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Düsteres Märchen für Erwachsene – Engelbert Humperdincks “Königskinder”

Jonas Kaufmann in Humperdincks "Königskinder"
© Suzanne Schwiertz
07.09.2012
Engelbert Humperdincks “Hänsel und Gretel“ gehört zu den beliebtesten deutschsprachigen Werken im Opernrepertoire. So verwundert es, dass sein nur wenige Jahre später entstandenes, weit ambitionierteres Nachfolgewerk “Königskinder“ bis heute ein Insidertipp geblieben ist. Womöglich liegen die Ursachen schon in der Entstehungsgeschichte, hatte doch Humperdinck das Libretto von Elsa Bernstein zunächst als Melodram umgesetzt: Sprechgesang, für den der Komponist eigens ein neuartiges Notationsverfahren entwickelte, und Orchesterbegleitung trafen darin aufeinander. Die zeitgenössische Kritik störte sich an dem eigentümlichen Hybrid und bemängelte dessen übermäßig schwülstige Sprache. So fertigte Humperdinck eine überarbeitete ariose Fassung mit an, die 1910 mit großem Erfolg bei Publikum und Kritikern an der New Yorker Met uraufgeführt wurde. Dennoch schaffte es die Oper auch im zweiten Anlauf nicht ins Standardrepertoire. Erst in den vergangenen Jahren tauchte sie vermehrt in den Spielplänen auf.

Vermeintliche Kinderoper

Der Stoff von Humperdincks “Königskindern” enthält die Zutaten eines echten Märchens: Eine schöne Gänsemagd wird von einer Hexe in einem verwunschenen Wald gefangen gehalten. Hier will die böse Alte das Mädchen zu einem gefügigen Werkzeug heranziehen und in den dunklen Hexenkünsten unterweisen. Andernorts mischt sich ein Königssohn incognito unter das einfache Volk um das wahre Leben kennen zu lernen. In einer Brunnenszene treffen Prinz und Gänsemagd aufeinander, worauf sie sich unsterblich ineinander verlieben. Doch der Märchenplot begibt sich nun auf verschlungene und düstere Pfade. Die Hexe wird verbrannt, ein Spielmann verkrüppelt, die Gänsemagd – in Wahrheit ebenfalls königlicher Abstammung – und der Prinz werden vom Pöbel verkannt und davongejagt. Die rechtmäßige Thronfolge werden sie nie antreten, denn die Verstoßenen erleiden einen tragischen Kältetod. Ein erbauliches Stück Unterhaltung für die ganze Familie hat Engelbert Humperdinck sicher nicht im Sinn gehabt.

Moderne Inszenierung mit Tiefgang

Entsprechend ambitioniert und vielschichtig fällt auch die Partitur aus. “Die Szenen von Gänsemagd und Königssohn erinnern eher an den ersten Teil der Gurrelieder als an den ‘Rosenkavalier’“, resümiert Opernkritiker Rodrigo Maffei Libonati leicht überspitzt in seinem Klassikblog. Für den Dirigenten Ingo Metzmacher bot Humperdincks Opernrarität ein ideales Betätigungsfeld. Im Entstehungsjahr 2007 der nun von Decca als Mitschnitt auf DVD und Blu-ray veröffentlichten Produktion an der Züricher Oper erklärte er in einem Interview mit der Zeit, er dirigiere mit Vorliebe Werke, denen ein Moment des Wagnisses innewohne. In diesem Geist interpretiert Metzmacher selbst die folkloristisch gefärbten Passagen der “Königskinder” mit ernstem Zugriff und großformatigem Impetus. Vom Orchester der Oper Zürich ruft er dichte Klangmassen und atemberaubende Effekte ab. Für die gelungene moderne Inszenierung des doppelbödigen Stoffs zeichnet Regisseur Jens-Daniel Herzog verantwortlich. Er versetzt Handlung und Figuren in eine Turnhalle und stellt die gesellschaftskritischen Züge der Oper heraus. Jonas Kaufmann meistert die anspruchsvolle Rolle des Königssohns mit Bravour, ihm zur Seite stehen Isabel Rey mit einer äußerst intensiven Darbietung als Gänsemagd und die beeindruckende Liliana Nikiteanu als Hexe.

Decca präsentiert die erste DVD-Aufnahme von Engelberts Humperdincks ”Königskinder” überhaupt.

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