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Mr Hudson – Straight No Chaser

Expertentipp Community Urban
2007 Universal Music
02.12.2009
Im Oktober meldet sich der Londoner Singer-Songwriter Ben Hudson, besser bekannt als Mr Hudson, mit einem bahnbrechenden Album zurück: „Straight No Chaser“ lautet der Titel und produziert wurde es von – haltet euch fest – Kanye West. Auf seiner zweiten LP, die auf G.O.O.D. Music/Mercury Records erscheint, treffen Welten aufeinander: Das Resultat ist eine deftige Mischung aus gewaltigen Pop-Hooks, schillernden Plastik-Synthesizerklängen, Vocoder-Gesang und unfassbar gefühlvollen Songs über die Liebe und Katastrophen, Herzschmerz und Hoffnung.

Fans des Debütalbums von Mr Hudson & The Library, „A Tale Of Two Cities“ aus dem Jahr 2007, werden sich vielleicht darüber wundern, wie dreist er in seiner neuesten (Solo-)Inkarnation klingt, aber sie werden zugleich den inhaltlichen Tiefgang, die feinen Zwischentöne und den emotionalen Fluss seiner perfekt durchdachten Songs wieder erkennen. Schon die Wahl des Albumtitels ist bezeichnend: „Ich wollte ein Mainstream-Album aufnehmen, ohne großen Überbau oder Schnörkel“, sagt er. „Mein erstes Album fühlt sich wie ein Bild von Escher an: all diese verschiedenen Schichten und Levels, und nie kann man mit Gewissheit sagen, wo man sich gerade befindet. Die Art und Weise, wie die Songs auf dieser LP geschrieben und produziert sind, ist viel, viel direkter. Ich hab ganz bewusst nicht versucht, das Rad neu zu erfinden. Es ist gradlinig, ohne Firlefanz, straight eben – ‘Straight No Chaser’.“

Zum eher unwahrscheinlichen Zusammenschluss des schrulligen Singer-Songwriters aus England mit dem internationalen HipHop-Superstar kam es auf Grund von gegenseitiger Bewunderung: „Der Funken sprang schon bei meiner ersten Platte über, denn sie machte ihn hellhörig“, berichtet Mr Hudson. „Sie war für Leute wie ihn und mich gemacht, die Langeweile und Eintönigkeit nicht ausstehen können und es hassen, sich an Genrekonventionen zu halten.“ Mr Hudsons einzigartige Mischung aus klassischem Songwriting und HipHop-Beats landete permanent auf Kanyes persönlicher Playlist. Zum ersten Mal begegnet sind sich die beiden schließlich bei einer Listening-Session, und so begann, was Mr Hudson ein „langwieriges Balzritual“ nennt, inklusive gelegentlicher Treffen im Backstage-Bereich irgendwelcher Bühnen, „wo wir wie echte Geeks abgegangen sind und uns über Snare-Drum-Samples ausgetauscht haben.“

2008 machte Mr Hudson dann eine vorläufige Liste der Produzenten, die für die Arbeit an seinem zweiten Album in Frage kamen, doch als dann ein gewisses Angebot auf dem Tisch landete, konnte er einfach nicht widerstehen: „Ich wurde zu einem Meeting bestellt, bei dem ich erfuhr, dass Kanye gerne Executive Producer meines nächsten Albums wäre. Zufrieden? Hier kannst du unterzeichnen.“

Zu behaupten, Mr Hudson sei zufrieden mit dem Resultat der Arbeit, ist pure Untertreibung. „Kanye hat definitiv übermenschliche Kräfte. Was er alles an einem Tag schafft und mit was für einem Einsatz er sich den Dingen widmet, ist einfach unglaublich. Wenn man mit ihm z.B.  Basketball spielen geht, stellt er sich vor, es handle sich dabei um die Finalrunde der NBA – jeder Ball ist entscheidend. Wenn er ein Computerspiel spielt, muss er unbedingt ganz oben auf der Bestenliste landen. Kurzum: Ganz egal, was er macht, er muss immer alles geben, was manchen Leuten vollkommen fremd ist. Von ihm habe ich gelernt, wie wichtig es ist, mit Leidenschaft bei der Sache zu sein.“

