Nero | Biografie

Biografie

Nachdem ihr Name bereits zum Jahreswechsel im „Sound of 2011“-Poll der BBC aufgetaucht war, sind Nero momentan dabei, die Dance-Welt endgültig aus den Angeln zu heben: Ihr massiver Breitformat-Sound, in dem Dubstep, Drum & Bass und verschiedene Styles aus den Neunzigern aufeinander treffen, ist diesen Sommer nicht nur im Club, sondern auch an der Spitze der Charts angekommen. Gerade erst hat das Sensations-Duo aus London mit dem Debütalbum „Welcome Reality“ und parallel dazu mit dem Track „Promises“ die britischen Album- und Single-Charts im Sturm erobert – doch diese Doppel-Eins ist nur der Auftakt für die Dance-Sensation des Jahres!
Auf den Namen Nero hört nicht nur ein römischer Kaiser und eine Computersoftware, sondern es verbirgt sich dahinter auch eines der angesagtesten Produzentenduos des Jahres: Daniel Stephens und Joe Ray aus London, zwei DJs und Produzenten, die diesen Sommer endgültig ihren musikalischen Siegeszug angetreten haben. Die UK-Charts haben sie bereits mit der Single „Promises“ und ihrem Debütalbum „Welcome Reality“ erstürmt, beides Erstplatzierungen, und einen klanglichen Sturm brauen sie auch in ihren ultradruckvollen Tracks zusammen, in denen Nero satte Dubstep-Bässe mit Drum & Bass, aufblitzenden House- und Rave-Einlagen und überdimensionalen Gitarrensounds zu einer epischen Melange kombinieren.
Für Nero hätte das Jahr 2011 in der Tat nicht besser beginnen können, denn sie fanden sich gleich zum Jahreswechsel unter den von der BBC ausgewählten Top-Newcomern auf der „Sound of 2011“-Liste wider, die alljährlich von renommierten Kritikern und Vordenkern der Musikindustrie zusammengestellt wird. Seither können sich Dan und Joe vor Aufmerksamkeit kaum retten: Gleich im Januar ging ihre Single „Me & You“ in Großbritannien in die Top−15; der Nachfolger „Guilt“ kletterte bis in die Top−10 (#8 im April), und im Juni standen sie auch schon als Headliner beim Glastonbury Festival auf der WOW-Stage, ganz zu schweigen von ihrer eindrucksvollen Dubstep-Symphonie, die sie im Sommer gemeinsam mit dem BBC Philharmonic Orchestra auf die Beine stellen durften. Keine schlechte Bilanz für ein Halbjahr, allerdings hatten die beiden natürlich schon länger auf diesen Durchbruch hingearbeitet…
Joe und Dan, beide Jahrgang 1984, die sich erstmals im Jahr 2000 über den Weg liefen, sind in der Dance- und Clubszene schon länger keine Unbekannten mehr; bekannt z.B. für ihre Sets im Londoner Fabric, knüpften sie bereits vor Jahren Kontakte zu den größten Drum & Bass- und Dubstep-DJs. Auch erste Veröffentlichungen gab es schon auf einschlägigen Labels wie Formation Records, ganz zu schweigen von ihren gefeierten Remixes für namhafte Artists wie The Streets („Blinded By The Lights“), La Roux, deadmau5, N*E*R*D und Daft Punk. Die erste offizielle Veröffentlichung kam  jedoch erst im April 2010 – womit sie dann auch gleich auf Platz #16 bzw. #11 der britischen Dance- bzw. Indie-Charts landeten.
