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Jamiroquai, “Automaton”, 2017

Jamiroquai 2017
05.04.2017
Auf eine Karriere, die ein Vierteljahrhundert umspannt, können definitiv nur die wenigsten, nur die allergrößten Acts der Musikwelt zurückblicken. Noch kleiner die Zahl derjenigen, die von sich behaupten können, ein derartiges Jubiläum mit einem der größten Alben ihrer ganzen Karriere begangen zu haben. Langlebigkeit – das ist die eine (zugegebenermaßen: seltene) Sache. Eine ganz andere ist es, einen Sound, einen Ansatz, ja eine ganz eigene Ästhetik immer weiter zu verfeinern, das zu verbessern und immer wieder neu zu denken, was einem bereits Albumverkäufe in Höhe von 27 Millionen Einheiten beschert hat – ganz zu schweigen von unzähligen Awards (u.a. ein Grammy, ein Ivor Novello Award, fünf MTV-Awards) und gleich fünf ausverkauften Welttourneen.
Doch genau das hat Jay Kay, der Mastermind von Jamiroquai, mit jenen krassen Electro-Funk-Grooves, jenen Sci-Fi-Dancefloor-Ausbrüchen geschafft, die auf “Automaton”, dem achten Album seiner Band zu hören sind. Kein Zweifel: Vom intergalaktischen Nachdruck des Titelsongs über die Handclap-Disco-Sounds der ersten Single “Cloud 9” bis hin zum Sunshine-Cruiser-Modus von “Something About You”, ist “Automaton” ein durch und durch klassisches Jamiroquai-Album – und dann sogar noch ein bisschen mehr als das.
“Es ist ein in sich abgeschlossenes Album”, sagt Kay, wobei seine Augen ein wenig funkeln, seinen Mund ein ganz dezentes Lächeln umspielt. “Alles daran sitzt, es ist fertig und rund so. Die Regel lautete: Nur Killertracks, kein Füllmaterial. Und es gab durchaus grandiose Songs, die es nicht darauf geschafft haben – weil sie dann doch nicht grandios genug waren. Wir wussten einfach, dass dieses Mal alles sitzen musste. Und wenn du’s nicht perfekt machst, also kein Album aufnimmst, das sich schlüssig anfühlt, das du selber abfeierst, bei dem die Rhythmen sitzen, die Melodien sitzen, das sich einfach gut anfühlt und cool, dann, nun ja, was soll das Ganze dann denn überhaupt? So einfach ist die Sache doch.”
Sieben Jahre sind seit der letzten LP-Veröffentlichung vergangen, seit dem Funk-Rock-Rundumschlag von “Rock Dust Light Star” aus dem Jahr 2010. Der spürbare Druck, ein Album abliefern zu müssen, für das sich die lange Wartezeit auch gelohnt hat, hatte etwas Positives: Kay wusste dadurch, dass er sich auf das konzentrieren musste, was Jamiroquai schon immer so einzigartig gemacht. Und auch die längere Pause hatte etwas für sich: Der ganze Prozess fühlte sich dadurch wieder sehr viel spannender, frischer an.
“Also diese Frage hat schon sehr viel Konzentration verlangt: Welche Art von Album wollen wir machen? Wie schaffen wir es, den alten Jamiroquai-Sound zu nehmen und ihn so richtig aufzupolieren? Etwas Neues fürs Jahr 2017 daraus zu machen? Wie bekommen wir die richtige Balance aus den elektronischen und den Live-Elementen hin, oder auch zwischen dem, was die Leute von uns hören wollen, und dem, was uns selbst vorschwebt? Ich wusste von Anfang an, dass ich das Album zusammen mit Matt Johnson schreiben und produzieren wollte, unserem Keyboarder. Mit Matt kann ich einfach am besten arbeiten. Er weiß einfach, worum es mir geht. Er weiß, wo ich herkomme, wo ich hin will. Ich sagte zu ihm: Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, am dem wir das hier in Angriff nehmen müssen – und es muss wirklich sitzen. Na ja, und jeder, der das Album bisher gehört hat, findet, dass es vollkommen neu und spannend klingt. Schon noch nach uns, aber einen Schritt weiter.”