Und so nahm also das unglaubliche „Clash der Kulturen“-Abenteuer seinen Lauf, in dem ein junger Weißer aus Nordlondon plötzlich Teilzeitmitglied eines der einflussreichsten HipHop-Produktionsteams wurde. Die Odyssee ging von New York nach Los Angeles, dann weiter nach Hawaii und Paris, allesamt Stationen, an denen Mr Hudson an Kanyes „808s & Hearbreak“-Album mitwirkte (er hat einen Gastauftritt auf „Paranoid“, ist Co-Produzent von „Street Lights“, singt auf „Say You Will“ und „Amazing“ und wird darüber hinaus auf Jay-Zs nächstem Album „Blueprint 3“ als Gast vertreten sein.)

Die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Executive Producers bekam Mr Hudson natürlich nur äußerst selten („Was meinst du, wie viele Freunde er hat, die Rapper sind und nach neuen Beats suchen?! Andauernd kommt einer an und will etwas von ihm – wirklich andauernd, rund um die Uhr.“), also suchte er sich eine „Besenkammer“, wie er sagt, im Studio von Kanye & Co., schleppte sämtliches Equipment, das gerade nicht in Gebrauch war, dorthin und baute sich sein eigenes kleines Laptop-Studio, mit dem er weiterarbeitete, wobei Kanye dann und wann vorbeischaute, „um ein paar Goldklumpen fallen zu lassen. Mir wurde so nach und nach klar, wie das Album insgesamt klingen sollte, und zwar einfach, indem ich mir anschaute, was in dem Studio so passierte, wie sie dort arbeiteten. Kanye fing zu der Zeit gerade an, mit Autotune zu arbeiten, und die Vocoder-Sounds funktionierten bei mir wie eine Gehirnwäsche. Irgendwann ging ich nach Hause und wurde krank, richtig schlimm sogar. Ich war eine ganze Woche lang im Bett, in Schweiß gebadet und halluzinierend, aber dann war mir so langweilig, dass ich mich dazu zwang, den Computer anzuwerfen und einfach damit begann, auf einen Beat zu singen. Meine Stimme war kratzig, ich konnte keinen Ton halten, also packte ich Autotune auf meinen Rechner und plötzlich klang das alles einfach nur unheimlich, geisterhaft – aber zugleich lag so viel Gefühl darin. Daraus wurde später ‘There Will Be Tears’, was gewissermaßen der erste Song war, den ich für diese LP aufgenommen habe.“   

In New York wohnte Mr Hudson im The Hudson Hotel („Fühlt sich gut an, an einem Ort zu wohnen, wo dein Name über der Tür steht.“), kaufte sich eine billige spanische Gitarre und schrieb Songs über Herzschmerz und das Gefühl, am falschen Ort zu sein. „Es war fast schon eine Art Generalprobe für die nächste Trennung. Mir ist klar geworden, dass man in einem Fünf-Sterne-Hotel jede Menge wegstecken kann.“ Die andauernden Auslandsaufenthalte  forderten tatsächlich ihren Tribut, genauer: Sie zerstörten seine langjährige Beziehung mit einer Londoner Lehrerin. „Sie konnte das alles nicht einfach so liegen lassen und mit mir um die Welt ziehen. Ich würde nicht sagen, dass die Arbeit oder die Tourneen eine Beziehung kaputt machen, sondern vielmehr das allgemeine Gefühl der Entwurzelung, das damit einhergeht. Der Alltag geht flöten und dein altes Leben geht in die Brüche.“ Ende 2008 kam die Trennung, was Mr Hudson jedoch dazu antrieb, das Album fertig zu stellen. „Das Weihnachtsfest in dem Jahr war echt mies, und ich machte zu der Zeit einen Track pro Tag fertig – schrieb ihn, nahm ihn auf, mischte ihn ab. Ich hatte dieses Zimmer über einer Kneipe, das ich eigentlich nur angemietet hatte, um dort meine Sachen zu lagern. Dann lieh ich mir einen Schlafsack und zog kurzerhand dort ein. Ich hatte meine Gitarren und meinen Computer, und so nahm ich die zweite Hälfte des Albums an einem Ort auf, wo ich mich einzig und allein von Nüssen und dünnem Kaffee ernährte.“  