Wie viel Erfahrung die beiden im Club- und Dancesektor gesammelt haben, hört man sofort, und obendrein stammen sie auch noch aus musikalischen Haushalten: Nick, Dans Vater, war früher Bassist in der Free-Jazz-Combo von John Stevens, und so machte er seinen Sohnemann schon früh mit dem Werk von Jazzgrößen wie Mingus, Monk und Miles bekannt. „Ich bin mit Jazzmusik aufgewachsen“, erinnert sich Dan, übrigens ein Multiinstrumentalist, der 12 Jahre lang Cello gespielt hat. „Doch liefen bei uns auch ganz andere Sachen, auch viel Klassik zum Beispiel, und Funk und Soul.“ Der ausgeprägte Hang zum Epischen, zum satten Breitwand-Sound, der in den massiven Hymnen von Nero immer wieder auftaucht, hängt mit ihrer geteilten Liebe zu Filmsoundtracks zusammen: Joe, der klassische Gitarre gelernt hat, steht einfach zu sehr auf durchdringende Streicher und die Art von gespenstischer Atmosphäre, wie ein Bernard Herrmann sie in seinen Soundtracks evoziert – oder wie sie auch bei den großen Kompositionen des Barock anklingt. Seiner Meinung nach machen Nero eine komprimierte, kompaktere und dadurch noch intensivere Dance-Version dieses Klassik-Ansatzes. „Mein Dad ist vollkommen klassikverrückt“, so Joe über seinen Background. „Er stand auf Berlioz und Beethoven, wobei meine Mutter eher auf Barry Manilow abgegangen ist. Irgendwie hat das wohl beides auf mich abgefärbt.“
Berlioz, Beethoven, Bebop – und dann gibt es noch zwei Bs, auf die sich die Boys von Nero immer wieder beziehen: einerseits die Beatles – Dan bekam seine erste Beatles-Kassette mit vier Jahren – und andererseits „Boogie“, ein Begriff, der für den Post-Disco- und Electro-Funk-Sound der beginnenden Achtziger steht. „Wenn ich eine Ära der Musikgeschichte auswählen müsste, würde ich wohl die frühen Achtziger als meine Lieblingsphase bezeichnen, die Zeit von Boogie und schrägen Disco-Experimenten, als Dance-Musiker gerade begannen, mehr mit Synthesizern zu experimentieren, so wie Change, The B.B.&Q. Band oder D-Train zum Beispiel. Allerdings stehe ich auch voll auf den Rock der Achtziger, die ganzen großen Synthie-Hymnen und Schlagzeugsounds, wie man sie von Prince oder Phil Collins kennt.“ Also noch einmal: Stadionrock, Electro-Funk, Jazz und Klassik, dazu Filmsoundtracks, Rave, Drum & Bass-Beats und nicht zuletzt die krassen Subbässe und Produktionsmethoden des Dubstep – wenn man dann noch die großen Warp-Künstler der späten Neunziger einbezieht (also Aphex Twin, Squarepusher und Co.), steht auch schon die ungefähre Zutatenliste für ein Album, das sich gewaschen hat: „Welcome Reality“, das Debütalbum von Nero.
Auf diesem Longplayer prallen 30 Jahre Dance-Geschichte, alles von Disco bis Dubstep, aufeinander und werden immer wieder mit Rocksounds unterfüttert. 14 Tracks bzw. eine Stunde lang dauert dieser Dance-Rundumschlag, der im selben Studio im Süden Londons entstanden ist, in dem sonst auch Shy FX, Caspa und Chase & Status, die Bosse von Neros Label, ihre Tracks aufnehmen. Komplett im Alleingang geschrieben und produziert, wurde der Longplayer mit neuem wie altem Equipment aufgenommen, also auch den guten alten Vintage-Synthies (Roland Jupiter 8 und Yamaha CS80), die man schon von Madonna, Prince und Duran Duran kennt. Auch die Texte haben sie selbst geschrieben, gemeinsam mit ihrer Stammvokalistin Alana Watson. Ansonsten wurden Nero nur noch von einem befreundeten Gitarristen namens Bush unterstützt, wie auch von einem gewissen Megastar der Achtziger namens Daryl Hall, der auf dem Track „Reaching Out“ als Gast zu hören ist. „Der Kontakt kam über einen Produzenten zustande“, berichtet Joe, der jedoch einräumen muss, dass Nero der blonden Hälfte der erfolgreichsten US-Single-Hitschmiede der Eighties, Hall & Oates, nie persönlich begegnet sind. Trotzdem, so führt Joe weiterhin aus, seien seine und insbesondere Dans Eltern, stolze Besitzer eines Exemplars des „Abandoned Luncheonette“-Meilensteins von Hall & Oates aus dem Jahr 1973, „ziemlich entzückt gewesen“ über diese Kollaboration – so viel also zum Thema transatlantische Liebeserklärungen im digitalen Zeitalter.
