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Zwischen Wahn und Virtuosität

17.05.2002
Es wurde ein großer Abend. Im Juni des vergangenen Jahres war Maurizio Pollini im Münchner Herkulessaal zu Gast. Auf dem Programm stand ein Werkausflug in das Oeuvre Robert Schumanns. Die Mikrophone waren dabei und hielten Pollinis eindrucksvolle Stellungnahmen zu den verschiedenen Schaffensphasen des berühmten Romantikers fest.
Das Klavier war noch ein junges Instrument. Ende des 18. Jahrunderts erst begann der Ablösungsprozess vom Cembalo. Anno 1808 präsentierte Sébastien Érard den Prototyp seiner Repetitionsmechanik, die er 1821 modifizierte und die schließlich in der um 1840 von Henri Herz entwickelten verfeinerten Konstruktion mit Doppelfeder zur Grundlage des modernen Flügelbaus wurde. Für junge Virtuosen war es daher noch einem immense Herausforderung, dem sperrigen, aber machtvollen Instrument Herr zu werden, zumal die Konkurrenten etwa auf der Geige bereits beachtliche Erfolge vorzuweisen hatte. Robert Schumann – in jungen Jahren ein beachtlicher Pianist, bevor er sich durch übermäßige Fingerübungen die Hände ruinierte – hatte beispielsweise anno 1830 in Frankfurt Nicolò Paganini gehört und war derart begeistert, dass er nicht nur dessen Capricen für Pianoforte bearbeitete, sondern auch in frühen Kompositionen wie dem “Allegro in h-moll, op.8” dem Ideal der Geläufigkeit huldigte, obwohl die technischen Möglichkeiten der damaligen Instrumente derartige Oktavläufe zum Beispiel nur zögerlich zuließen.
 
Allerdings schien er selbst nicht so von der Bedeutung des Werkes überzeugt zu sein wie er es etwa sieben Jahre später mit seiner Fantasiensuite “Kreisleriana op.16” war. Vom Titel her an der rätselhaften Romanfigur des Kapellmeisters Kreisler von E.T.A. Hoffmann orientiert, gelang Schumann ein sorgsam in sich ausgewogenes Konzertstück in acht Kapiteln, das er als wichtigen Schritt in der eigenen musikalischen Entwicklung ansah. An seine verehrte Clara schrieb er damals in einem Brief: “Meine Kreisleriana spiele manchmal! Eine recht ordentlich wilde Liebe liegt darin in einigen Sätzen, und Dein Leben und meines und manche deiner Blicke”. Die erst 15 Jahre später kurz vor seiner Umnachtung entstandenen “Gesänge der Frühe op.133” wiederum hielt Schumann für in sich verschlossene Kompositionen. An seinen Verleger Arnold kommentierte er sie in einem Brief als “charakteristische Stücke, die die Empfindungen beim Herannahen und Wachsen des Morgens schildern, aber mehr Gefühlsausdruck, als Malerei”.
 
Insofern ist das Recital, das Maurizio Pollini für sein Münchner Konzert zusammengestellt hat, eine umgreifende Werkklammer, die sich Schumann auf drei verschiedenen Wegen zu nähern versucht. Da ist das pianistisch imposante Frühwerk, ein Glanzlicht für Könner mit technisch hochtrabenden Ansprüchen. Da ist das bekannte Konzertstück mit Wiedererkennungswert, das sich an diversen früheren Interpretation messen lassen muss. Und da ist der wenig bekannte Nachklang der Ära, der, zu Unrecht im Repertoire vernachlässigt, noch einmal die vorangegangenen Etappen kommentiert. Pollini meistert diesen übergreifenden Werkanspruch mit einer Sensibilität, weder das virtuose noch das gefühlsdurchwobene Element in der Vordergrund zu stellen. Sein Schumann wirkt als Ganzes, als Ausdruck einer künstlerischen Persönlichkeit, vor der sich der Mailänder Pianist in der ihm eigenen Höflichkeit verneigt.

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