Saint Etienne | Musik | So Tough

So Tough (Deluxe Edition): Saint Etienne
So Tough
VÖ: 01. September 2009
Saint Etienne

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Produktinformation

Fragt man nach den großen englischen Pop-Alben der Neunziger, werden wohl die meisten die großen BritPop-Namen nennen. Blurs “Parklife”, die beiden ersten, einzig wahren Oasis-Alben, Suedes “Dog Man Star”, The Verves “Urban Hymns” – you name it. Dabei müsste sich eigentlich noch ein weiteres mit dort trollen – Saint Etiennes “So Tough”. Denn, wenn es darum geht, “Britishness” zu vertonen, ein musikalisches Abbild des Lebens in England (oder in diesem Fall London) zu liefern und die englische Popkultur zu feiern oder zu thematisieren – also allesamt die Qualitäten, die dem Britpop so nachgesagt werden, zu besitzen – dann müsste dieses Werk auf jeden Fall genannt werden. Natürlich sind die musikalischen Einflüsse “slightly different”, was wohl auch der Hauptgrund sein dürfte, dass “So Tough” in der gängigen Liste fehlt, aber in all den anderen Punkten ist es vorne mit dabei.

Als Pete Wiggs und Bob Stanley gemeinsam mit Sängerin Sarah Cracknell die Aufnahmen angingen, schwebte ihnen eine simple wie wunderbare Idee vor: Sie wollten den “Sound von 1992” einfangen – den Sound ihrer Stadt London wohlgemerkt. Das erfährt man aus den umfangreichen Liner-Notes, die im Booklet der neuen Deluxe-Edition zu finden sind und die ähnlich collagenhaft und unterhaltsam funktionieren wie das Album, das nämlich von kleinen Samples und Soundsnippets durchzogen ist. Diesem Arbeitsansatz entsprechend, ist auch das Artwork – eine Bilderserie schwarzweißer Stadtaufnahmen von Jamie Fry, in denen er junge Kids bei ihrem alltäglichen Spielen oder Abhängen fotografierte. Dabei gab das Cover-Foto, eine Aufnahme der schon mit sechs Jahren arschcoolen Cracknell, die Motividee vor. Bob Stanley dazu: “Wir wollten, dass die Fotos aussahen, wie London im Jahre 1992 eben aussah – und das war auch unser Ansatz für die Platte: Sie sollte klingen, wie London im Jahre 1992 klang.” Musikalisch brachten sie dabei zusammen, was man bisher gar nicht so zusammen gedacht hatte: Einen gesunden Indie-Spirit, den sie aus der C86-Bewegung mitbrachten, eine dem Punk entlehnte musikalische DIY-Arbeitsweise und trotz allem keine Scheu vor den großen Gesten des Pops. Pete Wiggs erklärte es so: “Wir waren Konzertjunkies, Fanzine-Schreiber und wir wussten noch nicht hundertprozentig, unsere Instrumente zu beherrschen – aber das hinderte uns nicht daran, uns wie Popstars zu fühlen.” An dieser Stelle müsste man vielleicht noch hinzufügen, dass sie, selbst wenn sie das mit den Instrumenten noch lernen mussten, schon formidable Songtexter, wenn nicht gar Alltagspoeten, waren.|Diese Mischung aus Neugierde, Pop-Begeisterung und Starqualität, die vor allem die glamouröse wie schöne Sängerin Sarah Cracknell, mitbrachte, ist es, was “So Tough” so spannend macht – und war wohl auch ausschlaggebend, dass Saint Etienne mit diesem zweiten Album ihre höchste Chartplatzierungen bis dato hatten. Schon der Opener “Mario’s Café” führt einen direkt in das Leben in London. Eigentlich reichen da schon die aus einer fiktiven Konversation geborgten Sätze “Did you pick Wednesday’s fight? / And did you see the KLF last night?” Oder der Refrain: “When we meet for a while, Tuesday morning ten a.m. / Everyone’s dreaming of all they’ve got to live for, joking around, still digging that sound.” So pointiert man junges Stadtleben im Jahr 1992.

Ein weiteres Highlight ist der Single-Erfolg “You’re In A Bad Way”, der mit einem großartigen Sample aus dem Film “Billy Liar” beginnt: “A man could lose himself in London. Lose himself. Lose himself in London!” Wenn einem dabei Sarah Cracknell so charmant vorhält, das man “In A Bad Way” sei, lässt man sich diesen Zustand aber gerne gefallen. Allgemein bekannt dürfte auch die Pianoballade “Hobert Paving” sein – der ironischerweise einem jüngeren Publikum Jahre später in der deutschen Filmproduktion “Bandits” (mit Jasmin Tabatabai und Katja Riemann) als “Don’t Forget To Catch Me” untergejubelt wurde und zeitweise gar ein kleiner Radiohit in Deutschland wurde.

Die Deluxe-Edition von “So Tough”, die nun erscheint, lohnt nicht nur wegen der ausführlichen und gelungenen Texte im schmuckvollen Booklet, auch die Bonus CD, die gleich 17 Raritäten und B-Seiten versammelt und es auf eine Spielzeit von rund 70 Minuten bringt, lohnt die Anschaffung. Wobei sich dort wie so oft natürlich auch ein paar musikalische Fingerübungen oder gar Griffe ins Klo befinden – aber auch Perlen. Zu letzterem zählt vor allem die Teenage Fanclub-Coverversion “Everything Flows”. Was im Original herrlich schrebbelt und melancholisch verschlürt gesungen daher kommt, funktioniert auch im respektvoll polierten Saint Etienne-Gewand, mit tanzbaren |Percussions, wavigen Keyboards und kristallklaren Cracknell-Vocals. Ein guter Beweis, welch ein Pop-Potential die Songs aus der C86-Ära unter ihrer rauen Lo-Fi-Schale hatten. Nicht so gut hingegen, das “I’m Too Sexy”-Cover, dass man vielleicht als Gag verstehen sollte. Von den eigens geschriebenen Songs ist das Instrumental “Snowplough” ein Highlight, das jeden DJ begeistern dürfte. Wie hier ein fast raviger Beat mit einem Klavier in Konkurrenz tritt – so was könnte man auch heute in jedes gelungene DJ-Set mixen.

“So Tough”, dessen Titel übrigens eine Beach Boys-Referenz ist, gehört also eindeutig in die Sammlung eines jeden, der sich für britische Popmusik begeistern kann, und wenn man nun noch mal gefragt wird, was denn die definitiven britischen Alben der Pop-Neunziger sind, dann sollte man also bitte auch “So Tough” in diesen Kanon aufnehmen.
Veröffentlichung
1.9.2009
Format
CD
Label
Universal Music
Bestellnummer
00602527118994
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