Jamie Cullum | News | Track By Track Interview

Track By Track Interview

Jamie Cullum (2020)
01.10.2009
01: “Just One Of Those Things”
“Dieser Song handelt schlicht und einfach von einem One-Night-Stand – ein brillantes Thema! Es handelt sich dabei um einen alten Song von Cole Porter, aber den Anfang habe ich neu dafür geschrieben. Von mir sind also das Klavier und der Gesang zu Beginn des Stücks, der Teil, in dem es darum geht aufzuwachen und sich zu fragen, neben wem zur Hölle man da eigentlich gerade im Bett liegt. Ehrlich gesagt gehört eine ordentliche Portion Mut dazu, einfach so eine Nummer von Cole Porter umzuschreiben, und ich weiß jetzt schon, dass mich der eine oder andere Jazz-Kritiker dafür am liebsten umbringen werden wird.
    Aufgenommen wurde der Song live mit dem Count Basie Orchestra in New Jersey. Den Weg zum Studio von Tony Bennett hatten wir dafür extra mit Linien auf der Straße ausgewiesen. Für das Arrangement selbst war Frank Foster verantwortlich, der früher auch mit Count Basie gearbeitet hat. Er ist inzwischen Mitte achtzig. Ich rief in an und zwei Tage später hatten wir bereits dieses unglaubliche Arrangement im Kasten.”

02: “I’m All Over It”
“Ich wollte einen richtig knackigen Popsong schreiben, wie Elton John sie in den Siebzigern aufgenommen hat, und dazu sollte der Track einen leichten Ben-Folds-Beigeschmack haben. Ich hatte eine Trennung hinter mir und inzwischen die Liebe meines Lebens kennen gelernt, darum handelt es sich hierbei um eine Art Trennungssong, in dem ich den Moment beschreibe, wenn der Schmerz endlich verfliegt, der Schalter umgelegt wird und man bemerkt, dass es einem wieder gut geht. Außerdem ist es ein gutes Beispiel für einen Text von mir, der auf den ersten Blick einen Sinn ergibt, allerdings ändert sich das, wenn man ihn zerpflückt und ganz genau analysiert. Es ist definitiv der poppigste und schnellste Song, den ich je geschrieben hab, und daran habe ich auch nur 90 Minuten gesessen.“ Für die Streicher-Arrangements war in diesem Fall Paul Buckmaster verantwortlich.”
 
03: “Wheels”
“Es war Januar und ich fuhr gerade im Auto durch die Gegend, als es mit der Kreditklemme losging und das Wetter einfach nur mies war. Da fiel mir folgende Zeile ein: „The wheels are falling off the world.“ Ich schrieb sie auf und machte erstmal gar nichts damit. Dann kam ein Freund mit seinem vierjährigen Sohn vorbei, und der zeigte mir eine Übung, die man heutzutage in den ersten Klavierstunden macht: Man rollt dabei die Knöchel über die schwarzen Tasten. Und mit einem Mal passte alles perfekt zusammen. Dieser Song basiert also auf den Tönen und dem Aufbau, den mir der Vierjährige gezeigt hatte! Inhaltlich geht’s um die Klarheit, die man manchmal verspürt, wenn man ausgeht und sich ordentlich einen einschenkt. Genau genommen geht es darum, diesen Zustand auch dann zu erreichen, wenn man wieder nüchtern ist.”

04: “If I Ruled The World”
“Ich kannte das Musical ‘Pickwick’ ursprünglich gar nicht, aus dem dieser Song stammt. Viele Leute erinnern sich bestimmt an die Version von Harry Secombe, doch ich kannte früher nur die von Tony Bennett. Für mich ist der Text das Größte daran. Er ist genauso unglaublich wie die Texte von den Beatles oder Paul Simon. Und die Musik sollte dazu wie bei einer Beerdigung klingen. Denn inhaltlich ist es ein positives Stück, das ich mit der Musik auf den Kopf stellen wollte. Die ganze Produktion klingt etwas ‘spacig’, fast schon wie bei Portishead.”
 
05: “You And Me Are Gone”
“Dieser Song ist ganz spontan aus einem Bewusstseinsstrom entstanden. Ich war mit meiner Band im Studio und der Text entstand wären wir einfach so zusammen spielten. Dann fuhr ich nach L.A. und kam in die Sunset Studios, wo schon die Alben ‘I’, ‘II’ und ‘III’ von Led Zeppelin aufgenommen wurden, und der Toningenieur sagte zu mir: ‘Weißt du, was hier noch aufgenommen wurde? Das Dschungelbuch!’ Genau in dem Moment wurde mir klar, wie der Song zu klingen hatte: wir mussten diesen Dschungelbuch-Vibe à la Louis Prima kreieren. Der Text ist übrigens zweideutig: du und ich, wir sind weg und so verliebt; und: mit dir und mir ist es aus.”

