Kurt Elling | News | Biografie: Man In The Air

Biografie: Man In The Air

Kurt Elling
23.09.2004
KURT ELLING
“Man In The Air”

Zugegeben, viel Konkurrenz hatte Kurt Elling bei seinem Aufstieg zu Amerikas derzeit profiliertestem Jazzsänger nicht. Während die Generation der heute Dreißig- bis Vierzigjährigen zahlreiche begabte Jazzsängerinnen hervorgebracht hat, steht der am 2. November 1967 in Chicago, Illinois geborene Elling als männliches Pendant allein auf weiter Flur. Er ist aber nicht einfach nur Einzelfall, sondern im besten Sinne ein Solitär, denn er gilt nicht nur als versierter Sänger, sondern hat sein überdurchschnittliches Talent auch als Bandleader, Komponist, Arrangeur und vor allem als Poet unter Beweis gestellt. Und es ist gerade die Verzahnung von Poesie und Jazz, die die Substanz von Ellings sechster Blue Note-Veröffentlichung ausmacht: Für “Man In The Air” hat der Vokalakrobat Kompositionen von Giganten wie John Coltrane, Herbie Hancock und Pat Metheny ausgewählt und sie mit selbstgeschriebenen Versen zusammengefügt.

Bereits auf seinem Debütalbum “Close Your Eyes” hatte der in den vergangenen Jahren für insgesamt sechs Grammies nominierte Elling Kompositionen von Ausnahmemusikern wie Wayne Shorter, Dexter Gordon oder Freddie Hubbard um eigene Texte ergänzt. Doch während der Poet vor acht Jahren der Musik seinen poetischen Stempel eher kraftvoll und lautstark aufdrückte, ist das Ergebnis diesmal weitaus subtiler – “Man In The Air” überzeugt nicht durch Knalleffekte, sondern mit wohldosierter Kontrolle von Atmosphäre, Raum und Zeit. Insgesamt zehn der zwölf Tracks transportieren Ellings Worte, und jedesmal ringt er mit Themen wie Liebe, Leben und Verlust, ohne in Klischees oder Plattitüden abzudriften. Hier ist ein gereifter Elling zu erleben, der auch um die Zwischentöne des Lebens weiß.

“Ja, es geht um eine Romanze, aber eben nicht nur”, sagt Elling zum Beispiel über Methenys “Minuano”, den ersten Track des Albums. “Der Text vermittelt das Gefühl, dass du dich umdrehst und sie geradewegs an der nächsten Ecke triffst. Aber es ist nicht so, dass sie dich einfach nur umhaut. Es ist mehr wie eine übersinnliche Erfahrung. So, als ob ich auf einmal erkenne, dass Liebe tatsächlich etwas Göttliches enthält – dass zwei Menschen zusammenkommen, weil sie etwas von Gott oder ihrer anderen Hälfte oder wie auch immer du es nennen magst erkennen. Sie haben die Möglichkeit, eine göttliche Erfahrung miteinander zu teilen.” Auf “Man In The Air” mündet selbst die hart erkämpfte, bittersüße Erfahrung in Zuversicht – in einem “Higher Vibe”, wie Courtney Pine seine Originalkomposition betitelt hat. “Time To Say Goodbye”, das auf Joe Zawinuls “A Remark You Made” vom Weather Report-Klassiker “Heavy Weather” basiert, oder auch Herbie Hancocks in “A Secret I” umbenanntes “Alone And I” thematisieren den Verlust, ohne in Pathos zu versinken. Ellings Verse beglaubigen, dass zwar eine Person gehen mag, aber die Liebe nicht – sie bleibt Teil des Liebenden, regeneriert sich und erwächst neu.

Es ist schon viel spekuliert worden über den Zusammenhang von Ellings akademischer Ausbildung an der University of Chicago und seiner späteren Jazzkarriere. Fakt ist, dass er zunächst eine akademische Laufbahn plante, dabei unter anderem Philosophie studierte und auf den Jazz eher durch Zufall stieß. Er ist deutlich vom Sänger und Dichter Mark Murphy beeinflusst und entwickelte seinen unvergleichlichen Scat-Stil in den kleineren Clubs von Chicago, vor allem im Green Mill, wo er gemeinsam mit Legenden wie Von Freeman oder Ed Peterson auf der Bühne stand. Damals wie heute kann eine Elling-Show aus wilder Beat-Poesie, pointierten Rilke-Rezitationen und energetisch swingenden Scat-Nummern bestehen. 1994 schickte er ein Demo an Blue Note, ein Jahr später erschien “Close Your Eyes”. Von Anfang an reagierte die Jazzkritik mit großem Interesse – auch deshalb, weil Elling damals ein Image als Neo-Beatnik kultivierte und intensiv mit dem Pianisten Laurence Hobgood zusammenarbeitete. Nacheinander erschienen die allesamt weithin gelobten Alben “The Messenger” (1997), “This Time It’s Love” (1998), “Live In Chicago” (2000) und “Flirting With Twilight” (2001). Während dieser ganzen Zeit trug die Verbindung zu Hobgood immer wieder Früchte. Er war denn auch auf “Man In The Air” wieder Ellings wichtigster Partner und hat den Titelsong komponiert – Ellings Verbeugung vor Wayne Shorter, der dieses Jahr 70 Jahre alt wird.

“Es war nicht einfach, diese Platte zu machen”, resümiert Kurt Elling, “weil es eine Herausforderung war, die Texte hinzubekommen – nicht nur schreiberisch, sondern auch, was die Darbietung angeht. Sie sollten sich ungekünstelt anhören, so dass die Menschen nicht merken, wie hart ich daran gearbeitet habe. Das war wirklich schwierig.” So wird “Man In The Air” erneut Maßstäbe setzen – in einem Genre, das längst nicht mehr männlicher Jazzgesang, sondern Kurt Elling heißt.
Juni 2003

Weitere Musik von Kurt Elling

Mehr von Kurt Elling