“Need You Now” ist der Titel des zweiten Albums von Lady Antebellum, dem frisch mit seinem ersten Grammy gekürten Trio. Der Titelsong nimmt das verzweifelte Gebaren von getrennten Paaren unter die Lupe, bei denen ein Ex-Partner in einem nächtlichen Anflug von Sehnsucht wieder Kontakt sucht. Aber “Need You Now” ist nicht nur ein ewiges Mantra für Verflossene, es könnte in diesem Falle auch der dringliche Wunsch der Fans und der Musikindustrie an die Band sein. Deren erstes Album war im Jahr 2008 schließlich der seltene Fall triumphal aufschlagender Debütanten, die es locker bis an die Chartsspitze der USA schafften und auch noch Platin einfuhren. Die emotionalen Bande, die sich über eine ganze Reihe von Hitsingles und Tourneen mit dem Publikum geknüpft hatten, weckten unweigerlich das Verlangen nach mehr…
Es bedarf glücklicherweise keines nächtlichen, von Alkohol benebelten Anrufs – wie er in dem Song beschrieben wird – um diesen Wunsch auch erfüllt zu bekommen. Keine zwei Jahre nach dem gefeierten Debüt des Trios steht nun “Need You Now” bereit, alle Sehnsüchte zu erfüllen. De facto schaffte das zweite Album der Band den direkten Sprung auf Platz eins der Billboard Top 200 und brauchte nur drei Wochen, um die Millionenmarke zu überschreiten und damit Platin zu erreichen. Doch nicht nur das sich so beachtlich wie beharrlich in den obersten Chartregionen haltende Album ist Indiz für den außergewöhnlichen Erfolg der Band, Lady Antebellum gelingt zudem eine Hitsingle nach der nächsten. Waren sie im Sommer letzten Jahres noch mit “I Run To You” ganz oben, hat die bereits vor dem Album veröffentlichte Single “Need You Now” den Triumphmarsch durch die Singlecharts nahtlos fortgesetzt. Allein die digitalen Verkäufe dieses Crossover-Smash-Hits haben mittlerweile die Marke für Doppelplatin überschritten.
Die Veröffentlichung des Albums “Need You Now” folgte der Auszeichnung mit dem ersten Grammy in diesem Jahr auf dem Fuße. Nach ihrem Auftritt bei den Grammys waren Lady Antebellum erst recht gefragte Gäste im US-Fernsehen und machten kurz hintereinander in der Oprah Winfrey Show, der Today Show, der Late Show mit David Letterman und der Tonight Show, um nur einige zu nennen, ihre Aufwartung. Zweifellos hat der Grammy die Band noch stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. “So etwas erhöht natürlich die Erwartungen”, findet auch Charles Kelley, der sich den Leadgesang mit Hillary Scott teilt. “Wir hatten schon nach dem Erfolg des ersten Albums das Gefühl, dass wir etwas beweisen müssen. Als würden die Menschen Hoffnungen in uns setzen und uns anfeuern, ‘Ihr packt das schon’. Darum konnten wir es auch kaum abwarten, das neue Album zu veröffentlichen.”
“Um ehrlich zu sein”, sagt Hillary, “mich hat jemand gefragt, ob mich dieser Preis in ein Stimmungshoch versetzt hat, und ich habe geantwortet, ‘Absolut’, aber für mich selbst habe ich gedacht, ‘Es macht mir auch ein wenig Angst’. Wenn du erst einmal an so einem Punkt angekommen bist, gibt es auch kein Zurück mehr. Wenn es etwas bewirkt, dann, dass wir noch härter an uns arbeiten, noch bessere Songs schreiben und als Performer weiter wachsen wollen. So können wir beweisen, dass wir den Preis wirklich verdient haben.”
Dass die Band wirklich brennt, spürt man bei allen Aufnahmen von “Need You Now”. Noch besser austariert scheint hier ihre feine Balance aus gefühlvollen Balladen und sich zu Stadionhymnen aufschwingenden Rocksongs. Acht der elf Songs haben die drei Musiker mit komponiert – sie konnten sich noch besser als zuvor auf die gute Chemie, die zwischen ihnen herrscht, verlassen. Die beiden alten Freunde Dave Haywood und Charles Kelley waren im Jahr 2006 erst kurz zuvor mit Hillary Scott zusammengekommen, da ging es schon an die Aufnahmen fürs Debüt.
“Durch den Erfolg unseres Debütalbums konnten wir diesmal mit Songwritern ganz anderen Kalibers zusammenarbeiten”, erklärt der Gitarrist und Backgroundsänger Dave Haywood. “Aber viel wichtiger ist es, dass die Freundschaft unter uns dreien richtig gewachsen ist. Wenn wir unterwegs waren, haben wir in den letzten dreieinhalb Jahren fast jeden Tag miteinander verbracht. Als es an der Zeit war, Songs für unser neues Album zu schreiben, hatten wir gelernt, wie wir miteinander umgehen müssen. Wir können zwar unabhängig voneinander Songs schreiben, doch zu dritt ist das jedes Mal etwas Besonderes und hat etwas Erhebendes. Ich weiß, was Hillary denkt. Ich weiß, was Charles denkt. Wir können uns jedenfalls viel besser einschätzen.”
