Keren Ann | News | Biografie: Nolita

Biografie: Nolita

24.08.2005
KEREN ANN
“Nolita”

Keren Ann hat sich einen großen Traum erfüllt. Besser noch, die 30-jährige Sängerin und Songwriterin aus Paris erlebt derzeit in New York ihr ganz persönliches Alice in Wonderland. In den Clubs von New York hat sie sich mit ihren zarten Chansons und intimen Popsongs schnell einen Namen gemacht. Und ihr neues Album “Nolita” löst in den USA, wo es bereits im Frühjahr veröffentlicht wurde, wahre Begeisterungsstürme aus. Kein Wunder, verbindet Keren Ann auf ihrem gefeierten Werk mit leichter Hand den klassischen Chanson der französischen Bohème mit dem Greenwich-Village-Folk-Mythos. Diese anmutig glänzende “Ode an das besessene, romantische Manhattan” (New York Magazine), dieser “zweisprachige, kammermusikalische Pop, der wirkt, als würde die Sixties-Chanteuse Françoise Hardy Balladen vom ersten Album von Velvet Underground flüstern” (Rolling Stone), dürfte nicht nur von Amerikanern ins Herz geschlossen werden. In Frankreich gilt Keren Ann ohnehin seit langem als eines der größten Talente des neuen französischen Chanson. Die Tochter eines russischstämmigen Israeli und einer Niederländerin mit indonesischen Wurzeln ist von Haus aus Kosmopolitin und Troubadour. Für ihre ersten beiden Alben, “La biographie de Luka Philipsen” (2001) und “La Disparition” (2002), bildete sie gemeinsam mit Benjamin Biolay das ultimative Autorentraumpaar des französischen Pop-Revivals, wobei ihr gemeinsam mit dem isländischen Sänger Bardi Johannsson veröffentlichtes Album “Lady & Bird” (2003) nicht minder erwähnenswert ist.

Im letzten Jahr hatte Keren Ann, die sich laut eigenen Angaben überall zuhause fühlt, neben ihrem idyllisch im Montmartre gelegenen Apartment ein weiteres Domizil im New Yorker Stadtteil Nolita (North of Little Italy) aufgeschlagen – ein für ihre internationale Karriere richtungsweisender Schritt. Die Künstlerin, die zugleich ihre eigene Managerin ist, hatte sich zuvor aus eigener Initiative beim Blue-Note-Chef Bruce Lundvall einen Vorspieltermin geben lassen. Gewappnet allein mit ihrer Gitarre, gab Keren Ann eine Audition wie jede andere Newcomerin. Das Resultat war so überzeugend, dass Lundvall prompt ihr englischsprachiges Album “Not Going Anywhere”, das in Europa bereits im Herbst 2003 erschienen war, auf dem Metro Blue Label veröffentlichte. Schon dieses Opus war geprägt von Keren Anns Faible für leise, melancholische Songs mit kristallklaren Gitarren, eleganten Melodien und zarten Poesien über Liebe, Verlust und Sehnsucht. Und der New Yorker lobte das Werk in höchsten Tönen: “'Not Going Anywhere' ist wahrhaftig und gut geschrieben – Edelmut in Zeiten, in denen Technologie es einem ermöglicht, ein Album zu veröffentlichen, das eher einem Wunsch als einer Tat entspringt… Wie eine Abfolge von Epigrammen hat diese Musik eine meisterhafte Kürze… Der Gesang ist ruhig und treibt doch die Arrangements an. Dies ist das Werk von jemandem, der weiß, wo seine Stärken liegen.”

Unterdessen machte Keren Ann in New York durch Auftritte im kleinen Lower East Side Schuppen The Living Room und Konzerte im Papa Joe’s Pub auf sich aufmerksam, wo sie ihre Songs vorstellte, die von der dortigen Presse als “leuchtend”, “präzise” und “fesselnd” bezeichnet wurden. Ihre flüsternde Stimme, die jede Silbe auszukosten scheint, charakterisierte man als “erfrischend schmucklos, ohne irgendwelches einstudierte Vibrato oder gekünstelte Phrasierungen” sowie “ernsthaft und geheimnisvoll und voll subtiler Melancholie: cool, aber nie desinteressiert”. Zeitgleich arbeitete Keren Ann bereits an “Nolita”. Sie kehrte zwischenzeitlich nach Paris zurück und nahm in ihrem Studio die Basis-Tracks für jeden Song auf: sowohl Gitarre und Drums als auch Bass und einige Vocals. “Aber ich musste nach New York zurück, um die Songs richtig aufzunehmen. Ich brauchte diese Atmosphäre.” Also richtete sie sich in Lower Manhattan, in der Gegend von Nolita, ein Studio ein, in das sie ihre Lieblingsposter von den Beatles, Bob Dylan und Charlie Chaplin aufhängte. “Wenn ich aufnehme, muss ich mich in der Umgebung ganz zuhause fühlen. Also habe ich ein paar meiner Sachen an die Wände gehängt und mir so eine Art heimische Atmosphäre geschaffen. Ich finde die Vorstellung gut, einen sehr ruhigen Ort zu haben, in dem ich an meiner Musik arbeiten kann, während draußen vor der Tür Lärm und Gewimmel herrschen. Es beruhigt mich zu wissen, dass draußen der Alltag weiterläuft, auch wenn man sich drin, im Studio, von allem so distanziert fühlt.”