“Ich würde sagen, dass ich an einem gewissen Punkt einfach genug hatte”, so sein Kommentar über die längere Albumpause. “Zumindest hatte ich genug vom Business, dem Drumherum, von den Anwälten, den Buchhaltern – nicht von der Musik selbst. Also nahm ich mir diese Auszeit, widmete mich meinen Spielzeugen, den Autos, dem Helikopter; ich machte einfach ein paar Dinge, die mir so in den Sinn kamen. Doch was macht man danach, wenn man damit fertig ist? Nun, weißt du was: Wenn man das macht, was ich mache, dann hat man das im Blut. Das hängt man nicht einfach so an den Haken.”
Natürlich hat Jay Kay die Musik im Blut. Da er schon als kleiner Junge seiner Mutter, der Jazz- und Varieté-Sängerin Karen Kay auf Bühnen in aller Welt zuschauen konnte, überrascht es nicht mal, dass er sich im London der späten Achtziger zur Rare-Groove-Szene hingezogen fühlte. Dass er als Teenager in den Clubs von Ealing, im Westen von London, die Nächte durchtanzte. Mit 17 machte der schlaksige Junge mit dem Skateboard und dem nicht zu übersehenden Faible für abgefahrene Kopfbedeckungen bereits erste eigene Tracks, so dass er schon bald beim einflussreichen Dance-Label StreetSounds (dem Label von Morgan Khan) einen ersten Vertrag unterzeichnete.
Noch ein paar Jahre danach, 1992, hatte der inzwischen 22-Jährige seinen Hang zu “Funky Music” mit seiner wachsenden Sorge um den Planeten zusammengedacht, wobei er Letzteres in einer Anspielung auf den Stamm der Irokesen (-iroquai) zum Ausdruck brachte: Unter dem Namen Jamiroquai war er bei Acid Jazz Records unter Vertrag und veröffentlichte mit “When You Gonna Learn?” eine erste Single, ja ein erstes unmissverständliches, von Bläsern vorangetriebenes, soziopolitisches Statement, an dem in den Monaten danach wirklich kein Vorbeikommen war. Als der Track wenig später noch einmal von Sony Records neu aufgelegt wurde, hatten Jamiroquai einen Vertrag über acht Alben (!) unterzeichnet. Inzwischen war Acid Jazz mehr als nur ein Label, sondern ein fester Begriff, ein Sound und eine Bewegung, und das “Buffalo Man”-Logo der Band war omnipräsent. Kurzum: Es war die Geburtsstunde einer neuen Musikikone.
Mit seinen intelligenten Hooks, seinen extrem tanzbaren Grooves, seinem vollkommen einzigartigem Sound war schon das Debütalbum "Emergency On Planet Earth" eine Sensation – und es kam genau zur rechten Zeit, weil die Poplandschaft in jenen Tagen mehr als übersättigt war mit vorfabriziertem Plastikpop. Kays schnelle Scat-Gesänge, der Soul in seiner Stimme, die Mischung aus sonnigen Vibes und coolen Bläsern, sich windenden Bässen – all das transportierte eine Energie, eine Positivität, die einen in jenem Sommer tatsächlich an jeder Ecke begegnete, denn “Too Young To Die”, “Blow Your Mind” und “Emergency On Planet Earth” dröhnten aus unzähligen Autos…
Nachdem sie sich die Aufmerksamkeit schon mit dem Erstling gesichert hatten, benutzten Jamiroquai den viermillionenfach verkauften Nachfolger “Return Of The Space Cowboy” (1994), um den Fokus von globalen Missständen auf innerstädtische Konflikte zu verlagern: Etwas düsterer klangen sie nun – und wurden spätestens damit endgültig zum Vorreiter in Sachen “Urban Music” aus UK. Präsentiert durch einen Schleier aus Drogenkonsum und Frustration, vertonten sie mit “Just Another Story”, “Light Years” und “The Kids” jene Unrast, die sich in den frühen Neunzigern ausbreitete, während sie zugleich Auswege aus der Misere aufzeigten: “Half The Man”, “Stillness In Time”, “Space Cowboy” – das waren süßlich-selbstgedrehte Gegenentwürfe, wenn man so will. Bis heute hat der UK-Sender Kiss FM keinen Song so häufig gespielt wie “Space Cowboy”, während andere Stücke aus dem zweiten Album von Leuten wie Tupac, Missy Elliott oder auch Calvin Harris dankend als Samplequelle ausgeschlachtet worden sind. 
