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Dee Dee Bridgewater – Sings Kurt Weill

16.01.2004
Im Jazz gibt es derzeit wohl kaum eine Sängerin, die eine solch umwerfende Ausstrahlung auf der Bühne hat wie Dee Dee Bridgewater, die im Mai ihren 54. Geburtstag feiern wird, aber locker zwanzig Jahre jünger wirkt. Die charmante Diva, die bei ihren Auftritten von ihren Erfahrungen als Musicaldarstellerin profitiert, versteht es wie keine zweite, ihr Publikum zu elektrisieren und in Bann zu schlagen. Deshalb zählen Dee Dees live mitgeschnittene Alben auch mit zu den Höhepunkten in ihrer Diskographie.
Nach drei von der Kritik hochgelobten Live-CDs – “Live In Paris” (1986), “In Montreux” (1990) und “Live At Yoshi’s” (2000) – gibt es nun erstmals ein Konzert von ihr auf einer Video-DVD, die Dee Dee Bridgewaters Entertainerqualitäten besser denn je – nämlich in Ton und Bild – vorführt: “Sings Kurt Weill Live At North Sea Jazz”.
 
Sie begann ihre Karriere als Jazzsängerin, avancierte danach zum Broadway-Starlet, wagte in den 70ern ein Zwischenspiel als Disco-Diva und gilt heute, nach ihrer Rückkehr zum Jazz, als eine der ganz wenigen Vokalistinnen, die verstorbenen Legenden wie Ella Fitzgerald, Billie Holiday und Sarah Vaughan das Wasser reichen kann. Spätestens seit ihrer Aufsehen erregenden Ella Fitzgerald-Hommage “Dear Ella” von 1997 ist Dee Dee Bridgewaters Name in aller Munde.
 
2002 verzückte sie die Jazzwelt auf ihrer CD “This Is New” mit einem Repertoire, das ausschließlich aus Songs des 1950 verstorbenen deutschen Komponisten Kurt Weill bestand. Für diejenigen, die den Werdegang der Sängerin über die Jahrzehnte verfolgt hatten, war es freilich keine große Überraschung, daß es Dee Dee Bridgewater in den Fingern oder besser Stimmbändern gekribbelt hatte, sich einmal intensiv mit den Arbeiten von Kurt Weill auseinanderzusetzen. Auf “Dear Ella” hatte sie mit der sogar in Deutsch gesungenen “Moritat von Mackie Messer” schon eine kleine Kostprobe aus den Werken Weills gegeben.
 
Die Kompositionen Kurt Weills waren bei Jazzern zwar nie so populär wie die von George Gershwin oder Cole Porter, dennoch gelang es einigen Stücken – allen voran natürlich “Mack The Knife” – Eingang ins “Great American Songbook” der Jazzmusiker zu finden. Interpretiert wurden die Titel u.a. von Frank Sinatra, Ella Fitzgerald, Tony Bennett, Louis Armstrong, Nina Simone, Betty Carter, Charlie Haden und John Zorn. Aber auch Popkünstler wie Sting, Lou Reed, Elvis Costello, PJ Harvey, Nick Cave, Liza Minnelli, Bette Midler, Helen Schneider und die Brasilianerin Marisa Monte überraschten schon mit Weillschem Liedgut. Die wohl ambitioniertesten Auseinandersetzungen mit dessen kompositorischem Werk präsentierte der eigenwillige Produzent Hal Willner 1985 auf dem Album “Lost In The Stars – Tribute To Kurt Weill”. Dee Dee Bridgewaters Herangehensweise an die Stücke, die Weill in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfaßte, war da natürlich ein wenig konventioneller, aber dennoch voller Überraschungen.
 
Wie Dee Dee Bridgewater war auch der aus Dessau stammende Komponist, der 1933 wegen seiner jüdischen Abstammung aus Berlin in die USA fliehen mußte, ein großer Verehrer des Musiktheaters. Sein ?uvre umfaßt u.a 28 Opern, Operetten, Musicals und Singspiele, vier Filmmusiken und 16 Arbeiten für Theater und Radio.
 
Die Stücke, die Dee Dee für das Repertoire von “This Is New” auswählte, stammen bis auf eines – den für Gesangsstimme und Piano geschriebenen Tango Habanera “Youkali” – aus meist sehr erfolgreichen Broadway-Musicals wie “Lady In The Dark” (“This Is New”, “My Ship” und “The Saga Of Jenny”), “Lost In The Stars” (“Lost In The Stars”), “Happy End” (“Bilbao Song”), “One Touch Of Venus” (“I’m A Stranger Here Myself” und “Speak Low”), “Knickerbocker Holiday” (“September Song”) und “Love Life” (“Here I’ll Stay”) sowie den beiden Opern “Rise And Fall Of The City Of Mahagonny / Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” (“Alabama Song”) und “The Threepenny Opera / Die Dreigroschenoper”(“Mack The Knife”). Natürlich geben all diese Songs der bühnenerfahrenen Interpretin eine exzellente Gelegenheit, wieder einmal ihr dramatisches Talent unter Beweis zu stellen.
 
