James Morrison | Biografie

James Morrison, “Higher Than Here”, 2015

“I’ve got demons trying to get to me…“
Als James Morrison im Jahr 2006 mit seinen ersten Songs bekannt wurde, hätte der britische Singer-Songwriter wohl nie damit gerechnet, dass sein mit Soul- und Pop-Elementen durchzogener Sound schon wenige Jahre später als Blaupause – und er selbst als Wegbereiter – für eine ganze Reihe von gleichgesinnten Musikern dienen würde. Heute, knapp 10 Jahre später, tummeln sich Namen wie Sam Smith, Ed Sheeran, George Ezra und James Bay in den Charts, und sie alle verfolgen einen ganz ähnlichen Ansatz wie Morrison: Es sind Solomusiker mit grandioser Soul-Stimme. Sie alle zitieren ihn als wichtigen Einfluss, aber schreibt es sich Morrison auch selbst auf die Fahne, ihr Vorreiter gewesen zu sein? ”Ehrlich gesagt sehe ich das gar nicht so; ich hatte wohl eher das Glück, einer der ersten von ihnen zu sein.“
Lässt man seine Bescheidenheit einmal beiseite, war James Morrison, überhaupt ein zurückhaltender Typ, in der Tat der erste Musiker, der diesen Weg einschlug und damit nicht nur ein paar Leute hellhörig werden ließ, sondern schon nach kürzester Zeit auf massive Erfolge zurückblicken konnte. Pop-Hits wie “You Give Me Something“ vom Debütalbum ”Undiscovered“ katapultierten ihn schlagartig ins Rampenlicht, so dass er schon 2007, mit gerade mal 21 Jahren, den BRIT-Award in der Kategorie "Best Male“ in Empfang nehmen konnte. Selbst der renommierte Soul-Produzent Jerry Wexler attestierte ihm damals, dass seine kratzig-raue Stimme, die James übrigens einer Krankheit in Kindertagen "verdankt“, "ihre ganz eigene Handschrift“ habe, ja sie sei dermaßen einzigartig, dass man “sie nur einmal hören muss und sie niemals wieder vergessen wird.“ 
Seither haben viele seiner Kollegen zum Ausdruck gebracht, wie sehr sie Morrisons Musik bewundern. Gary Barlow zum Beispiel, 2006 noch sein Label-Kollege bei Polydor (erst 2011 wechselte Morrison zu Island Records), sagte: ”Er schreibt und spielt einfach pausenlos Weltklassesongs! Es war echt toll zu sehen, wie er mit jedem Song immer größere Erfolge erzielt hat.“ Andere hingegen äußerten, welch großen Einfluss sein Ansatz als Songwriter auf ihre eigene Musik hatte, so zum Beispiel John Newman: James Morrison war einer der ersten britischen Musiker, an denen ich mich orientiert habe, als ich gerade anfing als Sänger. Seine Stimme ist einfach unglaublich, und mir war’s absolut wichtig, keines seiner Konzerte in Leeds zu verpassen. Ehrlich gesagt bin ich mir nicht einmal sicher, ob sein Talent – trotz der ganzen Erfolge – bislang überhaupt genügend gewürdigt wurde.“
Erst kürzlich sagte James Bay über Morrison: James zählt zu meinen allerersten Inspirationsquellen. Zwischen allem, was damals gerade im Bereich der Popmusik passierte, plötzlich diese eine Stimme zu hören, die dermaßen filigran, dermaßen gefühlvoll und zugleich dermaßen kräftig war, und dazu nur seine Akustikgitarre – das war genau das, worauf ich gewartet hatte.“
Inzwischen hat der 30-jährige Singer-Songwriter über 4,5 Millionen Einheiten von den drei bis dato veröffentlichten Alben verkauft; er hat im Rahmen seiner vier Welttourneen mehrfach den Globus umrundet, hat ausverkaufte Shows vor tausenden von Menschen im Londoner Hyde Park gespielt und ist im Vorprogramm von Größen wie Bruce Springsteen und Stevie Wonder aufgetreten. Auch auf Herbie Hancocks mit einem Grammy ausgezeichneten Album “The Imagination Project“ war er als Gast zu hören.
Das 2008 veröffentlichte, programmatisch betitelte Album ”Songs for You, Truths for Me“ bescherte ihm eine ganze Serie von Top−10-Hits in Großbritannien, unter anderem das unfassbar eingängige “Broken Strings“ feat. Nelly Furtado, mit dem er auch in Deutschland Platz 1 der Single-Charts belegte. Auch das zuletzt erschienene ”Awakening“-Album (2011) schoss geradewegs auf den ersten Platz der UK-Charts und verkaufte sich weltweit über eine Million Mal.
