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Der neue Mann – Jonas Kaufmanns “Werther” auf DVD

Jonas Kaufmann © Mathias Bothor / Decca
Jonas Kaufmann © Mathias Bothor / Decca
20.10.2010
Der junge Autor kämpfte mit seinem „Werther“. Ganz Stürmer und Dränger hatte er die Realität in die Fiktion geholt, in Gestalt der Charlotte, die seinem abweisenden echten Jugendschwarm sehr ähnlich war. Diese Verschleierung im Poetischen führte in den folgenden Jahren immer wieder dazu, dass Goethe mit den biografischen Details seiner Figur verknüpft wurde. Und noch dazu hatte er mit dem „Werther“ einer irritierten jungen Männergeneration aus der Seele geschrieben. Der überschwängliche, impulsive Ton der Sprache, das nachdrückliche, nur aus sich selbst heraus sich legitimierende Verhalten des frisch gekürten Individuums – eine zeitnahe Erfindung von Aufklärern wie Leibniz, Kant und der britisch-französischen Denkschule -, die irrationale Leidenschaft des Gefühls, überhaupt der ganze latente Ungehorsam gegenüber den Forderungen der Tradition und des Bürgerlichen passten perfekt in den Prozess der intellektuellen Selbstfindung des modernen Menschen resp. Mannes.

Es war die Zeit, in der sich das neue Amerika vom absolutistischen Europa unabhängig machte, das selbst noch ein gutes Jahrzehnt bis zum großen Knall der französischen Revolution brauchte. In diesem Zusammenhang erschien „Werther“ als faszinierender Egoist einer neuen Literaturära und übte eine magische Anziehungskraft auf wache Geister aus, die an der diffusen Ohnmacht des Austritts aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit litten. Denn klar wurde auch, dass Werther sein Dilemma nicht lösen konnte. Charlotte musste bei Albrecht bleiben, dem Inbegriff der soliden Bürgerlichkeit. Der Protagonist selbst sah – albern, aber folgerichtig – keinen anderen Ausweg mehr, als sich umzubringen, wenn er seine hehren Ideale des Gefühls nicht verraten wollte. Die Tragik lag im Konflikt von Empfindung und der banalen Realität des behutsam entfremdeten Alltags. So wurde ein Mythos des aus sich selbst heraus schaffenden Originalgenies kreiert, das letztendlich nur eine naive Anlehnefrau brauchen konnte, ansonsten am Gefühl scheiterte (Man stelle sich Werther als Großvater vor!).

Jules Massenet erkannte diesen Widerspruch und gab daher der von Goethe nur marginal erwähnten Sophie eine weit größere Rolle. Sie war das Positive, die Frau, die die enttäuschte Liebe überwunden hatte, und nun trotzdem voller Freude sich dem Leben zuwenden konnte. Dadurch bekam sein „Werther“ eine andere Färbung, noch immer melancholisch, aber ein bisschen absurd angesichts des Auswegs, den ihm die ehemalige Liebschaft vorzeichnete. Und das machte Massenets Oper zu einer vorsichtig verschmitzten Neudeutung des Sujets, die den bis heute nachklingenden Konflikt von Liebe und Realität stellenweise humorvoll auffängt. Für Jonas Kaufmann, einen Tenor mit großem darstellerischem Talent und reichlich Humor, war der „Werther“ daher eine ideale Rolle, um sich an der Pariser Oper dem anspruchsvollen französischen Publikum vorzustellen.

Und er machte seine Sache so gut, dass die Presse ein Füllhorn des Lobs über ihn ausschüttete. In der Tageszeitung Le Monde beispielsweise konnte man lesen: “Werther wird dargestellt von dem Tenor momentan – von Jonas Kaufmann. Er bereichert die Partie mit einem einzigartigen Timbre, einer außerordentlichen Musikalität sowie einer breiten Palette tonaler Abstufungen und einer ungeheuerlichen Diktion”. So lag es nahe, nach dem Erfolg der Vorgänger „Carmen“ und „Lohengrin“ auf DVD auch die umjubelte Aufführung aus der Opéra Nationale in Paris einem großen Publikum zugänglich zu machen. Jonas Kaufmanns brillanter „Werther“ mit Sophie Koch als Charlotte und Ludovic Tézier als Albert an seiner Seite ist nun dazu berufen, in bester Ton- und Bildqualität die Menschen auch hierzulande zu begeistern. Eine DVD-Perle der gegenwärtigen Opernszene, die sich niemand entgehen lassen sollte.

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