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Hermann Hesse

Unkraut verdirbt nicht

19.07.2002
Hermann Hesse lasen wir (fast) alle. Die einheitlich gestalteten Suhrkamp-Taschenbücher in Leuchtendblau (“Demian”) oder Quietschgrün (“Steppenwolf”) kursierten während der langweiligen Geschichtsstunden, und in den Pausen fiel das Butterbrot auf die Seiten. Hesse war der Geheimcode für den Aufbruch in andere Welten, und sein Gesicht kannten wir alle. Die Wangen ausgemergelt, der Blick dafür umso heller.
Der Eindruck changierte zwischen Sinnsucher, Studienrat und dem freundlichen Aussteiger aus der Ökogärtnerei. Kein intellektueller Überflieger wie der spitznasige Samuel Beckett auf denselben Suhrkamp-Bändchen. Ihm sah man an, dass er den breitkrempigen Hut trug, weil ihn sonst die Tessiner Sonne blendete. Da hatten wir doch alle gleich Mitleid mit dem Mann, der seine Texte angeblich entwarf, während er in seinem Garten der Casa Rossa in Montagnola Unkraut jätete.
 
Im Tessin entstanden die Werke, die ihn zum weltweit meistgelesenen deutschsprachigen Schriftsteller machten. Dessen Bücher heute in 60 Sprachen übersetzt vorliegen: «Siddhartha» (1922), «Der Kurgast» (1925), «Narziß und Goldmund» (1930), «Stunden im Garten» (1935) oder «Das Glasperlenspiel» (1943). Keiner vor ihm in der deutschen Literatur hatte mit solcher Neugier und Selbstverständlichkeit über Spirituelles und zugleich Bodenständiges geschrieben. Er machte die selbst erlebte Naturverbundenheit zum Zentrum seiner Figuren, schickte sie in Regionen des Denkens, die heute unter Esoterik abgeschoben sind. “Ich suchte das zu ergründen, was allen Konfessionen und allen menschlichen Formen der Frömmigkeit gemeinsam ist, was über allen nationalen Verschiedenheiten steht, was von jeder Rasse und von jedem Einzelnen geglaubt und verehrt werden kann.”
 
 Mit vier umfangreichen CD-Veröffentlichungen feiert Deutsche Grammophon den 125. Geburtstag des Aussteiger-Pioniers. Glücklicherweise sind CDs leichter als Briefe, denn als Hesse 1946 den Nobelpreis erhielt, war einer in Montagnola richtig sauer: Der Postbote musste sich eigens einen Handwagen zulegen, um die Flut von Briefen und Paketen in Hesses Casa Rossa zu transportieren.

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