Auf der unglaublich eingängigen ersten Single „Supernova“, ein verzweifeltes Liebeslied über die Chance zum Ausbruch und wie man es schafft, sie am Schopfe zu packen, teilen sich Mr Hudson und Kanye das Mikrofon und wechseln sich mit den Strophen ab. „‘Supernova’ haben Kanye und ich gemeinsam geschrieben. Das Stück ist einfach nur bombastisch – so richtig bombastisch sogar. Als ich mit Kanye auf Tour war und diese riesigen Bühnen betrat, kam mir die Frage: Warum nicht auch meinen Sound so groß machen? Sei nicht immer so zaghaft!“

Auf „Anyone But Him“, einer schmerzlichen Geschichte über Eifersucht, die einen auffrisst, kann man wieder beide zusammen hören, und Mr Hudson beklagt sich mit jeder Menge Soul in der Stimme über den Männergeschmack seiner Verflossenen („Look past the leather and the dash and the rims / And you’ll see his whole hustle wears thin“), woraufhin ihn ein rappender Kanye aufklärt: „Now once she gone black / She ain’t never coming back / I’m sorry Mr H, I thought you already knew that.“

„Den Song habe ich für mich selbst geschrieben, also nicht im Auftrag für einen anderen“, berichtet er. „Als ich ihn dann Kanye vorspielte, sagte er nur: ‘Für den muss ich dir das größte Kompliment überhaupt machen: Das klingt wie etwas, das aus meiner Feder stammen könnte.’ Und dann nahm er sofort seinen Rap-Part auf.“

Um das noch einmal klipp und klar zu sagen: Es handelt sich bei „Straight No Chaser“ keinesfalls um ein Album von Mr Hudson & The Library. „Ich bin nicht The Library“, erklärt Mr Hudson. „Die Band existiert noch, es sind grandiose Typen, die alle ihre eigenen kleinen Projekte am Laufen haben. Das können die Fans immer noch mitverfolgen, und es wird sich auch wieder mit dem vermischen, was ich als Solokünstler mache. Trotzdem ist dieser Longplayer ein Mr-Hudson-Album: Ich habe es eingespielt; ich habe es mit Kanye produziert; es handelt einzig und allein von mir, sprich: es ist so egoistisch, wie es die Kunst manchmal von einem verlangt.“  

Zudem ist „Straight No Chaser“ vor allem eines: Randvoll bepackt mit eingängigen Popsongs, astreinen Mitsing-Hymnen, wie zum Beispiel dem mit Glam-Elementen durchsetzten „White Lies“, der Electro-Hymne „Knew We Were Trouble“, dem inhaltlich komplexen Beziehungsdrama „Stiff Upper Lip“, der verrauchten Gospel-Nummer „Lift Your Head“ oder auch der tröstlichen Ballade „Time“. „Ich denke, dass wir momentan in einer sehr guten Zeit für Popmusik leben“, sagt Mr Hudson. „Weil inzwischen alle auf Genres scheißen, es keine klaren Trennlinien zwischen HipHop und Gitarrenmusik mehr gibt. Alle wollen alles auf einmal präsentiert bekommen. Es geht nur um die Highlights aus den unterschiedlichen Welten, und sie wollen es kurz und knackig, am besten in Zwei-Minuten-Häppchen, was genau mein Ding ist. Wir haben es hier mit einem Popalbum zu tun. Meinem Greatest-Hits-Album, wenn man so will. Es geht darum, zu explodieren und auszubrechen. Ich persönlich verabschiede mich damit von der Normalität. Meine Taschen stehen bereits gepackt im Flur. Ich hab mein Laptop, meinen Pass, und weg bin ich.“
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