Genau 40 Jahre ist es her, als KARAT mit ihren Hymnen „Über sieben Brücken“ und „König der Welt“ erstmals einen Siegeszug antraten und mit diesen zwei Songs Platz 1 und 2 der Jahreshitparade anführten. Heute, zwölf Millionen verkaufte Tonträger und viele weitere Hits wie „Der Blaue Planet“, „Schwanenkönig“ und „Jede Stunde“ später, sind die ersten Erfolge längst zu Klassikern der deutschen Rock- und Popgeschichte geworden. Die Band könnte sich entspannt zurücklehnen, eine Jubiläumsedition auf den Markt werfen und sich noch ein weiteres Mal für die alten Werke feiern lassen. Das ginge durchaus in Ordnung, doch KARAT leben den Gegenentwurf. Ihre langjährige Karriere hatte Höhen und Tiefen, Irrwege und Schicksalsschläge, doch eins hat es nie gegeben: Stillstand. Wer Bernd Römer (git), Michael Schwandt (dr), Christian Liebig (b), Martin Becker (keyb) und Claudius Dreilich (voc) kennt, weiß, dass diese Band ein lebendiger Organismus ist, dessen Kreativität keine Routinen kennt. Es bleibt eben immer alles anders mit diesen gestandenen Männern.
So schwingen sich KARAT mit ihrem neuen Album „Labyrinth“ zu neuen Höhen auf. Noch nie haben die Musiker so lange an einem Album gearbeitet. Nie hatte sich jeder Einzelne von ihnen mehr eingebracht. Natürlich bleiben sie unverkennbar KARAT, sie stehen nach wie vor für die seltene Symbiose aus mehrheitstauglichem Pop und emotionalen Tiefgang. Jeder Ton erinnert daran, warum KARAT schon jahrzehntelang geschätzt und geliebt werden. Aber die Band hat noch einmal eine Schippe draufgelegt. Sie sind angekommen in der ausgehenden zweiten Dekade des neuen Jahrhunderts. Das wird vor allem in der Produktion deutlich, die die Band auf ein neues Soundniveau hebt. Zweifelsohne klangen KARAT noch nie so modern, doch sie spannen den Bogen weit: in keiner Klangschleife wird die über 40-jährige Bandgeschichte verleugnet. Und nicht zuletzt ist es der nuancenreiche Gesang von Claudius Dreilich, der sich nunmehr zu voller Eigenständigkeit gereift präsentiert. Seine Interpretationen sind der rote Faden, der ermöglicht, dass die Vielfalt der Ansätze erhalten bleibt und sich trotzdem einer Idee unterordnet.
Die Idee? Ähnlich wie die erste Single „Hoffnung“ oder das programmatische „1000 Karat“ steht ein Song systematisch für den emotionalen Grundduktus des Albums: „1 mit dir“ – von der befreundeten Band EWIG geschrieben. Ein Duett, gesungen von Claudius Dreilich und Jeannette Biedermann, bekannt von TV und Konzertbühne, Frontfrau von EWIG. Der Text ist gnadenlos persönlich und verletzlich, es geht um eine private Ansprache an einen sehr nahen Menschen, der ins Schlingern geriet. Ein Song, der sich dem Nächsten widmet. Genau dann, wenn er Zuwendung am Nötigsten hat. Der Mut macht, wenn man nicht mehr weiter weiß. Die Melodie geht schon beim ersten Hören mindestens ebenso tief wie der Text. Hoch emotional und weit ab vom trägen Hauptstrom der Neuen Deutschen Befindlichkeit.
In diese Liga reihen sich auch der berührende, mit Gregor Meyle gemeinsam geschriebene Song „Ewig weht der Wind“, das fast philosophische „Erzähl ihnen von Frieden“ und das sehr persönliche „Heimatlos“ – mehr Nahbarkeit geht nicht. Und auf diesem Level geht es weiter: der losgehende Opener „Alles oder mehr“, die ergreifende Ballade „Mir nah zu sein“, der Mut machende Titelsong „Labyrinth“… Selbst das Instrumental „Alles fließt“ entpuppt sich durch das prägnante Gitarrenspiel von Bernd Römer zur unverwechselbaren KARAT-Hymne. Und schließt einen Kreis: „Alles fließt“, im Lateinischen Panta Rhei, führt zu den Wurzeln der Band zurück: die Anfänge von KARAT begannen mit der Band Panta Rhei. Ein weiterer Kreis schließt sich mit den neuen Akustikversionen der zeitlosen KARAT-Klassiker „Blumen aus Eis“, „Gewitterregen“ und „Magisches Licht“, mit denen das Album endet. Die Songs schlagen die Brücke in das 70er und 80er-Jahrzehnt, als KARAT zu einer der wichtigsten deutschen Bands avancierten, sowie zur kommenden Akustiktour, die genau an dem Tag beginnt, wenn auch das Album „Labyrinth“ erscheint.
Album: LABYRINTH
VÖ: 19.10.2018