“Wir wussten genau, wenn irgendetwas mit Hillary nicht in Ordnung war”, erzählt Charles. “Wir sagten dann: ‘Wir wär’s, wenn wir eine Weile in Deiner Hölle einsteigen? Wir können das ja in einen Song packen’. Wenn wir zusammen Songs schrieben, wussten wir eben auch, was bei dem anderen los ist.”
“Wenn ich es überhaupt erzählen durfte”, lacht Hillary, als wollte sie darauf anspielen, dass es in punkto totale Aufrichtigkeit doch eine Gender-Diskussion gäbe. “Ich habe schon den Glanz in ihren Augen gesehen. Aber wenn wir uns ernsthaft darüber ins Gespräch vertiefen, kommen am Ende Songs wie ‘Ready To Love Again’ dabei heraus.” “Das Schreiben von Songs ist für uns zu einer Art kleiner Gruppentherapie geworden”, resümiert Charles.
In gewisser Weise ist die Band aber auch in der Öffentlichkeit gewachsen. Online suchen Lady Antebellum mit Hingabe den Kontakt zu den Fans. Auf ihrer einladenden Website, auf der auch ein eigenes soziales Netzwerk unterhalten wird, zeigen Lady Antebellum seit nunmehr zwei Jahren die sogenannten Webisodes Wednesdays, wöchentliche Einblicke in das Leben und Schaffen der Band, die sehr persönlich, nicht selten sehr lustig und stets ungemein aufrichtig sind. Dieses Videotagebuch verzeichnet wöchentlich zig tausende Besucher und ist ein absoluter Hit.
Das Debütalbum war ebenfalls ein unmittelbarer Smash-Hit und der direkte Einstieg auf Platz eins der Albumcharts war einer jener raren Events in der Musikindustrie, die man als Liebe auf den ersten Blick bezeichnen kann. Auf ihrer ersten großen Tournee, wo sie als Opener bei Stadionkonzerten spielten, zeigte es sich aber, dass bei ihren Auftritten noch lange nicht alles richtig rund lief. “Es war irgendwie noch zu früh, auch wenn das Publikum meist sehr rücksichtsvoll und dankbar war”, erinnert sich Charles. “Dann sagten wir uns, dass es da noch einiges zu verbessern gibt, und spielten erst einmal auf Stadtfesten und kleinen Festivals und merzten in sicherer Umgebung, wo es nicht so frappant ist, wenn man mal daneben liegt, nach und nach unsere Fehler aus. Wir haben bestimmt an die 200 Auftritte innerhalb eines Jahres abgerissen und dabei viel Geld verloren, denn viele kleinere Shows kosteten uns doppelt so viel, wie wir am Ende bekamen.”
Als sie endlich so weit waren, dass sie mit ihrem Set und ihrer Form rundum zufrieden waren, unterbrachen sie zunächst einmal das intensive Touren und konzentrierten sich auf ihr nächstes Album. Erstmals übernahm die Band auch die Rolle des Co-Produzenten, wobei vor allem Dave mit den Erfordernissen des Studios vertraut war. Im Regiestuhl ließen sie erneut dem altgedienten Starproduzenten Paul Worley den Vorzug. “Paul schenkt zwar unserem Bauchgefühl vollstes Vertrauen, aber es geht doch nichts über 30 Jahre Erfahrung”, schwärmt Charles über ihren Produzenten. “Es gibt wohl nichts, was er nicht im Studio schon versucht hätte, so kann er ganz genau einschätzen, was funktioniert und was nicht. Ich wollte immer die Gitarrenspuren zusammenlegen und das Ganze so anreichern. Und er sagte immer, ‘Lass das einfach mal liegen, betrachte es organisch und lass jedes Instrument zur Geltung kommen’. Ohne so jemanden, der einen zügelt, geht man am Ende nur hin und verpfuscht die Sachen, die eigentlich schön waren.”
Natürlich wusste Worley auch ganz genau, wie er die Leadstimmen und Gesangsharmonien einsetzen muss, die vielleicht das wertvollste Gut dieses Acts sind. In der Dualität des weiblich/männlichen Gesangs sieht auch Hillary eine ganz große Stärke: “Das ermöglicht uns so viel mehr und erreicht auch viel mehr Zuhörer. Ich glaube nicht, dass es mir gelungen wäre, einen Song wie ‘Hello World’ so glaubhaft und überzeugend zu singen wie Charles.” Auch auf der Bühne erzeugt der wechselnde Fokus seine eigene Dynamik. “Wenn ich den Leadgesang übernehme, können sich die Jungs zusammenraufen, und wenn Charles und ich im Duett singen, können wir den Song ganz ohne Theatralik richtig ausreizen und die Story besser zur Geltung kommen lassen, ganz gleich, ob es eher witzig oder dramatisch ist.”
