Seinabo Sey | Biografie

Seinabo Sey “I’m a Dream”

 

Seinabo Sey

Biografie 2018
Seinabo Sey liebt es, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Alles für eine Sache zu geben. Alles auf eine Karte zu setzen. Auch deshalb ging es für sie steil nach oben seit der ersten Hitsingle „Younger“, mit der sie schon 2013 eine klare Message in die Welt geschickt hat: „go on, don’t wait/follow your dreams“, hieß es im Songtext. Genau das hat die inzwischen 27-jährige Schwedin seither getan, und so verzeichnen ihre Tracks allein bei Spotify über 400 Millionen Streams, gut eine Viertelmilliarde davon entfällt auf „Younger“. Auch inhaltlich hat Sey an die Kernaussage ihrer bis dato größten Single angeknüpft, denn so sehr sie sich auch zwischen den verschiedenen Genres bewegt, gerade in diesen Zwischen- und Freiräumen ihren intimen Sound aufspannt, geht es doch immer wieder um den Glauben an die eigene Person, um das Hinterfragen sozialer Normen in Sachen Selbstbewusstsein, Body-Image – wobei auch komplexe Beziehungskisten wiederholt eine Rolle spielen. 
Nach zwei EP-Veröffentlichungen legte sie im Oktober 2015 die Latte noch ein Stück höher, als mit „Pretend“ ihr offizielles Debütalbum erschien: Zu 100% ihr ganz eigener (Soul-)Pop-Entwurf, gab’s für den Erstling in Schweden schließlich nicht nur Gold, sondern auch das schwedische Grammy-Pendant als „Best Newcomer“ 2015 (sowie den Preis in der Kategorie „Best Pop“ im Jahr drauf!), gefolgt von einem P3 Gold Award (Künstlerin des Jahres) und dem European Border Breaker Award 2016. Seinabo Sey als die skandinavische Senkrechtstarterin 2014–2015 zu bezeichnen, wäre so gesehen noch untertrieben. Immerhin war sie parallel dazu für VEVO „Artist to Watch“, und auch Spotifys „Spotlight On“ galt 2015 nur ihr, ganz zu schweigen von mehr als 120 gefeierten Live-Shows, die sie rund um den Globus zwischen 2014 und 2016 spielen sollte. Mit ihrer Ausnahmestimme begeisterte sie schließlich nicht nur auf Riesen-Festivals wie Way Out West, Glastonbury oder in Roskilde, denn auch TV-Performances bei Conan O’Brien in den Staaten oder bei „Later… with Jools Holland“ in England ließen nicht lange auf sich warten – und ihre Fanbase zugleich stetig weiter wachsen.
„Wenn ich allerdings zurückdenke an diese ganzen Tour-Erfahrungen der letzten Jahre, dann habe ich beinahe das Gefühl, kaum noch etwas davon erinnern zu können“, gesteht Sey und muss lachen. „Es war einfach so hektisch! So intensiv, so wundervoll! Rückblickend bin ich echt happy, dass ich das mal in dieser extremen Form erleben durfte, also ganz ehrlich: Selbst wenn ich nie wieder einen derartigen Tour-Marathon hinlegen kann, bin ich froh, dass ich es einmal mitmachen durfte.“
Dabei stehen die Chancen extrem gut, dass die 27-jährige Sängerin mit schwedisch-gambischen Wurzeln demnächst damit weitermacht. Mitte 2016 konnte sie auf etliche Errungenschaften zurückblicken – u.a. 5x Platz 1 bei Hype Machine, und: eine eigene Briefmarke in Schweden! – und hatte zugleich nur ein einziges Ziel vor Augen: Die nächsten Aufnahmen. Neues Material wollte sie schreiben. Allerdings bahnte sich am Horizont zwischenzeitlich ein für sie zuvor unbekanntes Monstrum an, auch bekannt als Schreibblockade… „Ja, dieser ganze Prozess war ja schließlich neu für mich! Alles war neu! Ich hatte ein erstes Album gemacht, das war das. Aber ich befand mich nun zum ersten Mal ‘zwischen Alben’, und ich war echt nicht so besonders gut darauf vorbereitet, wie… ja, wie schräg das eigentlich ist!“ Wichtig war ihr, wie sie weiter berichtet, vor allem, sich selbst treu zu bleiben. Und dann wollte sie unbedingt zum Ausdruck bringen, wie dankbar sie dafür war, ihren Lebensunterhalt mit ihrer größten Leidenschaft verdienen zu können.
