergangenheit angehören, und die Momente werden lässig und lebenswert sein, wenn sie die Gefühle und Gedanken der Fans treffen. Aber echte Fans genau wie echte Bands sind in solchen Momenten schon wieder auf der Suche nach einer unbeschriebenen Zukunft, die verheißungsvoll am Horizont schimmert und mit all dem lockt, dem sich auch Ich Kann Fliegen verschrieben haben: der Neugierde auf das Unbekannte.
“Wir möchten auf jeden Fall, dass die Leute ein zweites Album haben wollen”, sagt die Band. Das gilt in kleinen Clubs und großen Hallen, es gilt in den Städten und in der Provinz. Und es gilt im Tourbus, wenn Kilometer gefressen und Radiostationen verschlissen werden, auf der Suche nach einem neuen Song. “Immer wenn Aufgaben vor uns lagen, haben wir uns zusammengerauft”, sagen sie. “Und das macht es wahrscheinlich auch aus.” Es geht immer um den Moment. Ich Kann Fliegen sind schließlich eine Feuerwerksband.
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