Klausjürgen Wussow | News | Der ewige Schelm

Klausjürgen Wussow

Der ewige Schelm

30.11.2005
Es gab Zeiten, da wurde der Taugenichts als der ideale Deutsche schlechthin gesehen: freundlich und unbedarft, italophil und naturverbunden, eine Lichtgestalt im Dunkel der als beängstigend empfundenen Industrialisierung. Denn Joseph Freiherr von Eichendorff (1788–1857) war es in perfekter Diktion gelungen, die romantischen Ideale in eine Fabel zu verpacken, die alles hatte, was man für die Weltflucht in die Idylle brauchte. Er schuf damit ein Stück Weltliteratur, Vorbild für zahlreiche Nachahmer der Salon- und Unterhaltungssparte, das neben der scheinbar naiven Oberfläche zugleich ein grandioses Sittenbild des frühen 19.Jahrhunderts entwarf.
Die Geschichte ist so einfach und unbeschwert wie möglich erzählt. Da ist der Sohn eines Müllers, ein Träumer und intuitiver Lebensphilosoph, der von seinem Vater der Faulheit bezichtigt und in die Welt geschickt wird. Wild entschlossen, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, macht er sich mit Ränzel und Geige auf den Weg, sein Glück zu versuchen, während die anderen um ihn herum auf den Feldern schuften. Seine unbedarfte Art macht ihn schnell mit zwei Damen in einer Reisekutsche bekannt, die den fröhlichen Vagabunden mit nach Wien nehmen, ihm eine Stelle als Gärtner und Zolleinnehmer verschaffen. Anstatt das als große Chance für den Sprung in eine gesicherte Existenz wahrzunehmen, verliebt er sich in die herrschaftliche Aurelie, und verlässt das Anwesen wieder, als die Angebetete sich als unerreichbar herausstellt. Der Weg führt den Taugenichts weiter nach Italien, seit Goethe der bevorzugte Freiheitsraum der Intellektuellen. Dort gerät er in allerlei Verwirrspiele, Liebeleien und Intrigen, aus denen er aber immer wieder schadlos hervorgeht. Als die Sehnsucht nach der Heimat und Aurelie immer stärker wird, verlässt er Rom, zieht mit einer Horde Studenten aus Prag gen Norden und kehrt mit einem Donauschiff zum Schloss zurück. Glückskind, das er ist, stellt sich seine Holde als Nichte des Schlossportiers heraus, die ihn außerdem noch liebt, und keine Standesgrenzen verhindern mehr die Liaison. So unspektakulär die ganze Geschichte abläuft, so wunderbar beiläufig wird die Liebesbeziehung besiegelt, indem der Taugenichts Aurelie ein paar Knackmandeln anbietet, die er noch in der Hosentasche hatte: “Sie nahm auch davon, und wir knackten nun und sahen zufrieden in die stille Gegend hinein.”

Die Novelle “Aus dem Leben eines Taugenichts” ist in vieler Hinsicht etwas Besonderes. Begonnen 1822, veröffentlicht vier Jahre später, ist sie die literarische Umsetzung des spätromantischen Lebensgefühls und der damit verbundenen Gestaltungsideale. Eichendorff hielt seinen Stil betont (und kunstvoll) simpel, in Anlehnung an die als natürlich angesehenen Volkslegenden und Märchen. Er streute einige seiner berühmtesten Gedichte in den Text (wie zum Beispiel “Wem Gott will rechte Gunst erweisen”), schuf eine bilderreiche, unmittelbare Sprache, die trotz ihrer behaupteten Einfachheit nie den Fluss der Erzählung verliert. Die Figurencharakteristik des Protagonisten schloss souverän an den bekanntesten Schelmenroman der deutschen Literatur an – Grimmelshausens “Simplizissimus” – und führte ihn weiter, ohne ihn inhaltlich zu beschränken. Selbst Starautoren wie Thomas Mann fanden daher quasi alles im “Taugenichts” wieder, was schöngeistige Literatur gelingen lässt: “Der Roman ist nichts weniger als wohlerzogen, er entbehrt jedes soliden Schwergewichts, jedes psychologischen Ehrgeizes, jedes sozialkritischen Willens und jeder intellektuellen Zucht; er ist nichts als Traum, Musik, Gehenlassen, ziehender Posthornklang, Fernweh, Heimweg, Leuchtkugelfall auf nächtlichen Parkt, törichte Seligkeit, so daß einem die Ohren klingen und der Kopf summt vor poetischer Verzauberung und Verwirrung”.

Solch hohe Kunst des Understatements braucht eine Stimme, die die verschiedenen Facetten des Verständnisses darstellen kann. Klausjürgen Wussow hat als Schauspieler lange Jahre auf Theaterbühnen von Berlin über Frankfurt am Main, Düsseldorf, Köln, Zürich bis München verbracht. Er hat ernste Rollen verkörpert ebenso wie heitere und als Professor in der TV-Serie “Die Schwarzwaldklinik” mit der leichten Muse der Unterhaltung Erfahrungen gesammelt. Sein Timbre, sein Tonfall und Sprachduktus sind die ideale Ergänzung von Eichendorffs literarischer Vorlage. Wussow erweckt den Taugenichts zum Leben, macht aus ihm den heiteren Vagabunden, den unbeschwerten Lebenskünstler, den ironischen Beobachter der um ihn herum bröckelnden Idyllen. Vor allem schafft er es, mit der bereits 1987 entstandenen Aufnahme den Hörer zu fesseln und ihn in eine Geschichte zu entführen, die auch nach 180 Jahren nichts von ihrer Faszination verloren hat.