Von den Erfolgen bestätigt und noch selbstbewusster als zuvor – schließlich war die Weltherrschaft inzwischen greifbar nah –, fasste Kay den Entschluss, Jamiroquai fürs dritte Album “Travelling Without Moving” (1996) einen Turbo zu verpassen: Alles musste größer, krasser sein. Die Grooves, die Refrains, die Tanzschritte, die Hits, die Videos, einfach alles. Selbst der Faktor Sozialkritik und die Hüte sollten noch viel größer sein. Und der Plan ging auf, denn tatsächlich erreichten Jamiroquai mit Album #3 die große Masse und legten zugleich zeitlose Songs vor, ganz zu schweigen von weiteren Karrierehighlights und einer ganzen Reihe von Auszeichnungen, die sie dafür gewannen.
Der Startschuss erfolgte mit “Virtual Insanity”, einer unwiderstehlichen Warnung von Genmanipulation inklusive Video, das mit sich bewegenden Böden, sich bewegenden Sofas und noch beweglicheren Tanz-Moves von Kay dem erfolgreichen Track in nichts nachstand. Zum intergalaktischen Boogie von „Cosmic Girl“ durfte ein lila Lamborghini die Rolle des Protagonisten übernehmen, woraufhin auch die von Bläsern getragenen Party-Tracks “Alright” und “High Times” dafür sorgten, dass sich die LP insgesamt gut 12 Millionen Mal verkaufen sollte.
Dieses Fundament, die so entwickelte Formel aus interstellaren Grooves, federleichten Arrangements, Dancefloor- und Disco-Anleihen und einer Portion Gewissenhaftigkeit und Weitblick, verfeinerten Jamiroquai danach mit den Alben “Synkronized” (1999), “A Funk Odyssey” (2001), “Dynamite” (2005) und “Rock Dust Light Star” (2010), aus denen eine lange Serie von Hits hervorging: “Deeper Underground”, “Canned Heat”, “Little L”, “You Give Me Something”, “Love Foolosophy”, “Corner of the Earth”, “Feels Just Like It Should”, “Seven Days In Sunny June” oder auch “White Knuckle Ride”.
Und nun also “Automaton”: Das fokussierteste, stringenteste – und vor allem auch tanzbarste Album von Jamiroquai seit “A Funk Odyssey aus dem Jahr 2001. Hier findet man alles: Club-Tracks, die 100% auf den Punkt produziert sind, ultrapräzise Beat-Schichtungen, satte Bässe, Space-Invader-Synthesizer, Disco-Streicher und nicht zuletzt massive, ansteckende Hooks, die mehr als nur ein bisschen an “Little L”s Eingängigkeit anknüpfen. Songs mit unmissverständlichen Titeln wie “Shake It On”, “Superfresh”, “Hot Property” und “Cloud 9” sind dafür gemacht, Tanzflächen in Brand zu setzen – wobei die Refrains so gestrickt sind, dass man nicht nur dazu tanzen, sondern auch gleich kollektiv mitsingen will.
Something About You” und “Summer Girl” hingegen bringen die Sonnenstrahlen und das Riviera-Feeling zurück, woraufhin “Nights Out In The Jungle” und “Dr Buzz” auch für Düsteres Platz machen: Ersterer ist in hypnotischer Bass-Track, inspiriert von Amy Winehouse, in dessen Verlauf sich der Sänger seinen eigenen Ausschweifungen und früheren Eskapaden mit Promi-Fotografen in den Neunzigern widmet. “Dr Buzz” hingegen hat etwas Verzweifeltes, wenn er sich mit dem Problem der Ungleichbehandlung von US-Amerikanern verschiedener Rassen befasst (ein Thema, das er schon auf “Emergency On Planet Earth” angesprochen hatte).
Wenn “Travelling Without Moving” nun Jamiroquai im Turbogang war, dann ist “Automaton” die Version mit Hyperantrieb, denn Jay Kay & Co. bewegen sich von Anfang an in einer ganz anderen Galaxie. Dort landen sie schon mit dem Titeltrack: Inhaltlich die direkte Fortsetzung von “Virtual Insanity”, ist der Song „Automaton“ ein echter Cyber-Funk-Rundumschlag, in dessen Verlauf ein roboterhafter Kay die digitale Realität mit Laserstrahl-Synthesizern beschießt, um gleich noch Alien-Harmonien und ein postapokalyptisches Video hinterher zu feuern.