Schließlich platzte der Knoten, sie ließ alles raus und schrieb Songs über jene Themen, zu denen sie auch via Social Media und bei Konzerten schon häufiger Stellung bezogen hat: Darüber, was es bedeutet, heute eine Frau zu sein. Über Feminismus. Über Identitätsfragen, eine positive Einstellung gegenüber dem eigenen Körper, überhaupt: über ihre Überzeugung, sich selbst akzeptieren und lieben zu müssen.
Ihr angestammter Produzent MagnusTheMagnus (Magnus Lidehäll) half ihr daraufhin dabei, den Sound dieser neuen Songs so zu gestalten, „dass er etwas Neues inspiriert“, wie sie sagt. „Auch war mir wichtig, so diszipliniert zu sein, um mich mit der Frage zu befassen: ‘was heißt es eigentlich, ich zu sein?’ Denn bei ‘Pretend’ habe ich ehrlich gesagt nicht so besonders viel ‘nachgedacht’ über derartige Fragen. Heute kann ich zurückblicken auf das, was ich damals gemacht habe und was den Leuten daran gefallen hat, was es ausgemacht hat.“ Viel Nachdenken war also angesagt, „vielleicht sogar zu viel davon“, wie sie hinzufügt – und dabei kichert.
Die Ergebnisse dieser Herangehensweise sind nicht nur extrem persönlich (und dabei doch zugänglich), sie klingen vor allem noch selbstbewusster als zuvor. Neben Lidehäll holte sie mit Vincent Pontare und Salem Al Fakir sowie ihrem guten Freund Isak Alverus noch weitere Co-Songwriter erneut an ihre Seite, die schon bei „Pretend“ mitgeholfen hatten. Kombiniert mit ihrer Stimme, die sich wie ein dichter, gewichtiger Samtbezug ausbreitet über diesen neuen Kompositionen, entsteht ein Zusammenspiel aus Musik und Inhalt, das genauso zum Nachdenken anregt wie ihre frühesten Aufnahmen, während der Bass-Nachdruck einem zwischendurch auch mal die Beine wegfegt.
Ein Beispiel wäre der Song „Breathe“: eine epische Hymne, die sogar mit Streichern und vielstimmigem Chorgesang daherkommt. Die Kernidee des Songs, der von Selbstakzeptanz handelt, entstand am Pool, als sie Anfang 2017 spontan und ganz allein nach Dakar im Senegal aufgebrochen war. Sie habe sich einfach gut gefühlt damals: „… und wie ich so dasaß, dachte ich darüber nach, was mir daran eigentlich so gut gefiel. Damit fing der Song an, mit der Zeile: ‘I love it here because I don’t have to explain myself to people.’ Mir wurde klar, dass ich als schwarze Frau echt viel Zeit dafür aufbringen muss, selbst die offensichtlichsten Dinge über uns und unsere Kultur immer wieder zu erklären,“ – obwohl sie doch viel lieber „einfach nur sein“ würde. Auch die Zeile „Forward ever/backwards never“ taucht im Songtext auf, die Seys Vater – der inzwischen verstorbene gambische Musiker Maudo Sey – „früher andauernd von sich gab“, wie sie sagt. „Ich hab diese Zeile dann bei Google gesucht und erfuhr so, dass es genau genommen ein Zitat von Kwame Nkrumah ist.