06: “Love Ain’t Gonna Let You Down”
“Das ist ein waschechtes Liebeslied und vermutlich das erste aus meiner Feder, in dem kein Witz versteckt ist. Ich glaube sogar, dass dieser Song ein echter Klassiker werden könnte. Schließlich wird sich jeder in diesem Stück wieder erkennen, der schon mal verliebt war und seinem Gegenüber sagen wollte: ‘Dieses Mal wird es nicht in die Hose gehen. Alles stimmt.’ Es ist fast schon eine Art Appell an einen selbst, die Sache bloß nicht in den Sand zu setzen.”

07: “Please Don’t Stop The Music”
“Die Auswahl eines Coversongs ist eine Wissenschaft für sich. Als ich damals ‘High And Dry’ und ‘Frontin’’ aufgenommen habe, war dieses Phänomen noch nicht so weit verbreitet. Doch sind Coversongs schon immer Teil meiner DNS, schließlich bin ich Jazzmusiker. Mir ist es schon oft passiert, dass mir ein Song einfällt, den ich gerne aufnehmen würde – und dann hat ihn mir doch schon wieder jemand vor der Nase weggeschnappt. Ich dachte zum Beispiel an ‘Every Heartbeat’ von Robyn, aber dann haben Girls Aloud eine Version für Radio One gemacht! ‘Umbrella’ habe ich einen Tag nach der Veröffentlichung zum ersten Mal gecovert, aber schon wenig später spielten alle diesen Song. Im Fall von ‘Please Don’t Stop The Music’ war es vor allem der Text, der mich überzeugt hat – er ist einfach so unglaublich sexy! Und dazu kommt die Tatsache, dass ich das Stück sehr gut in etwas verwandeln konnte, was vollkommen anders klingt.”

08: “Mixtape”
“Den habe ich live schon als Disco-Song über den Tod der Musikindustrie gespielt. Eigentlich ist es ein Liebeslied für den Musik-Freak in mir. Früher gab es nichts Romantischeres, als ein Mixtape für ein Mädchen aufzunehmen. Und mir ist klar geworden, dass es auch heutzutage nichts Romantischeres gibt, als auf den Dachboden zu gehen, den Kassettenrecorder abzustauben, eine Maxell C90 zu suchen und dann ein solches Tape aufzunehmen. Heute ist es sogar noch romantischer, weil man erst den ganzen Aufwand betreiben und die Technik auf den Stand von damals zurückspulen muss.”

09: „I Think, I Love“
„Nun, hier haben wir also ein Liebeslied mit Scherzfaktor im Text. Es handelt davon, wie unentschlossen Männer doch sein können; von dem Moment, wenn du deine eigenen Gefühle einfach nicht unter Kontrolle hast. Aufgenommen wurde es auf einem Klavier, bei dem das mittlere Pedal durchgedrückt war, der Song zu Beginn also sehr gedämpft klingt. Die erste Hälfte klingt daher wie die billigste Produktion, die du je gehört hast, doch dann setzt das Orchester ein. Der Aufbau ist ganz klassisch, im Stil eines Cole-Porter-Songs, aber ausgestattet mit einem Text, der dafür sorgt, dass es so richtig nach Hier und Jetzt klingt.“

10: “We Run Things”
“Den habe ich zusammen mit meinem Nachbarn geschrieben, KG, einem HipHop-Produzenten, der bei vielen der frühen All-Saints-Tracks seiner Finger im Spiel hatte – und mein Bruder war auch daran beteiligt. Eigentlich ist es ein Breakbeat-Song. Wir schrieben ihn eines Nachmittags im Haus von KG. Der Text ist ausgesprochen düster. Genau genommen ist die Aussage des Songs: ‘Leg dich bloß nicht mit mir an.”
 
11: “Not While I’m Around”
“Das ist ein Stück aus dem Musical ‘Sweeney Todd’, von dem ich schon immer ein großer Fan war. Ich habe den Beat von ‘Teardrop’ von Massive Attack genommen und einen Song von Stephen Sondheim darüber gespielt!”

12: “Music Is Through”
“Vor ein paar Jahren habe ich damit angefangen, diese Dance-Sache mit meinem Bruder zu machen. Gemeinsam schrieben wir sechs Songs, die man über House-Beats spielen kann, er am Bass, während ich Keyboard spiele und den Gesangspart übernehme. Das hier ist ein Song, den wir eigentlich für unser gemeinsames Projekt geschrieben haben; ich musste ihn umschreiben, damit er zu meinem Sound passt. Aufgenommen ist er mit Klavier und Kontrabass, und es ist ein richtiger Four-to-the-Floor-Track, ein House-Stück, ja fast schon eine Akustikversion von dem, was sonst auf Ibiza laufen könnte.”
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