“Es geht darum, wie sich künstliche Intelligenz und Technik ganz allgemein in der Welt durchsetzen”, so Kay. "Darum, wie wir als Menschen so langsam die angenehmen Dinge, die schlichten und einfach die schönen Aspekte unseres Daseins und unserer Umwelt aus den Augen verlieren – inklusive der zwischenmenschlichen Beziehungen sogar. Wir alle werden zu Robotern, zu “Automatons”. Wir alle lassen uns von unseren Telefonen, von unseren Computern kontrollieren. Wir vergessen dabei die Welt um uns herum, ja all die schönen, natürlichen Dinge, die es da gibt, diese ganz einfachen Dinge."
Zwar hat sich Jay Kay schon vor 25 Jahren mit der Zukunft unseres Planeten befasst, aber die Art und Weise, mit der er dieses Ur-Thema von Jamiroquai dieses Mal angeht und in die Zukunft blickt, wirkt sehr viel dringlicher und persönlicher. Was an persönlichen Veränderungen liegen mag: In den sieben Jahren seit der letzten LP ist er gleich zwei Mal Vater geworden, hat heute zwei Töchter. Und wenn man ihn dann auf den Abschlusstrack “Carla” anspricht, ein superlässiger Siebziger-Shimmy voller Licht und Liebe, gewidmet seiner Ältesten (deren Geburt dieses Album auch ein wenig verschoben hat), dann ist das heute 47-jährige, ehemalige Partytier plötzlich ganz ungewöhnlich zurückhaltend und fast schon schüchtern.
“Das ist ein ziemlich emotionaler Song für mich. Er ist ganz schlicht. Bringt meine innersten Gefühle auf den Punkt. Nichts daran ist übertrieben, sondern einfach nur schlicht und genau so, wie ich ihn haben wollte. Es war mir absolut wichtig, dass die Nummer nicht zu süßlich klingt – sondern einfach die Freude vertont, die damit einhergeht. Es war nicht besonders schwer, die richtigen Worte zu finden, aber es war auch kein Zuckerschlecken – schließlich gab es da so viele Dinge, die ich damit zum Ausdruck bringen wollte. Ich finde, dass es ein echt schöner Schlusspunkt für dieses Album ist.” Dann bringt ihn ein weiterer Gedanke zum Lächeln, und er ergänzt: “… denn schließlich gibt es nichts, was den Geist ähnlich fokussiert macht wie das Kinderhaben. Das ist mal klar.”
Kinder zu haben, ausreichend (Frei-)Zeit zu haben, die Musik zu vermissen (nicht so sehr das Business drum herum) oder einfach nur der Wunsch, den eigenen Namen nicht immer nur in Sätzen in der Vergangenheitsform hören zu wollen: Ganz egal, was nun genau den Anstoß für dieses neue Kapitel gegeben hat. Denn viel wichtiger ist: Jay Kay hat dafür gesorgt, dass Jamiroquai auf “Automaton” in der Form ihres Lebens sind.
“Natürlich wünscht man sich, dass die Leute die Sachen verstehen”, sagt er abschließend und holt aus, um das zu beschreiben, was ihn und seine Band auch nach 25 Jahren antreibt. “Man will etwas erschaffen, das man mitsingen kann. Es geht also um Hits – allerdings um Hits, für die man nicht den eigenen Sound opfern muss. Ich hasse es, wenn Künstler auf ihrem ersten Album großartige Songs hatten, ab dem dritten dann aber nicht mehr wiederzuerkennen sind, weil sie plötzlich wie die anderen angesagten Acts klingen wollen. Und natürlich ist es nicht immer leicht, dein eigenes Ding durchzuziehen und daran festzuhalten. Man muss diese Sache pflegen, sie kultivieren, dafür auch mal kämpfen. Und du musst die Balance halten – zwischen dem, was den Leuten an diesem Sound gefällt, und neuen Elementen, damit es für einen selbst spannend bleibt. Diese Balance ist der Grund dafür, dass es uns noch immer gibt. Und genau sie macht auch dieses Album aus. Was ich damit eigentlich sagen will: Wenn du Sachen von uns hörst – dann weißt du immer sofort, dass ich es bin.”

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