Charles kann ihr da nur beipflichten: “Mit zwei Leadstimmen kannst du die Zuhörer auf ganz unterschiedliche Reisen bringen. Und es gibt Menschen, die eher auf ihre Stimme anspringen, und andere, die sich besser auf meine Stimme einlassen können. Und darüber hinaus haben auch die Gesangsharmonien mit Dave ihr eigenes Potential. Wenn wir die Songs abmischen, merken wir manchmal erst, wie wichtig diese Harmonien sind, wenn sie fehlen. Diese zwei männlichen Stimmen verschmelzen fast zu einer, was nicht so wäre, wenn einer von uns beiden höher singen würde. Da stimmt jedes Puzzleteil. Wir können uns sehr glücklich schätzen, dass alles so zusammengekommen ist, wie wir es heute vorfinden.”
Nicht jeder Song auf “Need You Now” ist schwermütig. Ein Stück wie “Stars Tonight” dient live in erster Linie als “Aufforderung zum Tanz”, so drückt es Dave lachend aus. “Es soll unsere Fans daran erinnern, dass wir auch Songs wie ‘Looking For A Good Time’ singen.” Aber für jeden Ausflug in den reinen Eskapismus hält die Band mindestens zwei Songs voller ungeschminkter Wahrheiten parat.
“Eines Nachts, während wir das Album aufnahmen, war ich bis 5 Uhr morgens wach und schrieb Charles und Dave eine E-Mail”, erinnert sich Hillary. “Ich hatte versucht festzuhalten, warum wir welche Songs geschrieben und ausgewählt hatten, und dann stellte ich plötzlich fest, dass in all diesen Songs ein Gefühl bis zum Äußersten ausgelebt wird. Ganz gleich, ob es ein verzweifeltes ‘Ich verlange so nach Dir/Ich brauch Dich jetzt und sofort’-Gefühl ist, oder, wie in ‘American Honey’, die tiefe nostalgische Sehnsucht nach Unschuld. Und dann gibt es Songs wie ‘Hello World’, in dem ein Mann ein wahres Erweckungserlebnis erfährt und erkennt, was für ihn wichtig ist im Leben.”
Und Hillary fährt fort: “Wenn du ganz unten bist, ist das natürlich kein Spaß, aber den Berggipfel weißt du umso mehr zu schätzen, je mehr du durchgemacht hast. So versuche auch ich mein Leben zu gestalten. Ich will jeden Moment genießen, aber wenn etwas schmerzt, dann lass ich das auch zu. Wenn man irgendetwas oder irgendwen richtig geliebt hat, dann ist es nur natürlich, auch richtig zu leiden. Genau das habe ich versucht in dem Schreiben zu verdeutlichen, dass es mich unglaublich stolz macht, mit wie viel Ehrlichkeit wir an all die Themen herangegangen sind.”
Auf dem Album “Need You Now” spiegeln sich viele Themen unmerklich. In “American Honey” wird der Protagonist durch eine tief liegende Erinnerung zu neuem Leben erweckt, während “Hello World” ein nicht minder karthatisches Erlebnis mit sehr positiver Auswirkung beschreibt. Eingerahmt ist das Album von zwei der emotional aufgekratztesten Nummern, wobei der Schlusstitel “Ready To Love Again”, den Hillary als “den persönlichsten Song des ganzen Albums beschreibt”, eine Art Antwort auf den Opener und Titelsong liefert. Es wundert die Band noch immer, wie schnell es der Single gelungen ist, an die Spitze der Charts zu stürmen. “Ehrlich, ich dachte eher, dass würde Schwerstarbeit”, gesteht Charles. “Aber der Song hat auch dieses ehrliche Moment, von dem sich die Menschen angezogen fühlen.”
Um den Filmklassiker Casablanca zu paraphrasieren: Dies ist wie der zweite Schritt in eine wundervolle Freundschaft. “Bei ‘I Run To You’, unserer ersten Nummer eins, hatte ich schon dieses Gefühl, dass zwischen uns Künstlern und dem Publikum alles passt, wie bei einem Puzzle”, konstatiert Hillary. "Das Publikum hat eine Menge über unsere Intentionen und unser Wesen als Künstler herausgefunden, und sich damit mehr als angefreundet. Dasselbe ist bei unserer zweiten Nummer eins “Need You Now” passiert, jenem Song, von dessen Ehrlichkeit und Verletzlichkeit wir so überzeugt sind. Es ist faszinierend, wie die Bande zu unseren Fans mit jedem Mal wachsen und immer enger werden. Sie verstehen uns! Wir verstehen sie! Das ist einfach großartig!" Offensichtlich ist da eine magische Beziehung entstanden. Von dem Zauber, den Lady Antebellum verbreiten, kann man sich nun auch in Europa überzeugen.
März 2010