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“Aristokrat der Musik” – Sämtliche Aufnahmen von Arthur Grumiaux als Deluxe Edition

Arthur Grumiaux
© Decca
17.03.2021
Das 20. Jahrhundert war so überaus reich an großen und bedeutenden Musikern und oft beeindrucken nicht nur die unfassbar vielfältigen und berührenden Zeugnisse ihrer Kunst, sondern auch die Geschichten, die dahinterstehen. So wie im Falle des am 21. März 1921 im belgischen Villers-Perwin geborenen Arthur Grumiaux. Als der Junge dreieinhalb Jahre alt war, stellte der Großvater – ein Amateur-Kapellmeister – fest, dass er das absolute Gehör besaß. Zufällig sah der Großvater auch, wie der kleine Arthur das Geigenspiel mit zwei Stöcken nachahmte. Er brachte ihm Musiktheorie mit Streichhölzern und die Anfänge des Geigespielens bei. Mit fünf Jahren bewarb sich Arthur Grumiaux am Charleroi Conservatoire und mit fünfeinhalb gab er seine ersten Konzerte im Palastkino in Fleurus. Sein erster Lohn war ein großes Schaukelpferd.
So begann die Geschichte eines der bedeutendsten Geiger des 20. Jahrhunderts, der das Konservatorium nicht nur im Fach Geige, sondern auch im Fach Klavier mit Auszeichnung abschloss und dessen Weg ihn recht bald aus Belgien hinaus in die große Welt der Musik führte, wo er sich als “Aristokrat der Musik” und bescheidener Meistermusiker in einer Person einen Namen machte. Sein Ruhm, auch das ist Teil der Geschichte, liegt in seinem Können ebenso begründet, wie in der glücklichen Fügung, dass Grumiaux' phänomenale Musikalität in den Händen passionierter und hochqualifizierter Aufnahmeleiter und Toningenieure bei Philips lag. Die so entstandenen unvergleichlichen Tondokumente sind in der jetzt veröffentlichten und insgesamt 74 CDs umfassenden Box übersichtlich in sechs Sektionen gegliedert. So fällt es leicht, sich die gewaltige Menge an Aufnahmen zu erschließen.

Mozarts Violinsonaten mit Cara Haskil

Die erste Sektion ist der Barockmusik, schwerpunktmäßig den Kompositionen Bachs, gewidmet. Sie enthält gleich drei verschiedene Aufnahmen der Violinkonzerte 1 & 2 Bachs (BWV 1041–1042), die sich Grumiaux vorgenommen hat – mit unterschiedlichen Orchestern und gehörigem Abstand freilich. Spannend ist hierbei die Geschichte der Aneignung dieses Repertoires zu erleben. Ergänzt wird die Sektion durch Aufnahmen von Werken Händels, Corellis, Telemanns und Vivaldis, in der die “Vier Jahreszeiten” mit Les Solistes Romands unter Arpad Gérecz natürlich nicht fehlen dürfen.
Dass die zweite Sektion die umfangreichste ist, liegt in der Natur ihres Repertoires, welches dem Werk Haydns und – zum größten Teil – Mozarts zuzuordnen ist. Allein dessen umfangreiches Violinsonatenwerk hat sich Grumiaux ausführlich und wiederum in verschiedensten Besetzungen gewidmet. Herausragend sind dabei seine Aufnahmen mit der rumänischen Pianistin Clara Haskil, die inzwischen legendär sind. Die beiden hatten im Juni 1953 das erste Mal zusammengespielt. Damals stand Beethovens “Große G-Dur” Sonate op. 96 auf dem Programm. Sechs Jahre arbeiteten sie daraufhin zusammen. In den späten 1950er Jahren nahmen sie ein Programm mit Violinsonaten Mozarts auf. Es ist bewegend, das Zusammenspiel beider zu erleben, etwa in der Sonate in A-Dur KV 526, die Mozart im August 1787, kurz nach dem Tod seines Vaters komponierte. Später nahm Grumiaux ein weiteres Mal diese und weitere Violinsonaten mit dem österreichischen Pianisten Walter Klein auf, die alle zwischen 1778 und 1788 entstanden.
Bisher unveröffentlicht und jetzt zum ersten Mal auf CD ist eine 1964 entstandene Aufnahme zweier Stücke mit dem London Symphony Orchestra und Colin Davis. Mozart hatte sie beide für den damals überaus berühmten Geiger Antonio Brunetti komponiert: das Adagio für Violine und Orchester in E, KV 261 – als Ersatz für den 2. Satz des A-Dur-Konzerts KV 219, weil Brunetti das Adagio “zu studirt” war – und das Rondo für Violine und Orchester in C, KV 373.
Die zehn Violinsonaten Beethovens, u.a. in der dritten Sektion enthalten, spielte Grumiaux ebenfalls zweimal ein. Den ersten Zyklus nahm er 1956/57 wiederum mit Clara Haskil auf, ein weiterer, nicht ganz vollständiger, folgte fast zwanzig Jahre später mit Claudio Arrau. Ein Vergleich bietet sich auch bei den zwei Aufnahmen von Beethovens D-Dur-Violinkonzert an – mit dem Concertgebouw Orchestra 1974 und Colin Davis sowie die gut 15 Jahre ältere Aufnahme mit dem New Philharmonia Orchestra unter Alceo Galliera.
Der deutschen Romantik mit ihren Vertretern Franz Schubert, Felix Mendelssohn und Johannes Brahms ist ein eigenes Kapitel gewidmet, ebenso der französischen Romantik mit Édouard Lalo, Camille Saint-Saëns, Cesar Franck, Hector Berlioz und anderen. Die Sektion “Charakterstücke” schließlich versammelt Repertoire, das von keiner Bühne mehr wegzudenken ist, etwa Tartinis “Teufelstrillersonate”, Sarasates “Zigeunerweisen” oder der Tango von Albeniz.

Arthur Grumiaux' Doppelbegabung

Eine Besonderheit enthält die CD Nr. 23 der Box. In einer Aufnahme von 1959 tritt Grumiaux hier in seiner Doppelbegabung als Pianist und Geiger auf, mit Mozarts Violinsonate KV 481 und die Sonate Nr. 2 für Violine und Klavier von Johannes Brahms. Ein für damalige Verhältnisse aufwändiges Verfahren. Zuerst wurde die Violine aufgenommen und anschließend wurde im Overdub-Verfahren der Aufnahme der Klavierpart hinzugemischt. Es spricht für die Bedeutung und den Ruf, den Grumiaux damals auch als ernst zu nehmender Pianist besaß, dass die Philips-Produzenten sich auf dieses Experiment einließen. Das Ergebnis ist verblüffend, besonders wenn man zum Vergleich die Aufnahmen derselben Stücke mit den Pianisten Walter Klein (Mozart) und György Sebök (Brahms) heranzieht.
Zusätzlich aufgewertet wird die neue Deluxe Edition übrigens durch ein 100 Seiten-Booklet mit einem Beitrag der Musikhistorikerin Tully Potter, seltenen Archivfotos, Faksimiles von Original-Sleeve-Design sowie alphabetischen und chronologischen Angaben der aufgenommenen Werke.

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