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Rise Against – The Black Market – 2014

Rise Against "Wolves" 2017
19.06.2014
„In den neuen Songs präsentieren wir unsere Gefühle ganz direkt, vollkommen ungefiltert“, sagt Tim McIlrath, der Sänger und Gitarrist von Rise Against, über „The Black Market“ (Interscope), das neue Album der Band aus Chicago. „Das Album trifft einen empfindlichen Nerv, und es dürfte auch gar nicht so leicht sein, es zu ignorieren.“
Deutliche Worte, die aus dem Mund von McIlrath gleich noch mehr Gewicht haben: Immerhin sind Rise Against in den letzten 15 Jahren, in denen sie sechs gefeierte Studioalben vorgelegt haben, zu einer der größten, erfolgreichsten und anspruchsvollsten Punkbands der Welt avanciert. Allein von ihren letzten vier Alben haben sie weltweit über vier Millionen Einheiten verkauft – die Alben „Endgame“, „Appeal To Reason“ und „The Sufferer & The Witness“ haben zudem Gold-Status in Deutschland erreicht. „Endgame“ stieg im Jahr 2011 in Deutschland und Kanada auf Platz 1 in die Charts ein; in den Billboard-Charts landete das Album auf Platz 2 und die Band hat dabei stets an der Überzeugung festgehalten, dass Musik auch ein Katalysator für Veränderung, für sozialen Wandel sein kann. Beispiele für ihr Engagement gibt’s reichlich: Zusammen mit diversen anderen Superstars (z.B. Adele, Sting) wirkten sie bei der „Chimes of Freedom – The Songs of Bob Dylan“-Compilation (2012) von Amnesty International mit; sie waren mit Tom Morello, dem Gitarristen von Rage Against The Machine auf Tour, haben sich mit der „Demand A Plan“-Bewegung gegen Waffengewalt eingesetzt oder auch die „Make It Stop“-Kampagne unterstützt, als sie im Rahmen des „It Gets Better Project“ Homophobie und Mobbing den Kampf ansagten. All diese Anliegen sollte man unbedingt im Hinterkopf behalten, wenn man seinen Blick auf „The Black Market“ richtet…
Dabei ist „The Black Market“ im Großen und Ganzen genauso entstanden wie die Vorgängeralben der Band: Tim McIlrath, Bassist Joe Principe, Gitarrist Zach Blair und Schlagzeuger Brandon Barnes waren von Januar bis März 2014 in den Blasting Room Studios, wo sie von ihren langjährigen Produzenten Bill Stevenson und Jason Livermore unterstützt wurden. Eine Sache war dieses Mal jedoch ganz anders, wie Tim zu berichten weiß: „Ich hab irgendwie unterschätzt, was Rise-Against-Songs eigentlich sind, was sie mit einem anstellen können, was die Texte mit dir machen und wie sie einen manchmal auch ganz schön herunterziehen können“, erläutert der Sänger. „Früher habe ich die Songs einfach geschrieben, sie dann aufgenommen – und ich bin dabei gewissermaßen ungeschoren davongekommen. Als es jedoch darum ging, dieses Album aufzunehmen, hatte ich echt Probleme mit dem Loslassen: Ich hab mich stattdessen richtig gesuhlt in der Schwermut, in der existenziellen Angst, die da zum Teil mitschwingt.“
Der grandiose Titelsong des neuen Longplayers bringt dieses Thema perfekt auf den Punkt: Hier stellen Rise Against nicht nur die ganze Welt in Frage, denn sie untersuchen auch, was für eine Belastung diese Art des Hinterfragens für den Einzelnen bedeutet. „Als Songwriter und Texter habe ich es schon immer als meine Aufgabe betrachtet, nicht einfach nur die Traurigkeit des menschlichen Daseins zum Ausdruck zu bringen, sondern den Leuten auch Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man derartige Gefühle überwinden kann“, so Tim. „Daher auch die Sache mit dem ‘Black Market’ im Titel: Wir handeln gewissermaßen mit diesen Emotionen, wir dealen mit ihnen auf diesem Schwarzmarkt, was einen zwar in den Abgrund führen kann, aber insgesamt geht es doch auch um Auswege, um einen Weg, diesen Schmerz hinter sich zu lassen.“
Dieses Konzept eines „Schwarzmarkts der Emotionen“ sollte schon bald die gesamte Platte prägen, weshalb ihr neues Album als das persönlichste Statement gelten darf, das Rise Against in den letzten 15 Jahren aufgenommen haben. Genau genommen hätte sogar die Band selbst nicht mit einem derartigen Resultat gerechnet: „Mir war vorher echt nicht klar, was Tim alles durchmachen muss, um seine Texte zu verfassen“, sagt Joe Principe, der Bassist der Band. „Ich war komplett überrascht, als mir das plötzlich aufging. Natürlich kann jeder die Probleme der Welt besingen, aber wenn man eine Platte macht, die zugleich dermaßen persönlich ist, dann hat das echt eine gewisse Unschuld.“ Doch genau diese Unschuld ist im Verlauf der 12 Songs von „The Black Market“ permanent unter Beschuss.
