Trauer und Freude liegen in der Osterzeit nah beieinander. Christen feiern den Tod und die Auferstehung Jesu Christi, ein dramatisches Geschehen, das auch Komponisten seit jeher fasziniert hat. Deshalb verdanken wir dem Osterfest eine Fülle berührender Musik, die nicht nur für praktizierende Christen oder Menschen mit spirituellen Neigungen attraktiv ist. Die österliche Hoffnung, dass aus Leid eine neue, reichere Form von Freude geboren werden kann, hat in Zeiten der Pandemie und des Krieges ein ganz neues Gewicht bekommen. Die starken emotionalen Reaktionen auf Aufführungen geistlicher Werke während der Pandemie sind ein beredtes Zeugnis hierfür.
So löste
John Eliot Gardiner mit seiner berührenden Darbietung von
Bachs Johannes-Passion
am Karfreitag 2021 Wogen der Begeisterung aus. Der britische Dirigent, einer der größten Bach-Interpreten unserer Zeit, hatte das überwältigende Oratorium des legendären Thomaskantors mit dem
Monteverdi Choir und den
English Baroque Soloists im prachtvollen
Sheldonian Theatre in Oxford zur Aufführung gebracht. DG-Stage, die Online-Bühne der Deutschen Grammophon, übertrug das Ereignis per Live-Stream in alle Welt.
Dem Leiden Ausdruck verleihen
Inzwischen liegt sowohl eine digitale Ausgabe als auch eine physische Deluxe-Edition der von der Presse als “Osterwunder von Oxford” (Bachtrack) gefeierten Aufführung vor. Was man in Gardiners Interpretation erleben kann, ist die allmähliche Verwandlung des Schmerzgefühls über den Tod Jesu Christi in eine Empfindung der Versöhnung. Selten hat man bei einer Aufführung der Johannes-Passion so deutlich gespürt, wie befreiend es sein kann, dem Leiden Ausdruck zu verleihen. Doch niemand möchte im Leiden verharren. Jeder Schmerz im Leben, ob über den Tod eines geliebten Menschen oder über eine verflossene Beziehung, drängt nach Erlösung.
In kaum einem geistlichen Werk bricht sich dieser Drang so lebhaft Bahn wie in
Verdis Requiem. “Du musst mich erlösen, weil ich es dir sage”, charakterisiert der italienische Dirigent
Gianandrea Noseda Verdis forderndes Gottesverhältnis. Noseda hat Verdis Requiem 2013 unter großem Beifall mit dem
Coro Teatro Regio Torino beim
Verbier Festival aufgeführt. Kürzlich erschien ein
Live-Mitschnitt der gefeierten Darbietung, ein atemberaubendes digitales Album, das eindrucksvoll untermauert, wie tröstlich geistliche Musik sein kann.
Den Frühling willkommen heißen
Wer in den Ostertagen nicht in geistliche Tiefen abtauchen möchte, sondern den Frühling willkommen heißen will, dem sei
Strawinskys furiose Ballettmusik “
Le sacre du printemps” ans Herz gelegt. Das Werk folgt einer heidnischen Logik der Naturverehrung. Strawinsky stand das Bild eines Mädchens vor Augen, das sich ekstatisch zu Tode tanzt, um den Frühlingsgott günstig zu stimmen. Der pulsierende Charakter dieser Musik kommt in einer 2006 realisierten Aufnahme des finnischen Dirigenten
Esa-Pekka Salonen mit dem
Los Angeles Philharmonic glänzend zur Geltung.
Aber auch im engeren Sinne geistliche Musik muss sich nicht in erhabenem und ernstem Pathos erschöpfen. So verdankt
Händels “Messiah” seine musikalische Kraft nicht allein spirituellen Quellen, sondern gründet auch in der tänzerischen Verve und Opernbegeisterung des Komponisten. Wer den Schwung des “
Messiah” in den Ostertagen mitnehmen möchte, der sei auf
Paul McCreeshs wegweisende Einspielung mit dem Ensemble
Gabrieli Consort & Players verwiesen. Die legendäre Aufnahme von 1997 liegt seit März 2021 in einer audiophil gemasterten Edition vor, die das Hörerlebnis zusätzlich verfeinert.