Nach nur wenigen Wochen in New York verletzte Keren Ann sich an der Hand: Bänderriss am Daumen, sie musste einen Gips tragen. Sie war entsetzt bei dem Gedanken, die Aufnahmen verschieben zu müssen. “Ein Freund beruhigte mich: ‚Es ist doch kein Problem, du musst deine Pläne nur etwas ändern'. Also ging ich los und kaufte mir Keyboards und Equipment zum Programmieren, Dinge, die ich sonst bestimmt nicht benutzt hätte, ohne die Verletzung. Sonst hätte ich ja einfach nur Gitarre gespielt.” Die Originalgitarrenparts sind noch da, sie werden jedoch verschönert durch Farben und Texturen, außerdem hört man Cello, Violine, Gitarre und Trompetenparts, die letztendlich aus neuen Bekanntschaften in der New Yorker Musikszene resultieren. Keren Ann nennt zwei Beispiele: Jack Petruzzelli und seine E-Gitarre auf dem sehnsüchtigen “One Day Without” und Jazztrompeter Avishai Cohen auf der ruhigen, handverlesenen Schönheit “L’onde amère”.

Wenn man nach der melancholischen Seite in ihrer Musik fragt, betont Keren Ann, dass es sich hierbei nicht um Traurigkeit handele. “Ich glaube nicht, dass Melancholie und Traurigkeit direkt miteinander verbunden sind.” Es gehe ihr eher um eine reflektierende Empfindsamkeit. “Bei Melancholie fallen mir Sänger ein wie Caetano Veloso, Chet Baker, Billie Holiday. Es gibt sie aber auch bei Rockkünstlern wie Tom Waits, Blur, Velvet Underground. Ja, meine Musik ist melancholisch, aber sie ist nicht mutlos.” Thematisch, sagt Keren Ann, nähere sich “Nolita” dem Gefühl eines früheren Albums, “La Disparition”. “Die Themen kehren wieder. Ich glaube, ich bin besessen von bestimmten Themen wie Abwesenheit, Lust, Sehnsucht. Sie tauchen in verschiedenen Geschichten und Charakteren wieder auf. Aber ich mag es auch, wenn alles ein bisschen unbestimmt und schleierhaft bleibt.”

Nolita beginnt mit “Que n’ai-je”, einem eindringlichen Song über eine Frau, die verfolgt und beobachtet wird. Dieser Stalker ist, so Keren Ann, “entweder jemand, den sie in der Vergangenheit geliebt hat, oder sie selbst, wie sie 20 Jahre zuvor war. Der Song handelt von dieser Wunschvorstellung, alle Beweise der eigenen Existenz auslöschen zu wollen.” Dies wäre nicht die einzige Geistererscheinung auf dem Album. Denn auch das schwelende “Chelsea Burns”, die Quintessenz einer perfekten Velvet-Underground-Ballade, durch den Einsatz von Geige, Mandoline und Harmonica mit einem Hauch Country versehen, handelt vom Geist einer Toten, der noch immer durch das Hotel Chelsea spuken soll. Und auch das beklemmende Titelstück, das von Ersticken und Beerdigung handelt, fügt sich zu dem surreal-makabren Tableau, das Keren Ann mit ihren Geschichten entwirft. Musikalisch ist der Titelsong jedoch ein Musterbeispiel traumwandlerischer Americana-Kunst im Stile von Wilco. Lupenreine Popsongs wie “Roses & Hips” erinnern mit ihrem süßlichen Timbre eher an die federleichten Folkpoesien von Mazzy Star und den Cowboy Junkies.

Keren Ann, die auch alle Songs selbst produziert hat, erweist sich ein ums andere Mal als glänzende Arrangeurin. “Midi dans le salon de la Duchesse” trifft punktgenau einen pittoresken Unterton zwischen Vaudeville und Western-Saloon; “La forme et le fond” ist ein Meta-Chanson, der in den elektronischen Lautmalereien von Air und Portishead wurzelt und sich zu cinemascopischer Pracht aufschwingt. Den krönenden Abschluss bildet “Song Of Alice”, gewidmet übrigens Alice Springs, der Muse von Helmut Newton. Für diesen Song engagierte sie den Regisseur und Schauspieler Sean Gullette, der ihre dramatische Erzählung über einen geistig verwirrten Bewohner der 23. Straße in Chelsea rezitiert. Ein Showdown nach Maß. Der Songzyklus von “Nolita” fügt sich zu dem bis dato perfektesten Album von Keren Ann zusammen. Mit wachem Blick und französischem Esprit hat sie hier das Lebensgefühl von New York auf wunderbare Art und Weise künstlerisch verarbeitet. “Ich mag es, Momente einzufangen. Das ist wie ein Photo. In zehn Jahren schaut man sich dieses Photo an und kann sich nicht genau an den Moment erinnern, aber vielleicht an die Woche oder den Monat rund um das Photo. So soll auch die Platte sein. In dreißig Jahren schaue ich auf ‚Nolita' zurück und erinnere mich an die Atmosphäre, nach der ich mich in New York gesehnt habe.”

Keren Ann Zeidel, so der komplette Name der Weltenbürgerin mit israelischem und niederländischem Pass, wird sich mit “Nolita” auch hierzulande viele Freunde machen. Zu faszinierend sind die traumhaft arrangierten Songs, um überhört zu werden. Jeder Song ist eine kleine Skulptur für sich. Die deutsche Erfolgsregisseurin Doris Dörrie hat sich für den Soundtrack ihres neuen Films “Der Fischermann und seine Frau” drei Songs aus Keren Anns Album “Not Going Anywhere” ausgewählt. Keren Ann, die nun mit “Nolita” eines der anmutigsten und schönsten Popalben des laufenden Jahres vorlegt, hat fürwahr allerhöchste Aufmerksamkeit verdient.

Juni 2005

Das Albumcover sowie Fotos zum downloaden finden Sie unter www.emi-promotionservices.de

Weitere Musik von Keren Ann