Neben ihrer Liebe zum Musiktheater haben Dee Dee Bridgewater und Kurt Weill aber noch etwas anders miteinander gemein: Beide verfüg(t)en über die Fähigkeit, sich dem Geschmack des Publikums anzupassen, ohne sich gleich bei ihm anzubiedern und Abstriche in qualitativer Hinsicht zu machen. “Ich mag seine Musik wegen ihrer dramatischen Qualitäten”, meint Dee Dee. “Ich finde, Kurt Weill war eklektisch, und ich bin es ja auch. Ich wollte mich außerdem mit jemandem beschäftigen, dessen Werk über den Jazzhorizont hinausgeht.”
 
Begonnen hat Dee Dee Bridgewater ihre eklektische Karriere in den frühen 70er Jahren an der Seite von Größen wie Max Roach, Pharoah Sanders, Roland Kirk, Roy Ayers, Frank Foster, Stanley Clarke, Heiner Stadler und Norman Connors sowie als Sängerin der Thad Jones/Mel Lewis Big Band. Ihre Vielseitigkeit stellte sie also gleich in den ersten Karrierejahren ausdrucksvoll unter Beweis.
 
1974 bekam sie die Chance, im Broadway-Stück “The Wiz” in die Rolle der Glinda zu schlüpfen. Ihre begeisternde Darstellung in dem erfolgreichen Musical brachte Dee Dee den begehrten Tony Award ein und gab der kurz zuvor gestarteten Solokarriere mächtigen Anschub. Allerdings wendete sie sich musikalisch schon bald darauf vom Jazz ab, um sich vorübergehend ganz der seinerzeit boomenden Funk- und Disco-Musik zu verschreiben.
 
Die Rückkehr zum Jazz bahnte sich erst an, als Dee Dee Bridgewater 1984 in Paris in dem Musical “Sophisticated Ladies” auftrat und das dortige Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriß. Die Amerikanerin verliebte sich in die Franzosen und beschloß, sich in Paris niederzulassen. Schnell besaß sie eine Reputation, die nur mit der zu vergleichen ist, die Josephine Baker dort Jahrzehnte zuvor genossen hatte.
 
“Live In Paris” (Verve 014 317–2) und “Victim Of Love”(Verve 841 199–2), die beiden ersten Alben, die sie in ihrer neuen Heimat aufnahm, brachten ihr gleich zwei Grammy-Nominierungen ein. Die beiden Alben wurden erst kürzlich zusammen mit dem 1990er Live-Album “In Montreux” (Verve 847 91–2) wiederveröffentlicht. Mit “Keeping Tradition” (Verve 519 607–2) und “Love And Peace: A Tribute To Horace Silver” (Verve 527 470–2) folgten 1992 und 1994 weitere Veröffentlichungen, die Dee Dee Bridgewaters Ruf, eine der letzten wirklich großen Jazzsängerinnen zu sein, immer stärker untermauerten.
 
Hervorragende Kritiken erntete sie auch für ihre Verkörperung von Billie Holiday in Stephen Stahls Stück “Lady Day” (für die sie als beste Schauspielerin für den Laurence Olivier Award nominiert wurde), George Gruntz' Oper “Cosmopolitan Greetings” sowie Jérôme Savarys “Cabaret”.
 
1997 erschien dann schließlich Dee Dee Bridgewaters mit zwei Grammys ausgezeichnetes Meisterwerk “Dear Ella”, dem drei Jahre später das Album “Live At Yoshi’s” (Verve 543 354–2) folgte, das als Nachtrag zu ihrer Ella-Hommage betrachtet werden durfte. Mit “This Is New” (Verve 016 884–2) wollte Dee Dee Bridgewater ihre Ella-Periode abschließen und gleichzeitig etwas ganz anderes machen.
 
Bei ihrem Auftritt im Rahmen des North Sea Jazz Festivals im Jahre 2002 wurde Dee Dee Bridgewater von fast derselben Band begleitet, mit der sie zuvor auch schon das brillante Studioalbum “This Is New” eingespielt hatte: Saxophonist/Flötist Daniele Scannapieco, Trompeter Nicolas Folmer, Posaunist Phil Abraham (der Denis LeLoup ersetzt), Pianist/Organist Thierry Eliez, Gitarrist Louis Winsberg, Bassist Ira Coleman, Schlagzeuger André “DéDé” Ceccarelli und Percussionist Minino Gabriel Garay. Daß Dee Dee Bridgewaters Performance eine der absoluten Höhepunkte des 2002er North Sea Jazz Festivals war, braucht man eigentlich gar nicht zu erwähnen – die im Video dokumentierten Begeisterungsstürme des Publikums sind dafür der beste Beweis.
  • Einen Vorgeschmack auf die neue DVD finden Sie hier.

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