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Brazilian Jazz

05.11.2004
Chico Buarque de Holanda, 1944 in Rio geborener und später in São Paulo und Italien aufgewachsener Architekturstudent aus gutem Hause, begeisterte schon mit Anfang 20 die Fans der Música Popular Brasileira. Seine außergewöhnlich guten Texte und schönen Melodien, dazu diese warme, nasale Stimme und ganz zu schweigen von seinem knabenhaft knackigen Äußeren, komplett mit Unschuldsblick und Schmollmund, machten ihn sofort zum Popstar. Doch er wollte mehr, vor allem ernst genommen und als Künstler respektiert werden.
Chico Buarque – Sixty Years On: Favourites
Aufnahmedatum: 1966 bis 1984

Als ihn Ende der 60er Jahre Kollegen wie Gilberto Gil und Caetano Veloso, die hinter seinen vergleichbar traditionellen Sambaklängen eine reaktionäre politische Haltung vermuteten, anfeindeten, schrieb er 1968 das Theaterstück “Roda Viva”, dessen Popstar-Protagonist von obsessiven Fans zerfleischt und verspeist wird. Besonders die Szene, in der die Schauspieler dem Publikum Happen des Kollegen anboten, auch wenn es sich aus praktischen Gründen tatsächlich nur um Hühnerfleisch handelte, rief die Zensurbehörden der Militärdiktatur auf den Plan. Soldaten zerstörten die Bühne, schlugen die Schauspieler und nahmen den Unruhe stiftenden Urheber fest.

Nach einem Exiljahr in Italien kehrte Buarque in seine immer noch militärisch diktierte Heimat zurück. Nur um festzustellen, daß sich die meisten seiner Kollegen noch immer im Ausland befanden und er kein einziges Wort singen durfte, das nicht vorab sorgfältig zensiert worden war. Zwei Drittel seiner Songs fielen dieser Kontrolle in den 70er Jahren zum Opfer. Was übrig blieb, etwa auf dem Album “Construção”, klang deutlich düsterer als seine jugendlichen Sambas und Bossa Novas. Doch Buarque ließ sich von den ständigen Repressalien eher anstacheln als unterkriegen. Mitte der 70er nahm er sogar Platten mit seinen neuen Freunden Gilberto Gil und Caetano Veloso auf, begann bald auch Soundtracks zu komponieren und einige, inzwischen nicht nur in der portugiesischsprachigen Welt berühmte, Theaterstücke und Romane zu verfassen. Die 24 Stücke aus seinen fast zwanzig Schaffensjahren für Philips und die brasilianische PolyGram (1966–84), die jetzt anläßlich seines 60.Geburtstags auf der Compilation “Sixty Years On” erscheinen, zeigen auch die musikalische Evolution dieses Popstars wider Willen. Das Repertoire besteht bis auf zwei Ausnahmen – Caetano Velosos “Você não entende nada” und Noel Rosas “Fantasia” – ausschließlich aus Songs, die aus Buarques eigener Feder stammen. Chico Buarque hat seine hochgesteckten künstlerischen Ziele letztendlich erreicht. Nur wenige Musiker seiner Generation sind schon so lange so beliebt, erfolgreich und angesehen wie er.

Nara Leão – Muse Of Bossa Nova: The Very Best Of
Aufnahmedatum: 1962 bis 1985

Nara Leão fand zu Lebzeiten weitaus mehr Anerkennung in Brasilien als in den USA und Europa. Heute gilt sie neben Elis Regina und Maria Bethânia als eine der herausragenden brasilianischen Sängerinnen der 60er und 70er Jahre. Leãos Aufnahmen erschlossen sich mit der Renaissance brasilianischer Popmusik in den 90ern auch einem größeren Publikum in Europa. Postum wurde ihrer Schlüsselrolle, nicht nur innerhalb der Bossa Nova, sondern auch bei der darauf folgenden Tropicália-Bewegung zunehmende Aufmerksamkeit gewidmet.

Als Kind lebte Nara Leão in Rio in der Avenida Nossa Senhora, direkt an der Copacabana. Ihr damaliger Nachbar Roberto Menescal, selbst ein Musiker und Songwriter, erinnert sich, daß Nara immer ziemlich weit für ihr Alter war. “Bei ihr in der Wohnung liefen Platten von Stan Kenton. Ich nahm Nara mit in die Musicals, die im Metro-Kino auf der Avenida Copacabana liefen. Einmal, als wir gerade ‘Singing In The Rain’ gesehen hatten, regnete es draußen wirklich, und wir spielten die Szene auf der Straße nach.” Die höhere Tochter, die in der Schule Spitznamen wie Schnecke, Zwerg oder Greta Garbo über sich ergehen lassen mußte, gründete in der Wohnung ihrer großzügigen Eltern eine Art Salon für die aufstrebenden Bossa-Musiker Rios. Die Journalistin (Leão schrieb nebenbei für die Tageszeitung Última Hora aus Rio de Janeiro) avancierte so in den 50er Jahren zur “Muse der Bossa Nova”.

