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ReComposed: Wieder-Hören!

26.08.2005
Es war nur eine Frage der Zeit. Im Berliner Yellow-Lounge-Club tummeln sich seit zwei, drei Jahren die Nachtschwärmer zu klassischer, von DJs raffinierte ineinander gemischter Musik, die dazugehörigen Kompilationen sind längst zum Standard im kulturinteressierten Wohnzimmer geworden. Dort und nicht nur dort verschwinden die Grenzen zwischen den Klangwelten, der ausschließliche Musikgeschmack der Väter gehört der Vergangenheit an. Kein Wunder also, dass sich Konzeptkünstler wie Matthias Arfmann den Monumenten der Hochkultur annehmen und sie umdeuten, anderes verstehen, re-komponieren.
Natürlich kann man sich die Haare raufen. Wenn das der alte Herbert noch erlebt hätte! Doch darum geht es nicht. Matthias Arfmann will nicht provozieren, sondern bedient sich im Katalog der Deutschen Grammophon der Karajan-Aufnahmen, um eine möglichst gute Ausgangsbasis für seine Neudeutungen der Musik zu haben. Der Gestus des Widerstandes, wie er noch vor ein paar Jahrzehnten die treibende Kraft für ein Unterfangen wie ReComposed gewesen wäre, wurde von der Neugier des Klangtüftlers abgelöst, der auf ganz andere Weise radikal zu Werke geht. Schließlich will Arfmann nicht zerstören oder dekonstruieren, sondern aufbauen und rekomponieren. Er kann mit dieser Vorstellungswelt bereits an eine seit den Achtzigern perfektionierte Interpretationsform der Popmusik anknüpfen, die über den Remix, also die anders gemischte Version eines Studioproduktes, eine zum Teil komplett vom Original verschiedene Palette von Versionen erstellte. Dabei haben sich die DJs immer weiter vom eigentlichen Plattendreher zu vielfältig schichtenden und kommentierenden Klangarchitekten entwickelt, die seit den späten Neunzigern die eigentlichen kreativen Köpfe hinter der Fassade der Popkultur darstellen. Im Fall von Matthias Arfmann kommt hinzu, dass er darüber hinaus selbst als Musiker in verschiedenen Szene-Gruppen wie den “Kastrierten Philosophen” und dem “Turtle Bay Country Club” aktiv ist und ihm daher die einzelnen Schritte von der Idee eines Stücks bis zu dessen endgültiger Gestalt aus der täglichen Arbeit geläufig sind.

Schon deshalb nähert er sich den Materialien mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Aufbruchsstimmung: “Ich habe natürlich große Achtung, sogar Respekt, vor diesen Werken. Schon als Junge war ich von dieser Musik umgeben und liebte besonders die romantischen Sachen. Doch dann habe ich einen anderen Weg eingeschlagen, was jetzt vielleicht ganz hilfreich war. Denn man braucht sicher auch eine gewissen Dreistigkeit, um sich an diesen übergroßen Vorlagen zu schaffen zu machen”. Arfmann ging meist in der gleichen Weise vor. Er konzentrierte sich über Tage hinweg auf ein Stück, verinnerlichte es, bis er jede Note kannte, gestaltete dann eine Basslinie dazu und schuf eine Art von Basis-Groove, auf dem die anderen Bearbeitungen aufbauen konnten. Von diesem Punkt aus konnte er mit den Schichtungen und Umbauten beginnen, manchmal verhaltener wie bei Holsts “Mars”, dann wieder radikaler wie beispielsweise beim Allegro von Schuberts “Unvollendeter” und sogar um afrikanische Lyrics ergänzt wie bei Dvoraks “Aus der neuen Welt”. So entstanden neben Schubert, Dvorak und Holst clubgemäße Umdeutungen von Werken von Rimsky-Korsakov, Smetana, Mussorgsky, Albinoni, Mendelssohn und Tschaikowsky, die mit konzeptioneller Finesse die hehren Werke in einem erweiterten Kontext präsentieren und um des besseren Verständnisses willen auf einer zweiten CD den Originalaufnahmen gegenüber gestellt werden. Von diesem fulminanten Startschuss aus kann es dann weiter gehen. Denn ReComposed soll kein Einzelstück bleiben, sondern den Anfang einer Reihe von zeitgenössischen Bearbeitungen bilden, die demnächst mit dem finnischen Soundspezialisten Jimi Tenor und dessen Musikdeutungen in die zweite Runde gehen werden.

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