“ Der 1972 verstorbene Intellektuelle und Politiker war der erste Präsident des unabhängigen Ghanas gewesen. Und so schwingt bei „Breathe“ derselbe Stolz mit, den die Sängerin 2016 bei der Verleihung der schwedischen Grammys an den Tag legte, als sie den begehrten Slot für die Abschluss-Performance dafür nutzte, eine mitreißende, politisch aufgeladene Version von „Hard Time“ zu präsentieren, wobei rund 130 schwarze Frauen sie einrahmten auf der Bühne. Denselben Ansatz verfolgt sie nun auch visuell, wenn sie ihren Background nicht länger in Worten erklärt, sondern in die Visuals für „Breathe“, das druckvolle „I Owe You Nothing“ oder auch in den Clip zur emotionalen Ballade „Remember“ einfließen lässt. Alle drei Videos wurden in nur einem einzigen Wochenende in Gambia gedreht. „Ich war gerade in Schweden und dachte darüber nach, was es in meinem Leben gab, das in der Popmusik bis dato noch keine große Rolle gespielt hatte“, holt sie aus. Schließlich sei ihr klar geworden, dass „es da ganz viele schöne Ästhetik-Ansätze in Gambia gibt, mit denen ich aufgewachsen bin, und die ich nun der Welt zeigen wollte.“
Im Video zu „I Owe You Nothing“ kombiniert sie die Farbenvielfalt der Stoffe und Textilien aus der Region mit Textzeilen wie „I don’t have to move for you / I don’t have to dance monkey dance monkey dance monkey dance / For you“, die sie absolut selbstbewusst zum Besten gibt. Schon 2015 bemerkten die Billboard-Redakteure, dass Seys Stimme heraussticht, „weil ihr kraftvoller Gesang tiefer geht, verwurzelter klingt, sie mehr traditionelle R&B-Phrasierungen mit den vielschichtigen elektronischen Produktionen des Albums zusammenbringt.“ Im Jahr 2018 stehen diese mutigeren, kraftvolleren Elemente sogar noch mehr im Vordergrund, kommen mit noch mehr Leidenschaft daher: „Ich liebe noch immer diese Kombinationen, dieses Mit- und Nebeneinander in der Musik, die ich mit Magnus mache, dass es kaum möglich ist, sie auf ein Genre festzulegen. Aber ich habe einfach die Drums vermisst, mit denen ich aufgewachsen bin. Ich vermisste diesen Rhythmus, der schwarze Musik ausmacht.“ Deshalb haben sie und Lidehäll sich dieses Mal auf diesen Aspekt konzentriert und mehr davon injiziert in ihren Multi-Genre-Popsound zwischen Soul, R&B, Electro & Co.
Während für die nahe Zukunft eine neue EP und ein neues Album geplant sind, freut sich Sey jetzt schon auf einen ganz besonderen Abend in der Stockholmer Globe Arena am 5. Oktober 2018 – sprich: in einer Halle, die 12.000 Menschen fasst. „Ich werde nie nervös, wenn ich auftrete. Ich bin im Vorfeld allenfalls nervös, weil ja vielleicht keiner kommen könnte“, lacht sie. „Das ist mein größter Albtraum: da oben zu stehen und der Saal ist nicht voll.“ Bedenkt man jedoch, was sie in den letzten Jahren alles erreicht hat – und gerade in Schweden! – braucht sie sich diesbezüglich wohl keinen Kopf zu machen. Sie selbst kann es denn auch kaum abwarten: „Ja, zum ersten Mal in meinem Leben kann ich eine Produktion auf Beyoncé-Level präsentieren! Ich freue mich wahnsinnig darauf!“ Und auch diesen kommenden Abend in Stockholm wird sie dazu nutzen, um das zu tun, was sie immer und immer wieder tut: Sie stellt sich neuen Herausforderungen. Gibt alles für eine Sache. Setzt alles auf eine Karte…
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