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Biografie: “Reinhard Mey 2007”.doc

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17.04.2007
REINHARD MEY
"Bunter Hund "

Als Reinhard Mey sein Album “Die Zwölfte” vorstellte, schrieben wir das Jahr 1983. Damals glaubten wir, der Chansonnier hätte uns nun alles gesungen, was er zu sagen hatte von Orpheus, Annabelle und der grenzenlosen Freiheit über den Wolken. Seine Lieder waren längst zu geflügelten Worten geworden: “Die heiße Schlacht am kalten Buffet”, “Der Mörder ist immer der Gärtner”, “Es gibt keine Maikäfer mehr”, was sollte danach noch kommen? Es kamen elf weitere Alben, elfmal hat er uns aufs Neue überrascht, hat mit “Aller guten Dinge sind drei”, “Musik von Hand gemacht” oder “Nein, meine Söhne geb ich nicht” neue Worte und Zeilen gefunden, die in unseren täglichen Sprachgebrauch eingegangen sind. Und immer wieder dachten wir, jetzt hat er wirklich über alles geschrieben! Heute sind wir zwölf Alben weiter und mit seinem 24. Album zeigt er, daß der Quell seiner Inspiration lebendiger sprudelt als je zuvor.

“Bunter Hund” heißt es und ist Autobiographie und Programm zugleich: Er ist der Spürhund, der den Skandal-Knochen ausgräbt und uns unter die Nase reibt, der keinem nach dem Munde redet, der ohne Maulkorb und Leine die Freiheit als kostbarstes Gut verteidigt. Er ist der Streuner, der sich selbst treu bleibt und bedingungslos denen, die ihn lieben. Er ist der Chronist, der in “Der Fischer und der Boss” vom Machtmißbrauch der Übermächtigen erzählt und davon, wie sie die Menschen, die ihnen ausgeliefert sind, ins Verderben reißen und schließlich an ihrer eigenen Überheblichkeit zu Grunde gehen. Er ist der Beobachter, der beim scheinbar sorglosen Spaziergang durch die “Friedrichstraße” aufzählt, wieviel Kummer, Not und Unheil die vielen Friedriche, denen diese Straße ihren Namen verdankt, über dieses Land gebracht haben. Voller Ironie deckt er das auf und voller Selbstironie spart er sich selbst nie aus, wenn er austeilt. Er erzählt vom “Sommer 52”, von einem Kinderausflug, aber es ist unsere eigene Kindheit, die er da beschreibt. Er erzählt vom Sterben eines kleinen Vorstadtkinos, “Schraders Filmpalast”, aber es ist unser eigener Film, der da abläuft. Er denkt über die “Drei Kisten Kindheit” nach, die seine Kinder beim Abschied von zuhaus im Keller hinterlassen haben, er läßt Erinnerungen aufleben, aber er verklärt sie nicht, er lebt im Hier und Jetzt. Er erlebt die Befindlichkeiten in diesem Land in dieser Gegenwart und schreibt daraus ein Lied wie “Kai”, das die Tragödie der Eltern schildert, deren Sohn als Flieger bei einer “Friedensmission” getötet wird, ein Lied das plötzlich vor dem Hintergrund der umstrittenen Tornadoeinsätze in Afghanistan eine bedrückende Aktualität erhält.

Mit 13 neuen Liedern ist dieses Album bis zum Rand mit Leben erfüllt. Den Meister der 3-Minuten-Poesie hat man ihn genannt, aber wie alle Schubladen, in die man ihn zu stecken versuchte, hat er auch diese längst gesprengt. Seine Lieder sind bis ins kleinste Detail durchkomponierte Dramen und Komödien und um Spielzeiten hat er sich nie geschert. Mögen seine Episoden zwei oder zwölf Minuten dauern, sie passen ohnehin in kein Format eines Spartenradios und taugen nicht als Häppchen zwischen zwei launigen Moderationen. Dafür sind sie ein Füllhorn für alle, die Sehnsucht nach wahrem Leben, nach authentischen Beschreibungen und nach stimmigen Bildern haben. Der Bunte Hund erzählt seine ganz persönlichen Geschichten, aber wir alle finden uns darin wieder, wir alle haben erlebt, wovon dieser Mann singt. Er spricht aus, was wir viele hundert Mal gedacht haben, er gibt unserer Geschichte die Worte. Und welche Worte!

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Reinhard Mey liebt diese Sprache und sie scheint ihn zu lieben. Sie läßt ihm Wortspiele gelingen, die spielend leicht daherkommen und doch so fein geschliffen und hintergründig sind. Die
Meisterschaft, Gedanken in Verse zu gießen, beherrscht er wie kaum ein anderer. Wer wenn nicht
er vermag so sperrige Worte wie Chemiebaukasten, das schuppenschultrig-selbstgerechte Steißtrommlerkartell oder Kreiswehrersatzamt in Poesie zu verwandeln, mit einer Melodie zu hinterlegen und singbar zu machen? Da stimmt jeder Reim, da hat jedes Wort sein Gewicht und seinen Platz. Ein Sprachakrobat, der filigrane Zeilen ziseliert, der kunstvolle Miniaturen malt, die sich schließlich zu einem großen Gesamtbild zusammenfügen, eingerahmt von klaren, schnörkellosen Melodien. Es sind klare, sparsame, transparente Arrangements, die diese Lieder tragen: Reinhard Mey hat seinen Hörern und sich auf dem Weg zu den Ursprüngen des Chansons den Wunsch nach einer “Gitarrenplatte” erfüllt und exzellente, renommierte Musikerinnen und Musiker haben ihn mit ihrer Kunst und ihrem Können auf diesem Weg begleitet. So steht die Erzählung im Vordergrund und kommt leichtfüßig und schwerelos daher. Scheinbar mühelos, aber wie bei allen großen Dingen, die sich uns spielerisch leicht, unprätentiös, wie improvisiert darstellen, ahnen wir, wieviel Arbeit, wie viele Stunden höchster Konzentration, wieviel Entdecken, Verwerfen und Neubeginn, wieviel Liebe in diesen Aufnahmen stecken. Wir ahnen es beim ersten Hören und wissen zugleich, daß wir auch nach hundertfachem Hören immer wieder neue, liebevoll gezeichnete Details und versteckte Schätze entdecken werden.

Im Radio ist der Platz für Balladen rar geworden, das Fernsehen widmet seine Musiksendungen der Anspruchslosigkeit. In dieser Medienlandschaft hat Reinhard Mey seinen Platz zwischen allen Stühlen – und in der Wertschätzung eines aufmerksamen, kritischen, treuen Publikums – ein guter Platz für einen Freidenker! Seine Konzerte sind über Monate, gar über Jahre im voraus ausverkauft. Seine Zuhörer haben Sehnsucht nach Ehrlichkeit, nach Originalität, nach Qualität – beim Bunten Hund finden sie die.

“Ich brauche einen Sommelier” singt Reinhard Mey, einen, der ihm reinen Wein einschenken soll und den Becher mit Weisheit füllen. Da ist der Gedanke nicht fern: Mit jedem neuen Album ist der Sänger wie ein guter Wein unverwechselbarer, reifer und immer besser geworden.

Nach seinem beruflichen Traum befragt hat er vor langer Zeit gesagt: “Ich möchte einmal das vollkommene Chanson schreiben!” – mit “Bunter Hund” ist er diesem Ziel ein gutes Stück näher gekommen.

April 2007

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