Los geht’s mit „The Great Die-Off“, in dem Rise Against all jenen verkrusteten Traditionen eine knallharte Absage erteilen, die leider erst dann aussterben werden, wenn ihre Fürsprecher-Generationen selbst das Zeitliche gesegnet und sie mit ins Grab genommen haben. „Awake Too Long“ ist eine ähnlich klare Ansage, in diesem Fall gegen Kriege, wobei sie keinesfalls an düsteren Details sparen und resolut wie selten klingen. Mit „The Eco-Terrorist In Me“ kehren Rise Against sogar zu jenem Nachdruck (um nicht zu sagen: zu jener Wut) zurück, den man von ihrem Debütalbum „The Unravelling“ (2001) kennt.
„Das vom 11. September geprägte Amerika sieht Terrorismus an jeder Ecke, selbst da, wo keine Spur von Terrorismus existiert“, meint Tim und bezieht sich damit auf die pauschale Verurteilung jeder Aktivismus-Bewegung, was in seiner Heimat längst als „Green Scare“ bezeichnet wird. „In der US-Politik dreht sich so vieles um den Kampf gegen den Terrorismus, dabei haben wir nicht mal annähernd genügend Terroristen, um diesen Kampf zu rechtfertigen. Was also machen sie? Sie erweitern einfach die Definition von ‘Terrorist’, so dass nun z.B. auch Naturschützer in diese Kategorie fallen.“
Ein Song, der ebenfalls massive Wellen schlagen wird, ist „A Beautiful Indifference“, in dem Rise Against die Occupy-Bewegung thematisieren und Stammtisch-Kritiker dazu auffordern, sich auf beiden Seiten des politischen Spektrums zu engagieren. „Mir wurde klar, dass unsere Generation diese kaputte Neigung hat, jede Art von Aktivismus erst mal pauschal zu verurteilen“, so Tim, dessen Worte zeigen, dass Rise Against auch im Jahr 2014 eine echte Protest-Band sind – und zwar kein bisschen zahm und ohne jeden Anflug von Zynismus.
Insgesamt kehren Rise Against auf „The Black Market“ immer wieder zu einem Thema zurück: dem Preis, den man als Mensch dafür zahlen muss, sich seiner selbst bewusst zu sein. „Rise Against war schon immer eine politische Band, aber eben auch eine Band, die sehr persönliche Themen in den Songs verhandelt“, so der Bandleader. „Unsere Songs haben schon immer diese beiden Welten vereint, und ich persönlich finde, dass Introspektion eine viel, viel größere Rolle auf dem neuen Album spielt.“ Allein der extrem eingängige Refrain der ersten Single „I Don’t Want To Be Here Anymore“ unterstreicht diese Aussage: Über der massiven Hook verhandelt der Sänger universelle Themen, wenn er vom Gefangensein in einer Situation und möglichen Auswegen daraus singt. Im Fall von „Methadone“ untersucht er eine Beziehung, die sich selbst vergiftet und daran kaputt geht, während „Bridges“, das letzte Stück des Albums, die Erosion der US-amerikanischen Mittelschicht durch das Prisma einer zerbrechenden Beziehung beleuchtet.
