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Brazilian Girls – Brazilian Girls

28.01.2005
Brazilian Girls ist ein neues Quartett aus New York, das seinen Bandnamen gleich in dreifacher Hinsicht ad absurdum führt. Denn zunächst einmal ist nur eines dieser “brasilianischen Mädchen” überhaupt weiblich. Außerdem stammt kein einziges der vier Bandmitglieder aus Brasilien. Und schließlich wird hier zwar munter in fünf Sprachen gesungen, aber ausgerechnet in der portugiesischen Sprache Brasiliens gibt es keinen einzigen Song.
Hinter Brazilian Girls stecken die italienisch-deutsche Sängerin Sabina Sciubba, der argentinische Keyboarder Didi Gutman sowie mit Bassist Jesse Murphy und Schlagzeuger Aaron Johnston zwei nordamerikanische Musiker. Bevor diese vier als Brazilian Girls zu einander fanden, arbeiteten sie u.a an der Seite von Roy Ayers, Norah Jones, Bebel Gilberto, John Scofield, Matthew Garrison, Lil' Louie Vega, Masters At Work und Wax Poetic.

Für die polyglotte Ausrichtung der Band ist vor allem Sängerin Sabina Sciubba verantwortlich. In Rom geboren, in München und Nizza aufgewachsen und nun in Brooklyn lebend, singt sie nach Belieben in Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch oder Deutsch. Ihre Stimme kennt mancher vielleicht schon von den beiden Soloalben des Bassisten Matthew Garrison (“Matthew Garrison”/2001 und “Shapeshifter”/2004) oder von Wax Poetics “Nublu Sessions” (2003). 2002 veröffentlichte sie gemeinsam mit dem italienischen Gitarristen Antonio Forcione, der von manchen als der “Jimi Hendrix der Akustikgitarre” bezeichnet wird, das jazzig-folkige Duo-Album “Meet Me In London”, das glänzende Kritiken erhielt. Verblüffend ist neben der Sprachgewandheit auch, wie Sabina Sciubba ihre stimmliche Persönlichkeit zu ändern versteht und mal mädchenhaft kokett, dann wieder kühl, reif und abgeklärt oder auch vampmäßig sexy herüberkommt.

Der aus Buenos Aires stammende Didi Gutman ist derzeit Keyboarder, Produzent, Arrangeur und musikalischer Leiter der Band von Bebel Gilberto, hat aber auch schon mit Roy Ayers, Lil' Louie Vega, den Masters At Work (auf dem kürzlich erschienenen Album “Masters At Work Present Latin Verve Sounds”) sowie vielen lateinamerikanischen Popstars wie El General, Thalia, Paulina Rubio und Alejandra Guzman zusammengearbeitet. Als einer der besten Musiker und Produzenten der jüngeren argentinischen Generation gehört Gutman auch dem Kollektiv an, das auf dem letztes Jahr herausgekommenen Album “Bajofondo Tango Club” in einzigartiger Weise die traditionellen Klänge des Tango mit House, Trance, Trip-Hop, Dub und Drum’n'Bass vermischte. Außerdem hat Didi Gutman in New York eine eigene Band namens Me And The Other Guy, die regelmäßig in Downtown-Szenelokalen auftritt und gerade ihr erstes Album “In The Madness” fertiggestellt hat.

Bassist Jesse Murphy ist in Jazzkreisen vor allem durch die “überjam”-Sessions mit John Scofield bekannt. In seiner Diskographie kann er darüber hinaus auch auf gemeinsame Aufnahmen mit den Saxophonisten John Zorn, Karl Denson und Seamus Blake verweisen. Schlagzeuger Aaron Johnston wiederum spielte schon des öfteren mit New Age-Musikern wie Mike Marshall und Darol Anger, aber auch mit dem Bluesgrass-Star Tony Furtado, Steel-Drummer Andy Narell, Omar Sosa, Pete Escovedo und Harry Belafonte. Mit seinem eigenen Trio hat er bislang drei Free Jazz-Alben aufgenommen. Als fünfter Mann wirkt im Hintergrund der Brazilian Girls als Toningenieur und Koproduzent noch Hector Castillo, der seit vier Jahren intensiv mit dem amerikanischen Minimal-Künstler Philip Glass kooperiert.