Nicht wenige brasilianische Nachwuchskünstler verdankten Nara Leão ihre frühen Erfolge – zu den heute bekanntesten zählen u.a. Chico Buarque, Edu Lobo, Martinho da Vila, Paulinho da Viola, Fagner und Zé Keti. Für Carlos Lyra war sie eher eine Kameradin der Bossa Nova, und auch Ronaldo Bôscoli scherzte, daß sie “die Gitarre wie ein Mann spielen konnte”. Zwischen 1964 und 1989, als sie mit nur 47 Jahren überraschend starb, hat Nara Leão über 15 Soloalben veröffentlicht und auf etlichen LPs von João Gilberto, Luiz Eça, Ronaldo Bôscoli und Carlos Lyra mitgewirkt. Am meisten besticht an ihren Aufnahmen die Authentizität, das Understatement, mit dem sie die Essenz des Genres perfekt verkörperte. An die Muse der Bossa Nova, Protestsängerin und integrale Figur erinnert nun die CD “Muse Of Bossa Nova – The Very Best Of Nara Leão”. Sie enthält 25 von Nara Leão interpretierte Klassiker, die von ihren damaligen Schützlingen, aber auch von Meistern wie Tom Jobim, Caetano Veloso, Gilberto Gil, Roberto und Erasmo Carlos geschrieben wurden.

Sérgio Mendes – The Swinger From Rio: Favourites
Aufnahmedatum: 1962 bis 1996

“Wer denn nicht?” antwortete Sérgio Mendes einmal auf die Frage, welcher Jazzmusiker wohl von der Musik seiner brasilianischen Heimat beeinflußt worden wäre. Er wußte, wovon er sprach. Schließlich gehörte der klassische Pianist aus der Stadt Niterói an der Guanabara-Bucht, direkt gegenüber von Rio de Janeiro, zur ersten Welle der brasilianischen Musiker, die die Bossa Nova nach Nordamerika schwappen ließen. Schon im Dezember 1962 nahm er mit seinem Bossa Rio Sextet ein Album mit Cannonball Adderley in New York auf, spielte bald mit Dizzy Gillespie, Stan Getz, Charlie Byrd und Herbie Mann.

Mitte der 60er, inzwischen hatte er seine Familie nach Kalifornien geholt, war er oft an der Seite von Art Farmer, Phil Woods und Hubert Laws zu hören. Hauptsächlich aber brasilianisierte er zu dieser Zeit mit seinen verschiedenen Hitbands auf Herb Alperts Label A&M Records zeitgenössischen Pop. Das Debütalbum von Sérgio Mendes & Brasil ’66, einer neu besetzten Version der weniger erfolgreichen Brasil ’65, stieg, auch Dank der Single "Mas que nada ", gleich auf Platz 5 der Popcharts ein. “Equinox”, das zweite Album, enthielt gleich drei Hits: “Night And Day”, “Chove chuva” und “For Me”. Mit ihrem dritten Album “Look Around” schafften sie es erneut in die Top 5 der US-Albumcharts. Vor allem Mendes' Versionen von dem Beatles-Hit “Fool On The Hill” und dem damals gerade von Simon & Garfunkel erfolgreich verpoppten Folksong “Scarborough Fair”, im sanft orchestrierten Samba-Gewand und mit mehr als einem Hauch Bacharach und Mancini im Arrangement, sorgten für den Durchbruch.

Die Euphorie dauerte bis Anfang der 70er und kippte dann in so komplette Ablehnung um, daß sich Mendes 1977 erst einmal komplett aus dem Rampenlicht hinter die Kulissen verzog. 1983 feierte er mit der LP “Sérgio Mendes” ein Comeback: Das Album hielt sich beachtlich lang in den Top 40, die Single “Never Gonna Let You Go” erreichte mit Platz 3 die höchste aller bisherigen Mendes-Plazierungen. Sérgio Mendes sah sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, er habe die brasilianische Musik für das amerikanische Publikum verwässert. Aber egal, ob man seine Musik nun, wie seine meist japanischen, amerikanischen oder europäischen Fans, für Kultpop, oder, wie viele harsche brasilianische Kulturbewahrer, für Fahrstuhlmusik hält, den Erfolg kann man ihr nicht absprechen. Und wenn einen mal einer fragen sollte, wer denn wohl die Musik von Sérgio Mendes möge, antwortet man am besten: “Wer denn nicht?”

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