Am deutlichsten ist die Kernaussage von „The Black Market“ jedoch auf „People Live Here“ zu vernehmen: Über einem minimalistischen Teppich aus Akustikgitarre und Streichern beleuchtet Tim dieses „Here“, eine Welt nämlich, die unter dem Klimawandel genauso leidet wie unter verfeindeten Religionen, Kriegen und anderen Grausamkeiten wie z.B. dem Amoklauf an der Sandy Hook Elementary School.
„Wir haben diese Kindergärtnerin“, setzt Tim an, „und wenn man ihr in die Augen schaut und sich dann vorstellt, wie sich so eine Katastrophe bei ihr im Gebäude abspielt, dann wird das alles natürlich gleich sehr viel greifbarer. Man muss sich dann zwangsläufig darüber Gedanken machen, wie so etwas überhaupt passieren kann, und wie Amerika zu so einem waffenvernarrten Ort werden konnte.“ Auch hier verschmelzen die Grenzen zwischen Kunst und eigener Erfahrung, zwischen Persönlichem und Politischem, zwischen Ich und Gesellschaft, zwischen News-Schlagzeilen und wirklicher Reflektion: Tims Songtexte waren selten so aufklärerisch, herausfordernd, ungeschönt und erschreckend direkt.
Auch musikalisch klingen Rise Against auf „The Black Market“ sehr viel reifer als zuvor: Die Bandbreite an Melodien, die leidenschaftlichen (Schrei-)Gesänge, die schneidenden Gitarren, treibenden Basslines und knallharten Schlagzeug-Parts sind immer noch da, aber es gibt auch Passagen, die man so auf keinem der Vorgängeralben finden konnte. Auf diese unerwarteten Momente des Albums ist Joe besonders stolz – den an Foo Fighters erinnernden Sound von „Sudden Life“ z.B., den Groove von „Zero-Visibility“ und die unbeschreibliche Intensität des bereits erwähnten „The Eco-Terrorist In Me“.
„Ja, musikalisch sind wir auf jeden Fall gewachsen“, meint Joe und fügt dem hinzu: „Ich finde es grandios, dass wir das im Jahr 2014 von uns behaupten können, und zwar ohne dass das Ganze aufgezwungen wirkt. Schließlich ist es auch wichtig, dass neue Fans an diesen Songs erkennen können, wo wir eigentlich herkommen.“
„The Black Market“ – ein Album also, das den Wurzeln von Rise Against einerseits treu bleibt, diese Wurzeln aber immer wieder transzendiert. „Wenn man einen Song von diesem Album hört, wird man niemals fragen, ‘Von welchem Album ist der wohl?’“, sagt Tim abschließend. „Das hier ist nicht der zweite Teil irgendeines vorangegangenen Rise-Against-Albums. Genau daran kann man sehen, dass alles an diesem Album passt: Wir haben etwas Neues kreiert, etwas Bedeutsames. Ich bin echt stolz auf dieses Album.“
Und das aus gutem Grund, denn nach 15 Jahren werfen Rise Against mit „The Black Market“ ein vollkommen neues Licht auf ihr bisheriges Werk und die gesellschaftlichen Anliegen, die sie sich seit eh und je auf die Fahne geschrieben haben. Man kann daher durchaus sagen – wie Tim das tut –, dass dieses Album einen empfindlichen Nerv trifft, und das tut es mit so viel Nachdruck und so vielen klanglichen Wendungen, dass man dieses Zeichen in allen Teilen der Welt verstehen dürfte. Schon deshalb hat es „The Black Market“ verdient, gehört zu werden.

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