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Nicola Conte

Nicola Conte
12.06.1999
In jenen Jahren wurde das Fez-Kollektiv zum Anlaufpunkt für die Künstler, die Teil der vor allem in London florierenden Acid-Jazz-Szene waren. Nicola Conte wurde zum Verbindungsmann nach Italien: er holte Künstler ins Land, die in Großbritannien schon berühmt waren, aber in den italienischen Clubs noch als unbeschriebene Blätter galten. Soziologisch hätte man das Fez-Kollektiv, das weit entfernt vom neuralgischen Zentrum des Landes entstanden war, früher als ein perfektes Beispiel für kulturelle Dezentralisation ante litteram definiert.
Durch Nicola Contes Bemühungen wurde das Fez-Kollektiv als vielgleisige kulturelle Bewegung bekannt. Dann entschied er selbst sich allerdings dafür, seine Ideen auf Musikproduktionen zu konzentrieren: Er begann als Remixer für Schema Records zu arbeiten und produzierte Bands wie das Paolo Achenza Trio, das Quintetto X, die Fez Combo, das Intensive Jazz Sextet und Balanço. Die Zusammenarbeit mit diesen Bands unterstrich Nicolas Liebe zum globalen Jazz und offenbarte zugleich seine große Passion für Soundtracks – insbesondere die früheren italienischen Produktionen von Piero Piccioni und Ennio Morricone – und das brasilianische Bossa-Nova-Genre.

Die drei stark miteinander verbundenen Stile – Jazz, Filmmusik und Bossa Nova – sind auf Nicola Contes Produktionen der 90er Jahre bestens repräsentiert und verleugnen nie ihre Verwurzelung in der afrikanischen Kultur, auf die sich mit ihrer Musik auch Bands wie Jazz Convention, das Quartetto Moderno, das Rosario Giuliani Quartet und das Schema Sextet beriefen. Unter den Musikern, die ganz ähnliche Ideen wie Nicola hatten und in den gerade genannten Bands aktiv waren, befanden sich Fabrizio Bosso, Gianluca Petrella, Lorenzo Tucci, Gaetano Partipilo, Pietro Lussu und Rosario Giuliani.
1999 fasste Nicola endlich den Entschluß ein eigenes Album aufzunehmen: “Jet Sounds” wurde im Jahr 2000 veröffentlicht und bot eine elegante Fusion von typisch italienischen Klängen mit einer deutlichen Verbindung zur Filmmusik und unüberhörbaren Einflüssen von Jazz, Bossa Nova und psychedelischer Musik. Nach der Fertigstellung des Albums setzte Nicola erst einmal seine Arbeit als Produzent und DJ in allen möglichen Clubs der ganzen Welt fort. Doch auch als Komponist und Musiker begann er nun schnell immer bekannter und gefragter zu werden. Die Single “New Standards”, die 2001 erschien, wurde für ihn zum wahren Wendepunkt: das Stück, das er gemeinsam mit dem Posaunisten Gianluca Petrella geschrieben hatte, stellte die Weichen zwischen seiner Vergangenheit und seiner musikalischen Zukunft.

2002 komponierte Nicola Songs für ein (von ihm auch produziertes) Soloalbum der brasilianischen Quintetto-X-Sängerin Rosalia de Souza. “Garota Moderna” reflektierte die puristische Seele des aus Apulien stammenden Künstlers/Produzenten, der Melodien geschaffen hatte, die Rosalias Stimme mit Anmut und Leichtigkeit interpretierte. Das Album stellte einen weiteren Schritt in der Entwicklung Nicola Contes als Produzent dar, weil es eine neue Qualität in der Beziehung zwischen brasilianischer Tradition und Modernität offenbarte.  Da es zugleich eine Hommage war und eine moderne, neue Lesart aufzeigte, fing das Album ganz hervorragend die typische Essenz der in ständigem Zwiespalt gefangenen südamerikanischen Kultur ein, so wie man diese auch in den großartigen Werken von etwa Vinícius de Moraes und Caetano Veloso wiederfindet. Das von Carlos Lyra und Vinícius 1964 für Nara Leão geschriebene “Maria Moita” etwa verdiente als eines der ersten Stücke die Bezeichnung “Drum’n'Bossa”. Eindrucksvoll auch Nicolas Überarbeitung von Baden Powells Klassiker “Canto de Ossanha”. Nicht weniger bemerkenswert waren indes die von Conte eigens für das Album komponierten Stücke: “Bossa 31”, “Tempo futuro”, “Zona Sul” und “Samba novo” antizipierten die zukünftige stilistische Ambivalenz. Hier war einerseits die Tradition und andererseits die Modernität präsent – das Miteinander der beiden Pole sollte von nun an zum Dreh- und Angelpunkt in Nicolas Produktionen werden.
Im selben Jahr erschien auch “Jet Sounds Revisited”, eine Zusammenstellung mit Remix-Versionen der Songs von Contes gleichnamigem Debütalbum: die Bearbeitungen stammten u.a. von Koop, der Thievery Corporation, Micatone, dem Kyoto Jazz Massive, Nuspirit Helsinki und dem Italiener Gerardo Frisina. Mit “Love Me ‘Til Sunday” enthielt das Album auch ein bis dahin unveröffentlichtes Stück, das für eine Fernsehwerbespot mit Sean Connery benutzt wurde.