Trotz all dieser grandiosen Erfolge hat der Sänger aus Rugby in Warwickshire nie wirklich genießen können, wie viel er mit seiner Musik bewegt und erreicht hat. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass er generell zur Melancholie neigt, wobei er das selbst am liebsten gar nicht wahrhaben würde: “Meistens bin ich schon gut drauf und denke positiv, aber das neue Album aufzunehmen war echt eine Qual“, so Morrison.
Ursprünglich lautete der Plan für sein neues Album ”Higher Than Here“, musikalisch in eine ganz andere Richtung aufzubrechen. Morrison schrieb rund 70 Songs, um das Ganze dann doch noch einmal zu überdenken. “Das neue Album sollte weniger nach klassischem Band-Sound klingen. Es sollte ein moderner klingendes Album sein, ohne dabei aus den Augen zu verlieren, was ich bisher gemacht habe. Also habe ich am Anfang versucht, einfach alles zu vergessen, nur nach einem halben Jahr hatte ich das Gefühl, dass die Songs irgendwie seelenlos wirkten – also fing ich noch einmal ganz von vorne an.“
Mit den Stücken, die Morrison auf ”Higher Than Here“ präsentiert, gelingt ihm ein Balanceakt: Zwar bringen sie wiederholt seinen Schmerz und seine persönlichen Probleme zum Ausdruck, doch zugleich fungieren sie immer wieder wie der Soundtrack zu einem gemütlichen Sonntagmorgen, ein Soundtrack, zu dem man – trotz der eher düsteren Inhalte – einfach nur tanzen, lächeln oder in sich gehen will. Ein perfektes Beispiel dafür ist die erste Singleauskopplung “Demons“: Der schwungvolle und optimistische Track handelt davon, dass man diesen kleinen Stimmen im Kopf, die einen runterziehen wollen, kein Gehör schenken darf, wobei seine sonst so raue Stimme im Refrain in ungeahnte Höhen aufbricht. ”Ich mag daran, dass es um ein universelles Thema geht, denn jeder hat in seinem Leben etwas, das er oder sie nicht mag und gerne verändern würde, und ich glaube, ganz offen damit umzugehen ist der richtige Weg. Ich hoffe, der Song gibt den Leuten das Gefühl, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn man so etwas mit sich herumschleppt.“
Als er dann die ersten 70 Songansätze über den Haufen warf und noch einmal ganz neu anfing, fasste Morrison den Entschluss, auch die Geschehnisse der letzten Jahre in sein Songwriting einfließen zu lassen. “The Awakening“, sein zuletzt veröffentlichtes und von den Kritikern am meisten gefeiertes Album bis dato, handelte, zumindest teilweise, vom Tod seines Vaters.
Gleich mehrere Tracks des neuen Albums komponierte Morrison zusammen mit Eg White (Adele, Sam Smith), mit dem er schon seit den Aufnahmen zu seinem Debütalbum zusammenarbeitet. ”Er ist einfach echt gut. Ich mag seinen Vibe, und wir kommen super miteinander aus“, erzählt Morrison und ergänzt, dass sich das Album ab einem gewissen Punkt wie aufmunternde Worte anfühlte, die für ihn selbst bestimmt waren. “Als ob ich mich selbst davon überzeugen wollen würde, dass doch noch die Möglichkeit besteht, dass alles wieder gut wird“, so Morrison. ”Mit zu viel deprimierender Musik kann ich nicht umgehen, das ist mir zu intensiv, aber seicht sollte sie auch nicht sein, und deshalb habe ich auch so lange daran gesessen – weil ich versucht habe, ein positives Gefühl zu kreieren, aber dabei ganz ehrlich und ohne Umschweife diese negativen Dinge zu behandeln.“
“Ich liebe diesen Song einfach“, lächelt James daraufhin, wenn er über den Song ”Just Like A Child“ berichtet: “Ich saß in einem Hotelzimmer, und ich hab wohl über Elsie (Morrisons Tochter) nachgedacht und darüber, wie sie andauernd auf die Nase fällt. Sie tut sich meistens echt weh, aber sie steht trotzdem einfach wieder auf und lässt sich davon nicht beeindrucken. Ich wollte darüber schreiben, sich diese Risikobereitschaft zu bewahren, die man in jungen Jahren hat. Das ist die Aussage, um die es mir in diesem Fall ging: Versuche, genau das Leben zu leben, das du leben willst. Und ich hab daran im Nachhinein auch kaum etwas verändert, die Demoversion hat’s so aufs Album geschafft; wir haben die einfach so genommen, weil sie ein Gefühl einfängt, das ich wohl nicht noch einmal in der Form hätte einfangen können.“