Die vier Bandmitglieder von Brazilian Girl lernten sich 2003 bei einer Jamsession im Nublu kennen, einem Club in Downtown New York. Seitdem treten sie dort wöchentlich auf, wenn sie in der Stadt sind. Und bei den Nublu-Sessions entstanden im Prinzip auch all die Songs ihres ersten Albums. “Die Tatsache, daß wir die Möglichkeit hatten, regelmäßig im Nublu spielen und alle paar Monate ins Studio gehen zu können, machte diese Songs so organisch und frisch”, meint Schlagzeuger Aaron Johnston. “Das Nublu ist eine Art Kollektiv”, erläuter Didi Gutman. “Es ist eine Gemeinschaft, in der Musiker, DJs, Dichter, Maler und Bonvivants Ideen austauschen. Im Nublu hatten wir die Chance, frei mit unserer Musik zu experimentieren, ohne Restriktionen und von außen auferlegte Erwartungen. Das hat viel dazu beigetragen, daß sich diese Songs so entfalten konnten.”

So erschien das Lied “Homme” erstmals 2003 auf der Wax Poetic-CD “Nublu Sessions”, während “Lazy Lover” schon auf der Ultra-Compilation “Music To Make Love By” veröffentlicht wurde. Von letzterem fertigten Matthew Herbert und die Brazilian Girls einen Remix für eine Club-Single.

Angesichts der sehr unterschiedlichen musikalischen Lebensläufe und Backgrounds der Bandmitglieder ist es nicht weiter verwunderlich, daß die Brazilian Girls Eklektizismus großschreiben und sich stilistisch in keine Schublade einordnen lassen. Überraschend ist, daß das Ergebnis trotz der wilden Stil(mittel)mischung unglaublich homogen klingt und ungeachtet der mitunter recht avantgardistischen Untertöne (bis hin zur Atonalität) zweifellos Popmusik ist. Und zwar eine Popmusik, die ebenso intelligent wie eingängig ist.

Um sämtliche von den Brazilian Girls auf ihrem Debütalbum verwendeten Stilmittel und musikalischen Zitate aufzuführen, müßte man schon eine kleines Heft vollschreiben, das zugleich als Einführung in die traditionelle Welt- und zeitgenössische Tanzmusik dienen könnte. Denn so polyglott wie der Gesang ist auch die Musik selbst.

Das melancholisch-düstere “Homme”, mit dem das Album beginnt, klingt z.B. wie die Musik zu einem französischen Film Noir, weist aber auch Tango-Elemente auf und mündet gegen Ende hin in einen treibenden Jungle-Groove. Mit einem fetten House-Beat und sehr poppigen Klängen, die gelegentlich Rickie Lee Jones oder Suzanne Vega ins Gedächtnis rufen, geht es dann bei “Don’t Stop” weiter. Eine angenehm laue Brise (rhythmisch irgendwo im Niemandsland zwischen Brasilien, der Karibik und Hawaii angesiedelt) durchweht sehr passend “Lazy Lover”, das im Text am Image des berühmt-berüchtigten Latin Lover kratzt. Mit ihrem coolen französischen Sprechgesang und dem gesäuselten Refrain erinnert Sabina Sciubba in “Sirène de la fête” zum einen ein wenig an Grace Jones, zum anderen etwas an Astrud Gilberto. Das quirlig-witzige “Corner Stone (Drunkenstone)” wartet unter anderem mit einer zickig-schiefen Blechbläser-Einlage auf, so wie man sie etwa von nicht ganz sauber spielenden südländischen Blaskapellen her kennt. Filmreif ist auch das mit einem Bossa-House-Rhythmus angetriebene traurige Thema von “Long”. “Pussy” ist hingegen ein ansteckend fröhlicher Dancehall-Reggae, dessen Refrain man schon nach dem zweiten Hören unwillkürlich grinsend mitsingen wird.

Das abenteuerliche “Die Gedanken sind frei” beginnt wiederum mit einem typischen Tango-Vamp und erhält später durch indische Tabla-Klänge noch eine zusätzliche exotische Note. “Die Musik dieses Stücks hatten wir schon aufgenommen”, erinnert sich Sabina Sciubba, “aber ich hatte noch keine Vorstellung, wie der Text aussehen sollte. Während der Aufnahmesession sang ich einfach nur zusammenhanglose Silben, die alle auf ‘ei’ endeten. Das brachte mich auf die Idee, es mit einem deutschen Text zu versuchen. Irgendwann stieß ich auf ‘Die Gedanken sind frei’, ein deutsches Protestlied, dessen Wurzeln sich bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen lassen… und dieser Text paßte einfach perfekt zur Musik.”

Wir verlosen fünf Promo-CDs “Brazilian Girls – Brazilian Girls”. Zur Teilnahme senden eine E-Mail mit dem Betreff “Brazilian Gilrs” an gewinnspiel@jazzecho.de. Einsendeschluss ist der 03.02.05. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

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