2004 war das Jahr von “Other Directions”. Schema Records lizensierte das zweite Album an das legendäre amerikanische Jazzlabel Blue Note. Nicola Contes Musikästethik wird darauf aus einem anderen Blickwinkel gezeigt. Immer zwischen Jazz und Bossa Nova balancierend widmet sich der Protagonist diesmal ganz der akustischen Spielweise. Doch Conte begnügt sich nicht damit nur über seine Musik zu kommunizieren. Er ist auch ein talentierter Schreiber, dessen Texte stark von der Beat-Literatur und britischen Poeten beeinflußt wurde: “The Dharma Bums” ist eine wirkliche Hommage an Jack Kerouac und zu “Wanin’ Moon” wurde er durch ein Gedicht von Percy Shelley inspiriert. Auch das Kino und die Dramaturgie des Films haben den Komponisten geprägt: “Le Départ” ist die Überarbeitung eines Stücks, das Krzysztof Komeda 1967 für Jerzy Skolimovskys gleichnamigen Film (deutscher Titel: “Der Start”) geschrieben hatte, und “All Gone” ist eine Hommage an Joseph Loseys “Der Diener”, einen Schwarz-Weiß-Film von 1963, den der amerikanische Regisseur in Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautoren Harold Pinter gemacht hatte. “Other Directions” lebte auch von der Kollaboration zwischen italienischen und internationalen Künstlern, die danach teilweise Mitglieder von der Nicola Conte Jazz Combo wurden: etwa die Musiker Pietro Cancaglini, Fabrizio Bosso, Daniele Scannapieco, Pietro Lussu, Lorenzo Tucci, Gianluca Petrella, Rosario Giuliani, Gaetano Partipilo, Mirko Signorile, Pasquale Bardaro, Nicola Stilo und Till Brönner oder die Sängerinnen Cristina Zavalloni, Bembe Segue, Lisa Bassenge und Lucia Minetti.

Vier Jahre nach dem grandiosen Album “Other Directions” meldet sich Nicola Conte, der sich zwischenzeitlich in sein Gitarrenstudium vertiefte, endlich mit einem neuen Opus zurück: “Rituals”. Aufgenommen wurden die dreizehn Tracks zwischen Herbst 2005 und Oktober 2007 im Sorriso Studio in Bari. Das Album ist ein weiterer Beweis für die zahlreichen Talente des süditalienischen Komponisten und Instrumentalisten. Begleitet wird er erneut unter anderem von Musikern, die ihm seit längerem auch bei Auftritten zur Seite stehen: Pietro Lussu, Pietro Ciancaglini, Fabrizio Bosso, Lorenzo Tucci und Daniele Scannapieco, der mit Nicola viele der Tracks des neuen Albums ausarbeitete. Zu dieser Kernbesetzung gesellen sich außerdem weitere alte Freunde wie Gianluca Petrella, Gaetano Partipilo und Till Brönner.

“Rituals” entstand in mehreren Produktionsphasen und weist – vor allem Dank Contes Faible für amerikanischen und europäischen Jazz – ein schärferes Profil auf. Elemente des afro-amerikanischen Jazz werden wiederum von Greg Osby und Michael Pinto in die Musik von “Ritual” eingebracht. Osby ist bekanntlich einer der großen Altsaxophonisten des zeitgenössisch-progressiven Jazz, ein Guru der New Yorker Szene und seit mittlerweile zwanzig Jahren beim Label Blue Note unter Vertrag. Vibraphonist Pinto stammt aus New Jersey, durchlief die Talentschmiede der Berklee Scool Of Music in Boston und gilt als kommender Star auf seinem Instrument. Aus dem hohen Norden Europas stammen dagegen zwei weitere Gäste: die beiden Finnen Timo Lassy (Baritonsax und Flöte) und Teppo Mäkynen (Schlagzeug), die als Mitglieder des formidable Five Corners Quintet in Italien hohes Ansehen genießen.