Die Textzeile ”you say that I’ve got nothing left to give / but I say / when you’ve got nothing / that’s when you start to live“ bringt die absolute, bedingungslose Ehrlichkeit zwischen zwei Menschen auf den Punkt, um die es ihm bei “Naked With You“ ging: ”Das sollte so ein Song sein, den man am Lagerfeuer mit einer alten Klampfe spielen kann; es geht darum, sich wirklich komplett zu akzeptieren, mit Haut und Haaren.“ Geschrieben hat James ihn mit gleich drei Gast-Autoren, unter anderem Kid Harpoon (Florence + the Machine, Calvin Harris): “Der hat mich voll an meinen verstorbenen Bruder erinnert“, berichtet er. ”Das war echt schräg. Er sah ihm wirklich unfassbar ähnlich, und irgendwie hatte das auch etwas Tröstliches. Selbst die Mimik war dieselbe wie bei meinem Bruder.“ Um die Beziehung zu seinem Vater dreht sich schließlich der Song “Heaven to a Fool“, den er mit dem Produzenten Malay aufgenommen hat, einem zweifachen Grammy-Gewinner, der auch schon mit John Legend, Frank Ocean und André 3000 gearbeitet hat.
”Der Song entstand quasi wie von selbst“, berichtet Morrison, Malay setzte sich ans Mellotron, und was er da spielte, klang extrem düster und grüblerisch. Das war zu der Zeit, als alles gerade so schwierig war, und dann dachte ich plötzlich über meinen Vater nach. Ich begann damit, dass sich mein Dad entschuldigen wollte, so à la die Kinder sind der Himmel persönlich und er der totale Narr, und dann hab ich das Ganze im Nachhinein allerdings noch als Beziehungsstück getarnt. Ich versuche immer, etwas Persönliches in den Songs unterzubringen, damit ich mich auch wirklich damit identifizieren kann. Die Streicher gaben mir ein Gefühl von Verlust, weshalb ich den Song ‘Heaven to a Fool’ taufte, so im Sinne von: Man realisiert erst, dass etwas gut war, wenn’s vorbei ist, aber ich dachte dabei auch an ein großes Hippie-Bild – die Welt ist der ‘Heaven’ und wir alle sind die Narren, weil wir sie nicht pfleglich behandeln. All diese verschiedenen Ansätze stecken da drin.“
”I Need You Tonight“ ist nicht nur eine klare Ansage, sondern zugleich der wahrscheinlich “kommerziellste“ Song des neuen Albums: satt und massiv und kein bisschen zurückhaltend. ”Als sie die Aufnahme machten, war mir sofort klar, dass die Nummer ganz anders werden würde, schließlich habe ich noch nie zuvor einen dermaßen massiv angelegten Song aufgenommen. Er ist zwar auch gefühlvoll, aber klanglich echt massiv.“  
 
Im Lauf der Jahre hat Morrison wiederholt geäußert, dass er eine überaus schwierige Beziehung zu seinen Eltern hatte. Die Alkoholsucht seines Vaters und die Depression der Mutter machten ein normales Verhältnis unmöglich, doch dieses Mal präsentiert er einen Song über seine Mutter, der auch ihr selbst gefallen könnte, wie er meint: “Too late for Lullabies“ handelt vom Verzeihen und davon, seinen Frieden mit der Vergangenheit zu machen. ”Jetzt wo ich etwas älter bin, ist es wohl meine Aufgabe, die Wahrheit auf den Punkt zu bringen, ohne dabei allzu verletzend zu klingen“, scherzt er. “Aber es ist wirklich ein toller Song: Ich sage darauf einfach, dass ich ihr vergebe, dass ich ihr nichts nachtrage. Er gehört auf jeden Fall zu meinen Lieblingssongs, was Eigenkompositionen angeht, und ich mag, wie die Strophe wie ein alter James-Brown-Song klingt; überhaupt erinnert mich dieser Song an viele alte Songs, auf die ich stehe.“
Indem er zum Ausgangspunkt zurückgekehrt ist, hat James Morrison mit ”Higher Than Here“ sein bis dato eindringlichstes, einfühlsamstes und ehrlichstes Album aufgenommen, ein Album, dessen Essenz am ehesten im Refrain der ersten Singleauskopplung durchschimmert:
"I’ve got demons trying to get to me…But they’ll never take me down.“
(Auszug aus dem Song "Demons“)
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