Dabei geht der Vibe von „Welcome Reality“ insgesamt eher in Richtung düstere Zukunftsvision: Das Artwork ist nicht ohne Grund an den Posterlook von dystopischen Science-Fiction-Streifen aus den frühen Achtzigern angelehnt, an den Look von Filmen wie „Blade Runner“ zum Beispiel. Diese Art von trostlosem, düsteren, urban-apokalyptischem Zukunftsentwurf zieht sich durch die gesamte Stimmung von „Welcome Reality“. „Oh ja, den Beigeschmack hat die Platte unbedingt sogar“, meint auch Dan. „Das alles soll retro-futuristisch klingen, so dreckig wie bei ‘Alien’ also und eben nicht so aalglatt und schillernd wie die Zukunft, die man sich noch in den Fünfzigern und Sechzigern ausgemalt hat.“
„Auf jeden Fall schwingt auf der LP auch was von Weltuntergang mit“, meint auch Joe, „das übergreifende Thema ist in etwa das einer Liebesbeziehung in den Trümmern.“ Opulenter Auftakt ist denn auch passend der Track „2808“ (der Titel ist von einer Anime-Serie entliehen), der einfach nur massiv und dramatisch klingt, wenn die Streicher einsetzen. Der zweite Track heißt, ebenfalls passend, „Doomsday“ und funktioniert tatsächlich wie ein Kinosoundtrack, mit ganz leisen und dann wieder überdimensionalen Passagen, dazwischen mit viel Luft für extrem große Spannungsbögen. „My Eyes“ hingegen ist ein atmosphärischer Rock-Disco-Banger mit Moroder-Beigeschmack, auf dem auch die Sängerin Alana in Aktion tritt. „Wir kennen sie schon seit wir 16 sind“, berichtet Dan, „sie war schon immer ein fester Bestandteil der Nero-Gang. Sie hat ein gutes Händchen wie ein A&R, und sie hat uns auf all unseren Singles unterstützt. Dadurch verpasst sie uns auch ein bisschen dieses ‘Band’-Feeling, fast schon wie bei Massive Attack.“
Track #4 ist die Single „Guilt“, mit deren Erfolg Dan und Joe so gar nicht gerechnet hatten. Angeblich war es ein „Albtraum, diese Nummer aufzunehmen“, doch gestehen sie auch, dass die Leute bei Live-Performances am heftigsten auf „Guilt“ abgehen. „Me & You“, noch so ein massiver UK-Hit, der auf dem Album vertreten ist – hier trifft Stadionrock auf Dubstep – war dafür verantwortlich, dass der Name Nero schließlich in aller Munde war: „Wir waren da ja schon jahrelang, schon seit ca. 2004 dabei, und dann hatten wir plötzlich diesen Top−15-Hit!“, erinnert sich Joe. „Bis dahin dachten wir eigentlich, dass wir für immer so ein Untergrund-Ding bleiben würden, das sich höchstens bei ein paar Insidern rumspricht. Wenn dann aber plötzlich dein Track bei Radio 1 läuft, ändert sich schlagartig alles.“
Der Track „Fugue State“ klingt ähnlich dramatisch wie der von Walter Carlos geschriebene Soundtrack zu Kubricks „A Clockwork Orange“, genauer gesagt wie die Zukunftsversion davon. „Der Track hat diesen verkrustet-analogen Barock-Sound“, so Joes Beschreibung, „und das Tempo ist an House angelehnt.“ „Innocence“ sei laut Nero „trance-mäßig ohne dabei zu cheesy zu klingen, zumindest hoffen wir das!“ Live jedoch gehört „Innocence“ zu den heftigsten Tracks, die Nero im Programm haben: „Wir haben schon Videos gesehen, in denen Skream und Benga den Track spielen und sich dann in die Massen zum Crowdsurfen stürzen; insofern ist das Stück eine feste Größe in unseren Sets.“
Zur Halbzeit kündigt dann „In The Way“ eine neue Richtung an, ein neues Tempo, wenn sich mit einem Mal große Flächen im dubbigen Mix auftun. „Scorpions“ hingegen begann doch tatsächlich als Scorpions-Coversong (!), wobei sich Nero an einer Stelle vor dem „Blade Runner“-Soundtrack von Vangelis verneigen und krasse Triolen einbauen. „Crush On You“ ist futuristischer Pop, basierend auf einem Boogie-bzw. Disco-Sample von The Jets, während „Must Be The Feeling“ ebenfalls auf einem Eighties-Sample basiert; in diesem Fall ist es die Detroiter Disco-Teenie-Diva Carmen, die Nero „bei der Netzrecherche nach ultrararen Boogie-Tracks“ aufgetan haben – wie man das heutzutage eben so macht. Abschließend gibt es noch die drei Stücke „Reaching Out“, die bereits erwähnte Nummer mit Daryl Hall, den unwiderstehlihchen Rave-Pop-Sound von #1-Single „Promises“ und schließlich „Departure“ – ein amtlicher Schlusspunkt, mit dem der Longplayer wie ein Kinofilm ausklingt. „Wir wollten ein Dance-Album kreieren, das einen mitnimmt auf eine Reise“, so Dan. „Also mit Überleitungen und einem Flow, der sich von Anfang bis zum Ende durchzieht.“
„Es ist genau die Art von Album, auf die wir als Kids gestanden hätten“, ergänzt Joe, der zugibt, dass die Latte für „Welcome Reality“ verdammt hoch lag, schließlich hätten sie sich unter anderem an „OK Computer“ von Radiohead, „Discovery“ von Daft Punk und an „What’s Going On“ von Marvin Gaye orientiert. „Insgesamt sollte es ein Album sein, das man nicht sofort wieder vergisst und das trotzdem ohne zeitlichen Stempel auskommt. Schließlich gibt es Alben, die klanglich voll den Zeitgeist treffen, aber im Jahr drauf dann einfach nur veraltet klingen“, so Dan. „Unser Longplayer soll länger relevant bleiben.“ Mission erfüllt: Man kann sich jetzt schon mal darauf einstellen, dass „Welcome Reality“ auch in Zukunft die Tanzflächen in Brand setzen und die Stereoanlagen in die Luft jagen wird – und zwar mindestens bis ins Jahr 2808.