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Anna Prohaska – Sirène

Anna Prohaska
11.05.2011
Das ewige Spiel der Verführung
Anna Prohaska wurde 1983 geboren und begann mit 14 ihre musikalische Ausbildung bei dem Dirigenten Eberhard Kloke. Später studierte sie in Berlin an der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« bei Brenda Mitchell Gesang und debütierte bereits 2002 mit großem Erfolg an der Komischen Oper in Brittens The Turn of the Screw. Als Frasquita in einer von Daniel Barenboim dirigierten Carmen eroberte sie 2006 die Herzen der Zuschauer an der Staatsoper Unter den Linden. Seit der Spielzeit 2006/07 gehört sie zum Ensemble des Hauses und war hier bereits in sehr unterschiedlichen Rollen zu erleben: Unter Leitung von Philippe Jordan sang sie Blonde in Mozarts Entführung aus dem Serail und Oscar in Verdis Maskenball, mit René Jacobs am Pult gestaltete sie die Poppea in Händels Agrippina und unter der musikalischen Leitung von Ingo Metzmacher war sie zuletzt die bezaubernde Anne Trulove in Strawinskys The Rake’s Progress. Daneben hat sich Anna Prohaska auch als Liedsängerin einen Namen gemacht. Dirigenten wie Claudio Abbado, Sir Simon Rattle, Mariss Jansons und Daniel Harding luden sie wiederholt ein, und sie ist regelmäßig zu Gast bei den Konzerten der Berliner Philharmoniker und den Salzburger Festspielen. Das Repertoire der Sängerin reicht von der Renaissance bis zur Musik des 20. Jahrhunderts. Für ihr erstes Solo-Album ließ sich Anna Prohaska von Andersens berühmtem Märchen Die kleine Seejungfrau inspirieren. Gemeinsam mit dem Pianisten Eric Schneider und dem Lautenisten Simon Martyn-Ellis präsentiert sie Lieder der englischen Altmeister Dowland und Purcell, von Haydn, Mendelssohn, Schubert, Schumann bis hin zu Schöpfungen aus der Zeit der Jahrhundertwende von Fauré, Mahler und Wolf sowie Stücke der frühen Moderne von Debussy, Szymanowski und Honegger.
Liebe Anna Prohaska, was sollen wir hyperaufgeklärten Erdenbürger uns heute unter dem Wassergeist Undine, dem halbgöttlichen Wesen der Mythologie, vorstellen?
Das ist eine interessante Frage. Gerade das Fabelwesen an sich – sei es nun Undine, Rusalka, eine Nixe, Seejungfrau oder Sirene – hat mich sehr gepackt, weil diese Figur etwas entschieden Doppelbödiges birgt: auf der einen Seite wohnt in ihr etwas außerordentlich Gutes, auf der anderen das Böse. Undine, das ist für mich, ins Extreme gedacht, fast schon der Inbegriff der Frau im Allgemeinen. Hier das Lockende, das ja mit einem künstlerischen Mittel lockt, der Stimme . . .
Die Ur-Verführung, könnte man sagen . . .
Ja, genau. Wir kennen ja alle die Odysseus-Geschichte. Singen als Verführung und Zerstörung zugleich: Während alle anderen sich Wachs in die Ohren stopfen, lässt sich der Gatte der Penelope am Mast fesseln; das hat schon etwas leicht Sadomasochistisches. Aber Odysseus wollte den Gesang unbedingt hören – sich aber nicht von ihm verlocken lassen. Und das ist das ewige Spiel mit der Verführung: das Wollen und das Nicht-Wollen. Gleichzeitig gibt es eine Seite dieses Fabelwesens, die sehr positiv angelegt ist: Das ist eine Figur, die aus einer ganz anderen Welt kommt und die dann vom Schein des irdischen Lebens selber verführt wird. Darüber hinaus gibt es einen weiteren Aspekt, der mich gepackt hat: Steht nicht vielleicht sogar diese Diskrepanz zwischen Meeresleben und irdischem Reich für Heidentum und Christentum?
Wie kommen Sie darauf?
Bei Andersen, also im Märchen, ist nicht ganz klar, ob es Undine um die Liebe zum Prinzen geht, oder ob sie nicht vielmehr wie die Menschen eine unsterbliche Seele erlangen möchte.
Möchte sie vielleicht einfach menschlich werden?
Das auch. Aber erst durch die Liebe bekommt sie eine unsterbliche menschliche Seele. Vielleicht verkörpert das ein wenig die Sehnsucht nach Unsterblichkeit, sprich: nach einem christlichen Ideal. Aber sie ist nun einmal ein heidnisches Wesen. Und deswegen klappt es nicht: weil sie mit falschen Mitteln agiert und so zur Stummheit verurteilt ist. Exakt so geht es unter den Menschen zu. Man kann sich ja schwerlich verlieben, wenn man die Stimme des anderen noch nicht gehört hat, wenn es keine Kommunikation gibt. Da kann jemand noch so schön sein. Es geht eben nicht nur ums Äußere …
Das heißt, es vermengen sich in der Gestalt der Undine, in ihrer Erzählung, mehrere Topoi und mehrere Ebenen.
Ja. Da ist zunächst die psychologische Frage: Was passiert zwischen zwei Menschen in einer Liebesbeziehung? Dann berührt die Geschichte natürlich auch eine metaphysische Ebene.
Kommen wir aber nun zu den Liedern selbst. Die Spannweite reicht von der Renaissance über die Klassik und das Riesenreich der Romantik bis hin zur frühen Moderne des beginnenden 20. Jahrhunderts, bis zu Debussy, Szymanowski und Honegger. Welche dramaturgische Idee liegt dem Ganzen zugrunde?
Zunächst hatte ich mir überlegt, das Märchen anhand von Liedern nachzuerzählen. Als eine Art klingende Leidensgeschichte. Aber das ging nicht, weil es von den Tonarten und Stimmungen her nicht passte. Und so entschied ich mich schließlich für eine musikalische Dramaturgie, in der die Tonarten gut zusammenpassen und einzelne Motive ineinander greifen: eine Reise wie durch ein Labyrinth, wo man Schritt für Schritt macht.
Als Liedbegleiter haben Sie für diese Aufnahme den Pianisten Eric Schneider gewinnen können. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Wir haben uns kennen gelernt, als ich 17 Jahre alt war. Damals machte ich gerade meine erste Studentenproduktion an der Hochschule, Debussys Pelléas et Mélisande; Eric war im Rahmen seines Dirigier-Studiums der zuständige Korrepetitor. Eines Tages rief er mich und fragte, ob wir eine Arbeitsprobe machen könnten. Und wir haben uns musikalisch wie auch menschlich sofort phantastisch verstanden. Eric kann einfach sehr gut zuhören. Überdies gebietet er über eine pianistische Brillanz, die mich beeindruckt.
Das Gespräch mit Anna Prohaska führte Jürgen Otten
4/2011

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