Auch die Vokalistinnen für das Album wählte Nicola Conte mit sehr viel Bedacht aus. Zwei von ihnen sind Italienerinnen: die Stimmen von Chiara Civello und Alice Ricciardi strahlen eine typisch mediterrane Wärme und Intensität aus. Civello stammt aus Rom, lebt aber nun schon seit geraumer Zeit in den USA, wo sie nach weiterführenden Gesangsstudien mittlerweile erhebliche Erfolge verzeichnet. Vor drei Jahren legte sie beim renommierten Jazzlabel Verve Records ihr weltweites Debütalbum “Last Quarter Moon” vor, das von den Koryphäen Russ Titelman und Ron Goldstein produziert wurde. Ricciardi lebt noch immer in ihrer Heimatstadt Mailand und konnte einen Plattenvertrag bei Blue Note ergattern. Wie Civello verfügt sie über eine sehr schmiegsame, aber kraftvolle Stimme, die sie perfekt den Erfordernissen eines jeden Songs anzupassen versteht. Eine schwarze Note hat die ganz anders klingende Stimme von Kim Sanders. Die soulige Sängerin (einst Mitglied der erfolgreichen deutschen Euro-Dance-Gruppe Culture Beat) ist in Berlin zuhause und trat in den letzten Jahren verstärkt mit Bands aus dem dortigen Jazzumfeld auf, die einen deutlichen Bezug zur afro-amerikanischen Kultur pflegen.

Erstmals treten auf einem Album von Nicola Conte auch zwei männliche Stimmen in den Vordergrund: eine gehört dem New Yorker Sänger José James, der durch den umtriebigen Gilles Peterson auch in Europa bekanntgemacht wurde. Der berühmte britische DJ und Produzent war so sehr von Josés Interpretation des John-Coltrane-Klassikers “Equinox” beeindruckt, daß er nicht zögerte, gleich ein ganzes Album mit ihm zu produzieren. José James knüpft an die große Tradition von Jazz-Croonern wie Joe Williams, Nat “King” Cole und Mark Murphy an, besitzt aber das stimmliche Timbre, das Andy Bey in seinen frühen Karrierejahren charakterisierte. Die andere faszinierende Stimme gehört dem aus München kommenden Philipp Weiss, der hier mit einer unglaublichen Version des Duke-Ellington-Evergreens “Caravan” zu hören ist. Das Stück ist übrigens neben Dusko Goykovichs “Macedonia” die einzige Nummer, die nicht von Nicola Conte geschrieben wurde.

Auf “Rituals” zeigt Nicola Conte einmal mehr eine neue Facette seiner vielen Talente. Diesmal bei der Schaffung der Songs und ihrer Texte. Wie schon auf seinem letzten Album ließ er sich beim Verfassen seiner Lyrics von literarischen Vorbildern und ihren Werken inspirieren. Pate standen – mal mehr, mal weniger – zum Beispiel der Waliser Dylan Thomas und der Amerikaner Langston Hughes. Eines dieser Stücke ist das von José James gesungene “Like Leaves In The Wind” – die instrumentalen Soli stammen von Posaunist Gianluca Petrella und Pianist Pietro Lussu. Die beiden anderen Songs sind “I See All Shades Of You”, von Alice Ricciardi geradezu klassisch jazzig interpretiert, und die Nummer “The Nubian Queens”, der Teppo Mäkynen sofort seinen rhythmischen Stempel aufdrückt. Den Gesang steuert hier wieder José James bei, die Soli kommen diesmal von Trompeter Fabrizio Bosso und Baritonsaxophonist Timo Lassy.
Nicola Conte selbst erweist sich auf “Rituals” als gediegener Jazzgitarrist, der die Schule von Barney Kessel und Jim Hall über Wes Montgomery und Grant Green bis hin zu Pat Martino, Gabor Szabo und Kenny Burrell durchlaufen hat. Mit seinen eleganten Blue Notes sorgt er mehrfach für romantische Stimmung.

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